Posts Tagged ‘Politik’

The german „Angst“


11 Nov
Foto: Victor Bezrukov/Wikimedia

Foto: Victor Bezrukov/Wikimedia

Einer der Topoi, die in der Berichterstattung über die sogenannte Flüchtlingskrise die Runde macht, ist der von den „Ängsten in der Bevölkerung“, die man doch bitteschön „ernst nehmen“ müsse. Bundesinnenminister De Maizière äußerte sich so, SPD-Chef Siegmar Gabriel, der Berliner Bürgermeister Buschkowsky. Aber was heißt das eigentlich, „Ängste ernstnehmen“, und geht das überhaupt?

Ängste gehören in den Affekthaushalt des Menschen. Sie entziehen sich damit gerade rationaler Erörterung. Wer Angst hat, reagiert affektiv, emotional, nicht vernunftgesteuert. Eine Sache ernstnehmen dagegen bedeutet, sie sachlich und rational von allen Seiten zu erörtern, ihr Gewicht geben, ihr eben einen „Ernst“ zuzumessen, der auch hinterfragbar ist und entsprechend auch falsifizierbar.

Wer Angst hat, hat immer recht. Man kann schließlich vernünftigerweise niemandem seine Gefühle absprechen. Wenn Politiker oder Journalisten öffentlich dazu auffordern, „Ängste ernstzunehmen“, sagen sie nichts anderes, als dass die Ängstlichen recht haben, egal welche Argumente sie vortragen oder ob diese stichhaltig, schlüssig oder nachvollziehbar sind. „Ängste ernstnehmen“ heißt Ende der Diskussion. Politik sollte aber das Gegenteil tun, und Journalismus auch: Sollte zur Diskussion ermutigen, Argumente abwägen.

„The german Angst“ ist auch international schon sprichwörtlich geworden. Der Unisys Security Index misst mit den Methoden der Marktforschung alle halbe Jahre das Gefühl der nationalen, finanziellen, Internet- und persönlichen Sicherheit. Je höher der Wert dieses Index, desto ängstlicher. Die Deutschen erreichen auf dieser Skala einen Wert von 146 von 300 erreichbaren Punkten. Zum Vergleich: Großbritannien erreicht auf der Angst-Skala lediglich einen Wert von 103, die Niederlande sogar nur 66. „Die ‚German Angst‘ steckt tief in unseren Genen“, schreibt dazu die Tageszeitung Die Welt. Deutschland ist vorgeblich das Land der Dichter und Denker, doch statt nachzudenken, ängstigt man sich doch lieber.

„German Angst“ ist auch kein neues Phänomen. Schon der amerikanische Schriftsteller Thomas Wolfe konstatierte bei einer Deutschlandreise im Jahr 1936 eine tiefsitzende Angststörung:

Ihm wurde klar, dass diese ganze Nation von der Seuche einer ständigen Furcht infiziert war: gleichsam von einer schleichenden Paralyse, die alle menschlichen Beziehungen verzerrte und zugrunde richtete. Der Druck eines ununterbrochenen schändlichen Zwanges hatte dieses ganze Volk in angstvoll-bösartiger Heimlichtuerei verstummen lassen, bis es durch Selbstvergiftung in eine seelische Fäulnis übergegangen war, von der es nicht zu heilen und nicht zu befreien war.

Nein, wir sollten Ängste nicht ernst nehmen. Was wir, gerade auch in der journalistischen Berichterstattung, ernst nehmen sollten, das ist das Reden über Ängste, das Hofieren der vermeintlich Ängstlichen durch gewisse Politikerinnen und Politiker. So äußerte sich etwa Timo Stein im politischen Magazin Cicero, und er sei darum hier zitiert:

Nehmen wir ernst, was ernst zu nehmen ist. Und beäugen wir mit der gebotenen Portion Skepsis das Hofieren wütender Kleinbürger ins demokratische Spektrum durch die politische Klasse.Nehmen wir die hoffentlich nach wie vor große Mehrheit ernst, die sich hinter keinem Akronym versteckt, die sich nicht in Dresden oder Hannover tummelt, keine Angst davor hat, dass der Christstollen seine abendländische Identität verliert, dass die Gesellschaft durch verburkatisierte Mullahs infiltriert wird oder die Genderisierung die deutsche Sprache abschafft. Nehmen wir ernst und wahr, dass offensichtlich notleidende Asylsuchende ausreichen, um dieses Land mit einem Mehltau der Ignoranz zu überziehen. Und das in einer Zeit, in der die Gesellschaft mit den NSU-Morden noch einen riesigen Berg an Aufarbeitung zu bewältigen hat. Anstatt verschwimmenden Ängsten Autorität und Legitimität zu verleihen, sollte man besser das Feuer ernst nehmen, das in drei geplanten Flüchtlingsunterkünften in Bayern brannte. Gleiches gilt für die Hakenkreuzschmierereien und fremdenfeindlichen Parolen, die dort hinterlassen wurden.

Eine Lanze für Markus Lanz?


31 Jan
Markus_Lanz WikiCommons

Markus Lanz, Foto: WikiCommons

Soll man nun eine Lanze für ZDF-Moderator Markus Lanz brechen? „Raus mit Markus Lanz aus meiner Rundfunkgebühr“ fordert eine Online-Petition, über die schon allerhand im Internet und in der Presse zu lesen war. Um was geht es: Markus Lanz hat in der nach ihm benannten Sendung die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht zu Gast und sich ihr in offenbar unbotmäßiger Form verbal genähert. Nun müsste doch eigentlich der sonst für seinen ranschmeisserischen und völlig unkritischen Moderationsstil bekannte Lanz belobigt werden (und das hatte er vermutlich auch im Sinn), aber das Gegenteil ist der Fall: Über 200.000 Unterzeichner fordern offen den Rausschmiss des vom Kompromiss- zum Kommiss-Moderator gewandelten Lanz. Ist zu dieser Affäre schon alles gesagt? Ja, aber nicht von mir. Denn neben dem konkreten Anlass verweist die Diskussion auf drei wichtige Ebenen, auf denen die Mediengesellschaft gerade in einem massiven Transformationsprozess steht: Das betrifft erstens die Rolle des Journalisten, zweitens das Internet als Forum der “Mitmach-Demokratie” und drittens die Frage, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk damit noch zu tun hat. (mehr …)

Wahlprognosen: Auch Serbien muss Sterbien


22 Mai

Nicht nur hierzulande haben Wahlprognosen sowie die Journalisten, die regelmäßig über sie berichten, große Probleme. Auch im Ausland sind die Prognosen nicht wert, was die Prozente versprechen. Anders ist nicht zu verstehen, was die Süddeutsche Zeitung über die jüngsten Wahlen in Serbien zu berichten weiß:

Entgegen allen Umfragen und Prognosen hat Serbiens Oppositionsführer Tomislav Nikolic am Sonntag die Stichwahl um die Präsidentschaft gewonnen. Der 60-Jährige liege klar zwei Prozentpunkte vor dem langjährigen Amtsinhaber Boris Tadic, teilte das Zentrum für freie Wahlen, Cesid, am Abend nach Hochrechnung von 70 Prozent der abgegebenen Stimmen mit. "Die Chancen sind gering, dass sich dieser Trend noch umkehrt", analysierten die Wahlforscher.

Stichwahl – Nikolic neuer Präsident in Serbien – Politik – sueddeutsche.de

Spiegel: Wieviele Henker hatte Adolf Eichmann?


30 Apr

adolf_eichmannDieser Tage wurde in allen großen Medien des Eichmann-Prozesses vor 50 Jahren in Tel Aviv gedacht. Eichmann, einer der Chef-Organisatoren des Holocaust, war vom israelischen Geheimdienst Mossad in Argentinien entführt, in Israel vor Gericht gestellt und schließlich hingerichtet worden. Es war das einzige Todesurteil, das je in dem nahöstlichen Land vollstreckt wurde. Den Henker Shalom Nagar soll dies, so das Nachrichtenmagazin Der Spiegel in seiner Ausgabe vom 23.04.2011, mit erheblichen psychischen Problemen bezahlt haben:

Schalom Nagar richtete den Nazi Adolf Eichmann hin – und leidet noch heute darunter

Eigenartig nur: Eine Woche zuvor in einem zweiteiligen Dossier zum Eichmann-Prozess war etwas anderes zu lesen. Laut dieser Artikel-Serie gab es nämlich gar nicht nur einen Henker, sondern deren zwei. Und bei Eichmanns Hinrichtung sei extra ein Verfahren ersonnen worden, damit keiner der beiden wüsste, wer der tatsächliche Henker gewesen sei:

Die beiden Henker drückten jeder einen Knopf, von denen einer die Falltür öffnete. Eichmann stürzte drei Meter in die Tiefe.

Die Spiegel-Rechercheure sind brillant darin, alte Akten und Dokumente auszugraben und zu sichten. Vielleicht aber sollten sie hin und wieder einfach die eigene Spiegel-Ausgabe der Vorwoche lesen.

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter