Archive for April, 2009

Schreiben bis die Chemie stimmt


27 Apr

Sportreporter haben ja ihr ganz eigenes Verhältnis zur deutschen Sprache. Wen wundert’s, dass unter dieser Spezies diejenigen Exemplare, die sich beim Kölner Stadtanzeiger verdingen, wiederum  sprachliche Hackentricks vollführen, ohne ihre Abseitsposition zu bemerken. So liest man auf der Onlineseite des Stadtanzeigers zum Rauswurf von Trainer Jürgen Klinsmann:

… Er sehe durchaus eine Zukunft, zumal die Chemie zur Mannschaft stimmen würde.

Die Chemie zur deutschen Sprache stimmt beim Kölner Stadtanzeiger jedenfalls schon länger nicht mehr. Schiri, wir wissen, wo dein Duden steht …

http://www.ksta.de/html/artikel/1240406285449.shtml

Immer mehr Immermehrismus


27 Apr

In Zeitungen wie dem Kölner Stadtanzeiger findet man immer mehr Immermehrismus. Zum Beispiel hier:

Wer für das Alter finanziell ausreichend vorsorgen will, muss seinen Einsatz immer mehr erhöhen.

Wer für das Hier und Jetzt sprachlich vorsorgen will, der kann auch sparen: Zum Beispiel die Floskel "Immer mehr". Wer nur finanziell vorsorgen muss, der sollte seinen "Einsatz erhöhen". Das reicht vollkommen.

Anhand des Kölner Stadtanzeigers


22 Apr

Es kommt ja immer wieder ziemlich dicke, wenn man den Kölner Stadtanzeiger liest. Jetzt muss man auch noch vernehmen, dass Deutschland über sich hinauswächst:

Die Deutschen werden immer größer und breiter. Das hat die im Auftrag der Bekleidungs- und Automobilindustrie erstellte Reihenmessung „SizeGermany“ ergeben.

Es wurden aber nicht nur Reihen vermessen, sondern veritable Deutsche:

Für die Studie wurden seit Juli 2007 bundesweit rund 13 400 Frauen, Männer und Kinder zwischen sechs und 87 Jahren anhand von 3-D-Bodyscannern vermessen.

Anhand von Bodyscannern wurden wir also vermessen. Das ist doch wirklich ganz schön vermessen, jedenfalls was den Gebrauch des Präpositionalausdrucks „anhand von“ angeht. Steht zu hoffen, dass man sich nicht vermessen hat.

Greysame Werbung


22 Apr

Der Kommunikationskonzern Grey führt gerade öffentlich vor, wie Kommunikation in globalem Maßstab schief gehen kann. Dabei geht es ausgerechnet um Verhütung, sprich: Verhüterli. Ein Entwurf von Grey Deutschland für eine Kondom-Werbung spielte mit Konterfeis von Osama Bin Laden, Hitler und … Mao. Die message von dat janze: Mit Kondomen wären uns die Herrschaften erspart geblieben. Doch, wieder einmal, wurde das Medium selbst zur message: Chinesen waren empört. Und da das chinesische Volk aus über einer Milliarde potentiellen Protestlern besteht, kommen selbst bei nur kleiner Empörung schnell ein paar Millionen Unruhestifter zusammen. Kurzum: Grey sah sich zu einem Coitus Interruptus genötigt und veröffentlichte folgende Stellungnahme:

Wir verstehen, dass diese Anzeige wegen der optischen Bezugnahme auf den Vorsitzenden Mao in China Gefühle verletzt hat. Grey hat sich aufrichtig entschuldigt und der chinesischen Botschaft in Deutschland in aller Form versichert, dass diese nicht autorisierte Anzeige nie erscheinen wird. Wir zollen China, dem chinesischen Volk, seiner Kultur und seinen Institutionen höchsten Respekt.

Die Entschuldigung wurde im übrigen direkt von der Konzernzentrale in den USA lanciert und nicht von der Deutschlandfiliale: So ernst nahm man den Respekt vor dem chinesischen Volk. Gar zu volkstümlich dürfte der Hintergrund für diesen (um im Bilde zu bleiben:) „Rückzieher“ nicht sein: Grey war die erste westliche Werbeagentur, die auf dem chinesischen Markt aktiv wurde. Natürlich setzt man hier auch für die Zukunft eher auf wechselseitige Befruchtung und verhütet nur eins: Die eigene Kampagne. Diese erinnert übrigens an einen alten Spontispruch aus den 80er Jahren, der eine völlig andere Zielrichtung hatte: „Hätt‘ Maria abgetrieben, wär‘ uns viel erspart geblieben“. Aber Gott verhüte, dass das Kardinal Meissner erfährt …

Spiegel verladen, NDR jubelt


22 Apr

Wer anderen eine Grube gräbt, fällt eben doch nicht immer selber rein. Im konkreten Fall äußert sich die Schadenfreude im Jubelgetön einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt, die für sich beansprucht, das Nachrichtenmagazin Spiegel mal so richtig reingelegt zu haben. Beim Wahlkampfauftakt der SPD hatte sich der Moderator der NDR-Satire-Sendung ExtraDrei als Wahlkampfhelfer vor dem Veranstaltungslokal aufgebaut und sich mit fiktiven Plakaten á la „Yes, he can Kanzler“ einen Spaß erlaubt. Spiegel Online hat diese Aktion dokumentiert und habe darum die Satire „für bare Münze genommen“. Ohne dem NDR die Freude vermiesen zu wollen: Über Witze soll man lachen. Wenn ein Witz „ernst“ genommen wird, kann es daran liegen, dass er einfach nicht komisch ist. Und dass ein Fernsehmoderator in der Öffentlichkeit nicht als solcher identifiziert wird, dürfte eher einen Schlag ins Eitelkeits-Kontor von Fernsehmenschen darstellen. Die „gelungene“ Satire könnte sich also auch als Rohrkrepierer erweisen. Lustig ist anders.

„Sex, Macht und Politik“


20 Apr

„Sex, Macht und Politik“: So nennt sich ein Weblog von Bettina Röhl auf der Website der Tageszeitung Die Welt. Die Autorin ist Tocher von Ulrike Meinhof. Das ist hier zu erwähnen, weil sie es selbst nicht unterlässt. Da hat jemand sein Lebensthema gefunden: Im Leben von jemand anderem. So muss man wohl feststellen, wenn man etwa ihr Interview mit M. Reich-Ranicki liest, in dem es besonders darum geht, wie Ulrike Meinhof einmal eben denselben interviewte. Lässt schon der Rubrikentitel, der kaum je einhalten kann, was er verspricht, schlimmes vermuten, so kommt es beim Hineinlesen nur noch schlimmer. So ist zu lesen:

Bis in Harald Schmidts Unterschichten hinein ist Literatur ein Begriff geworden, der über Jahrhunderte einer dünnen Schicht des Bildungsbürgertums weitestgehend vorbehalten war.

Was soll der Satz eigentlich sagen? Ist das noch deutsch? Oder ist es schon die Sprache gerade jener „Unterschichten“, deren Literaturbegriff (so sie überhaupt einen hat) schwuppdiwupp schon wieder enteignet wurde, und zwar seit Jahrhunderten von einer dünnen Schicht Bildungsbürger. Und egal ob dünne oder dicke Bildungsbürger, diese Schicht gibt es zwar noch gar nicht jahrundertelang und auch ihr Literaturbegriff ist ein ziemlich junger, aber das kann ja der Autorin schnuppe sein. Was sagen will: Ulrike Meinhof konnte vermutlich besser schreiben.

Wie man sich beim Stadtanzeiger so ausdrückt


20 Apr

Nachrichten, die keine sind: Da titelt der Kölner Stadtanzeiger in seiner heutigen Ausgabe:

Wahlkampfbeginn der SPD in Berlin

Und unter dieser Überschrift ist zu lesen:

Die Parteiführung stellt sich geschlossen hinter das Wahlprogramm ihres Kanzlerkandidaten

Nicht sonderlich überraschend. Eine Nachricht wäre es wert gewesen, wenn die Parteiführung es nicht getan hätte. Blättern wir noch ein bisschen weiter in dem Blatt:

… dem Lied von der Erde ließ das Gürzenich-Orchester unter Markus Stenz in der Kölner Philharmonie jetzt eine bewegende, eindringliche Interpretation zuteil werden, die die rechte MItte hielt …

Wo liegt die eigentlich genau, die „rechte Mitte“?

Berichterstattung als Amoklauf


17 Apr

Über 60 Beschwerden hat der Deutsche Presserat nach dem Amoklauf von Winnenden erhalten. Es gehe um „die komplette Breite“ des Themas: von der unmittelbaren Berichterstattung über die Veröffentlichung des Fotos vom Täter bis zum Umgang mit den Opfern und ihren Familien. Die Wochenzeitung Die Zeit hat dargestellt, wie die Recherchemethoden der Journalisten aussahen:

Zwei Stunden nachdem die Familie vom Tod ihrer Tochter erfahren hatte, klingelte es an der Tür. Der Mann von der Presse kam sofort zur Sache: Ob die Familie Fotos ihrer Tochter habe? Ob die Tochter einen Freund habe? Ob sie den Täter gekannt habe? Es klingeln noch drei Reporter an der Tür, dann klingelt das Telefon. Fernsehsender. Ob es Bilder gebe?

Allerdings ist zu vermuten, dass auch den Autoren der Zeit nichts anderes übrig blieb, um diesen Artikel zu schreiben, als … an der Tür zu klingeln. In einem Interview ebenfalls mit der Zeit zieht der Gewaltexperte Joachim Kersten einen Zusammenhang zwischen dem Amoklauf in Alabama und dem in Schaben:

Die Tat in Alabama war vergleichbar. Die Bilder gingen schnell um die Welt und waren auch in einigen deutschen Medien Aufmacherthema. Ich habe gestern früh gesehen, wie Nachrichtenseiten als erstes Bild einer Bilderserie ein Foto einer mehrmals durchschossenen Fensterscheibe aus Alabama gezeigt haben. Ich dachte, hoffentlich sieht keiner dieser potenziellen Täter in Deutschland diese Bilder. Nach eineinhalb Stunden bekam ich dann einen Anruf und erfuhr, was in Winnenden passiert war. Da kann es einen Zusammenhang gegeben haben. Kriminologisch ist diese Theorie wenigstens belegt – anders als vieles andere, was kursiert. Der Nachahmungseffekt ist nachgewiesen.

Was auch immer die Ursachen sind: Die Berichterstattung über Amokläufe gleicht selbst einem.

Presserat prüft jetzt auch Onlinemedien


17 Apr

Der Deutsche Presserat weitet seine Arbeit auf journalistisch-redaktionelle Onlinemedien aus.

Journalistisch-redaktionelle Online-Beiträge sollten den gleichen Standards gerecht werden, die auch für die gedruckten Veröffentlichungen gelten. Die Ausweitung des Pressekodex auf den Online-Bereich und die Möglichkeit für Leser und User, sich über Publikationen auch aus dem Internet beim Presserat zu beschweren, kann die Glaubwürdigkeit der einzelnen Online-Medien enorm stärken,

sagte der Sprecher des Pressrats, Manfred Protze, auf der gestrigen Sitzung des Plenums.Beschwerden können auch online abgegeben werden.

Neues von der Wortspielfront


17 Apr

Kürzlich noch konnte man hoffen, der Kölner Stadtanzeiger würde im Zuge überraschender Selbsterkenntnis aus dem schweren Gewässer der Wortspiele sich zurückziehen. Allein, der Wörtersee zieht die Blattmacher an wie die Insektenfalle die Motten. Als Bildunterschrift in der gestrigen Ausgabe war zu lesen:

Gas ist zu teuer, besagt eine Studie und gießt damit Öl ins Feuer der Preisdiskussion.

Wer mit Öl kocht, braucht natürlich keinen Gaszähler. Aber der Stadtanzeiger kocht, was die Sprachsuppe angeht, doch eher mit Wasser. Kleine Preisfrage nebenbei: Was geschieht, wenn man Öl ins Feuer kippt? Es geht aus.

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter