Archive for Dezember, 2010

Nicht nur zur Weihnachtszeit: Vergewaltigungen im Fernsehen


21 Dez

Die zur Zeit erfolgreichste Fernsehserie im türkischen Fernsehen heißt „Fatmagül’ün Sucu Ne?“ die seit dem 16. September 2010 im türkischen Privatsender Kanal D immer donnerstags zur besten Sendezeit um 20:00 Uhr zu sehen ist. Womit „Was ist Fatmagüls Verbrechen?“ punktet und fast ein Drittel aller türkischen Fernsehzuschauer vor der Mattscheibe vereint, ist: eine Vergewaltigung. Karen Krüger schreibt dazu in der F.A.Z.:

Ein Drittel aller türkischen Zuschauer versammelte sich am Abend des 16. Septembers vor dem Fernseher und schaute zu, wie drei Männer eine junge Frau namens Fatmagül vergewaltigen. Die Szene dauerte ganze vier Minuten. Sie ist seitdem tausendfach im Internet abgespielt worden. Die türkischen Kommentare lesen sich, als sei die vergewaltigte Fatmagül die Königin von Porncity.

Die Geschichte handelt von einem Mädchen vom Lande, Fatmagül, das von drei reichen Schnöseln aus Istanbul und einem Einfaltspinsel vom Lande namens Kerim drangsaliert wird. Nach der Gewalttat, die nicht nur in der Serie selbst, sondern auch in Programmtrailern rund um die Uhr den türkischen Fernsehzuschauern serviert wird, soll Kerim, der selbst zu betrunken für eine Vergewaltigung war, das Mädchen heiraten. Fatmagül wird gezwungen zu sagen, sie habe die Tat inszeniert, um ihre Affäre mit Kerim zu vertuschen. Dabei liebt sie in Wahrheit einen anderen, den Fischer Mustafa.

Die Story geht zurück auf den gleichnamigen Roman des Schriftstellers Vedat Türkali, der 1986 mit Hülya Avsar in der Hauptrolle bereits einmal verfilmt wurde. Roman und Film haben die gleiche Stoßrichtung, nämlich dass in der türkischen Gesellschaft im Falle von Vergewaltigungen die Schuld häufig beim Opfer gesucht wird. Doch von diesem Impetus blieb nicht mehr viel übrig, nachdem der Privatsender Kanal D sich des Stoffs angenommen hat. Die Kritikerin Karen Krüger:

Wären die Produzenten der Romanvorlage gefolgt, dann zeigte die Serie, wie Fatmagül, die Unschuldigste von allen, die Beschuldigte wird. Statt dessen rücken sie immer wieder Fatmagüls Vergewaltigung in den Mittelpunkt. Und befriedigen damit jene Machomentalität, die Türkali in Frage stellte und die bis heute in Frage zu stellen ist, denn Fatmagüls gibt es zu Tausenden in der Türkei. Laut einer Studie des türkischen Instituts für Sexualgesundheit haben vierzig Prozent der türkischen Frauen schon einmal Gewalt erfahren, zwanzig Prozent von ihnen sexuelle.

Was aus dem einst kritischen Anliegen der literarischen Vorlage geworden ist, erahnt man, wenn man liest, dass es mittlerweile  in Istanbul Unterwäsche zu kaufen gibt, auf denen der Titel der Serie zu lesen ist. Es soll Fatmagül-Sexpuppen geben, mit denen man zu Hause die Vergewaltigung nachspielen kann. Auch soll ein Online-Spiel existieren, bei dem die User eine Comic-Fatmagül ausziehen können. Kürzlich gar habe ein Kabarettist Fatmagüls Vergewaltigung nachgespielt: Die Täter wurden dabei als Sportler dargestellt, der Kabarettist kommentierte deren „Treffer“. Und zu unguter Letzt soll ein Computerspiel mit dem Titel „Lauf, Fatmagül, lauf!“ erschienen sein, bei dem der Spieler Fatmagül darstellt und fünf Männern entwischen soll: „Packt einer der Verfolger das Mädchen, dann fängt sie an zu schreien – Spiel zu Ende, nächster Level nicht erreicht“. Im Internet  findet sich die Vergewaltigungssequenz inzwischen auf hunderten von Seiten, allein bei Youtube haben sich mehr als dreißigtausend Nutzer das Video angesehen.

Die Fernsehserie „Fatmagül’ün Sucu Ne?“ ist aber nur der Endpunkt einer Entwicklung gewalttätiger Sexualisierung des türkischen TV-Programms:

Zappt man in der Türkei durch das abendliche Fernsehprogramm, dann begegnen einem unweigerlich Frauen, die von einem Mann geschlagen werden; die von einem Mann ans Bett gefesselt worden sind; die weinen, während sich ein Mann mit lustverzerrtem Gesicht über sie beugt. Meistens sagt er unsinnige Sätze wie: „Wehr Dich nicht, ich liebe Dich“ oder „Wehr Dich nicht, gleich gefällt es auch Dir“. Das türkische Fernsehen zeigt oft und gerne Gewalt, vor allem zeigt es Gewalt gegen Frauen. Die Einschaltquoten verraten, dass die Zuschauer nichts dagegen haben. Im Gegenteil: Was sie da sehen, gefällt.

Auch wenn die Diagnose deutlich auf türkischen Machismo gepaart mit islamischer Vorgestrigkeit hindeutet, eignet sich das Beispiel „Fatmagül’ün Sucu Ne?“  nicht für den vielzitierten Kampf der Kulturen. Denn im Fernsehen anderer Länder und auch Deutschlands sieht es nicht so viel anders aus.

Nicht nur das türkische Fernsehen vergewaltigt

Manchmal wirken die Fernsehleute sogar bei der Vergewaltigung mit: Wie bei Spiegel Online zu lesen war, hat der bolivianische Sender Red Uno eine Vergewaltigung im Fernsehen gezeigt und so für landesweite Proteste gesorgt. Eine Pressevereinigung erhebt schwere Vorwürfe: Nur um eine exklusive Story zu bekommen, hätten die beteiligten Journalisten dem Opfer nicht geholfen.

Das deutsche Fernsehen vergewaltigt noch nicht selbst, aber es guckt auch gerne zu dabei. Denn die Sexualisierung des TV-Programms, und zwar des fiktionalen wie des non-fiktionalen, ist soweit fortgeschritten, dass Vergewaltigungen unter den Programmmachern zu den gesellschaftlich akzeptierten Sexualpraktiken zu zählen scheinen, mit denen man Quote machen kann.

Mit dem Film „Die Frau des Heimkehrers“ versuchte die ARD bereits im Jahr 2008, Vergewaltigungen in den Kernbereich öffentlich-rechtlichen Programmauftrags zu integrieren und dem Familienunterhaltungsprogramm (Sendetermin: freitags um 20:15 Uhr) einzuverleiben. Man darf wohl als Substrat dieses Streifens nehmen, womit die Bild-Zeitung dessen Inhalt sehr zupackend beschrieben hat:

„Sie schreit, heult, wehrt sich, als er wie ein Tier über sie herfällt: ihr eigener Ehemann! Er zerreißt ihr die Bluse, schmeißt sie aufs Bett – und demütigt seine Frau zutiefst …“

Wer hier noch von Spiel-Film redet, muss selbst durchs Fernsehen schon traumatisiert sein und verdrängt haben, was Friedrich Schiller einst übers Spiel sagte, nämlich dass der Mensch überhaupt nur Mensch sei,  wo er spiele. Die im Fernsehen vorgeführten Vergewaltigungen sind aber der Ernstfall, wie Hauptdarstellerin Christine Neubauer wiederum der Bild-Zeitung zu Protokoll gibt:

„In dem Moment ist nichts mehr gespielt! Da denke ich nicht mehr: ,Wie sieht das jetzt für die Kamera aus?‘ Was zählt, ist das Gefühl für das, was geschieht. Ich erlebe dann alles, als wenn es real passiert!“

Diese Vergewaltigung wurde im Mai 2010 in der ARD wiederholt. Mit schönem Programmerfolg.

Auch das Aktenzeichen xy des ZDF übt mit Entsetzen Scherz und bemüht Vergewaltigungen für diese pikante Art der Zuschauerbindung. In der Sendung vom 05.01.2010 bekommt der Zuschauer folgendes zu sehen:

Der 18. Januar 2009, ein Sonntag: Gegen 10 Uhr, die Kirchenglocken läuten, macht sich die junge Mutter in Hostedde auf den Weg zum Bäcker. An der Derner Bahnstraße greift ein unbekannter Mann die 30-Jährige an. Mit gezogenem Messer drängt er sie in einen roten VW-Polo älteren Baujahrs. Dann fährt er los. Auf einem Parkplatz nahe des Dortmunder Hauptfriedhofs vergewaltigt er die junge Frau mehrere Male. Danach fährt der Täter sein Opfer zurück nach Hostedde und lässt es frei. Das schwere Trauma der 30-Jährigen wird erst auf der Polizeiwache deutlich. Bei ihrer Vernehmung kollabiert die junge Frau.

Man sieht die Szene förmlich vor Augen, auch deswegen, weil man an diese Form schlecht inszenierter Dokusoaps aus dem schmierigen Bereich längst gewöhnt ist. Natürlich werden Redaktion und der ausstrahlende Sender behaupten, dass die Ausstrahlung ja nur der Verbrechensbekämpfung diene und darum im Interesse des Gewaltopfers sei. Aber Dreistigkeiten dieser Art behauptet das ZDF seit 30 Jahren, wenn man Aktenzeichen xy kritisiert, und das macht es nicht besser. Denn das Fernsehen dient nie irgendwelchen Opfern (dazu wäre es auch nach den eigenen Programmgrundsätzen gar nicht berechtigt), sondern nur sich selbst und der eigenen Zuschauerquote. Und da mit „Sex sells“ alleine eben in Zeiten überhaupt nichts mehr zu verkaufen ist, wo das Wort „Porno“ unter Jugendlichen zum Ausdruck positiver Emphase dient, muss auch das ZDF eine Schippe drauf legen und die härtere Gangart wählen. Mit dem Zweiten vergewaltigt sich’s besser …

ARD-Tatort-Vergewaltigungen sind die schönsten

Höhepunkt in dieser Reihe fernsehprogrammatischer Tiefpunkte ist der jüngste ARD-Tatort aus München vom vergangenen Sonntag: „Nie wieder frei sein“, die Geschichte einer Vergewaltigung mit anschließender Justizposse. Dass die ARD sich vermutlich für mutig hält, womöglich sogar für ein bisschen frivol, weil der Film um 20:15 Uhr mit der Entblätterung des Vergewaltigungsopfers beginnt, obwohl es doch nur abgefeimt ist, gehört zu den erwartbaren Bigotterien von Programmverantwortlichen, denen die Geschmacksgrenzen verrutscht sind. Hätte dieser Film wirklich ein Lehrstück zum Thema „Recht ist nicht Gerechtigkeit“ sein sollen, wie die Ankündigung des veranstaltenden Bayerischen Rundfunks suggeriert, dann hätte man den Drehbuchautor doch wenigstens eines der im Fernsehen so häufig angeführten „Coachings“ mit einem Rechtsexperten angedeihen lassen können. Allein was diese Folge an juristischem Nonsens verbreitet, lässt einen am staatsbürgerlichen Unverständnis der Mitbürger nicht mehr Wunder nehmen. Das Königlich-bayerische Amtsgericht jedenfalls wies mehr prozessrechtlichen Sachverstand auf als diese Produktion. Aber darum ging es ja auch nicht. Es ging um den „thrill“, den Vergewaltigungen offenbar neuerdings im Fernsehen auslösen, seit man bei ARD und ZDF gerne auch wieder Zuschauer diesseits der Potenzgrenze gewinnen möchte. Und dass aus dem Spiel längst Ernst geworden ist, zeigt auch der Umstand, dass die beiden Hauptdarsteller Nemec und Wachtveitl auch nach beinahe 20 Jahren als Serienkommissare und trotz oft großartiger Sidekicks mit hervorragenden mimetischen Fähigkeiten immer noch kein Quäntchen Schauspielerei gelernt haben. Aber das verspielt sich, Hauptsache, das Vergewaltigungsopfer macht seine Sache gut. Und der traumatisierte Zustand der Zuschauerschaft bis weit in die Kritikerzunft hinein beweist sich auch darin, dass ausgerechnet die Internetseite „evangelisch.de“  den Vergewaltigungs-Tatort zum „TV-Tipp des Tages“ erkoren hat:

Gerade die ersten Bilder wie auch die unverblümte drastische Wortwahl während des Prozesses lassen den ausgezeichneten Film aus Jugendschutzperspektive allerdings mindestens grenzwertig erscheinen. Und das Ende der emotional so plausiblen Geschichte wirkt etwas konstruiert. Davon abgesehen: ein herausragender „Tatort“.

Und die Filmkritiker von der Boulevardpresse stellen der vergewaltigten Schauspielerin Anna Maria Sturm (28) auch nicht die naheliegende Frage nach den etwaigen sexuellen Nöten der ARD-Programmverantwortlichen selbst, sondern danach, wie es denn so gewesen sei, nackt vor der Kamera: „Eine echte Herausforderung“, lässt die Schauspielerin durch ihre Agentin ausrichten. Immerhin lässt die Jungschauspielerin durchschimmern, dass sie genau weiß, was sie von der Lüsternheit ihrer Vertragspartner bei der ARD zu halten hat:

Sicherheitshalber hatte Anna Maria vertraglich geregelt, dass nicht zu viel Intimes zu sehen war.

Nota bene: Da ist das öffentlich-rechtliche Fernsehen angekommen, dass, wer sich ihm beruflich nähert, sich einen Kernbestand an Intimität schon vertraglich zusichern lassen muss. Wen wundert’s da noch, dass ein Thema wie der Strafprozess gegen einen mutmaßlichen Vergewaltiger, den ARD-Wetterjournalisten Jörg Kachelmann, auf den fruchtbaren Boden „zeitgemäßer“ journalistischer Aufarbeitung fällt: Als Sensationsposse. Und wenn die ARD sich hier auch, anders als andere Medien, eine Zurückhaltung auferlegt, weil sie gegenüber dem Schweizer Wettermann noch zu einem Gefühl fähig ist, dass sie für sich selbst längst abgeschrieben hat, nämlich Scham,  kann sie doch das Mausen nicht lassen, eine ganze lange „Anne Will“-Sendung lang: „Justiz-Alltag oder Promi-Pranger?“wird am 02.08.2010 in der ARD gefragt. Man belässt es aber bei der Frage. „Ein Urteil oder eine Antwort auf die Frage des Abends liefert Wills Fernsehgericht nicht“, konstatiert auch die Süddeutsche Zeitung. Denn dass Journalisten Fragen stellen, um Antworten zu erhalten, diese Zeiten sind auch in der ARD passé. Hauptsache, man hat darüber geredet. Über die Vergewaltigung. Aufklärung für Abgeklärte.

Küssen verboten im türkischen TV

Zurück zur türkischen Erfolgsserie „Fatmagül’ün Sucu Ne?“  Türkische Frauenorganisationen und Kolumnisten haben kritisiert, dass „Was ist Fatmagüls Verbrechen?“ die Vergewaltigung legitimiere. Sie forderten, die Serie einzustellen, blieben aber bisher erfolglos. Die Fernsehaufsichtsbehörde sieht Handlungsbedarf woanders:

Im Mai verwarnte sie einen Fernsehsender wegen einer Parfümwerbung, in der eine sich auf einer Yacht im Bikini sonnende Frau einen Mann in Badehose küsst. Das sei obszön, urteilte die Behörde und erinnerte daran, dass nichts gesendet werden darf, was die mentale Entwicklung von Minderjährigen beeinträchtigt – Vergewaltigung gehört offenbar nicht dazu. (F.A.Z.)

Der „Kampf der Kulturen“ schmilzt hier zusammen auf mikroskopisch kleine Unterschiede in der Grenzziehung medialer Freizügigkeiten. Man erinnere sich nur an die Aufregungen über den ersten schwulen Fernsehkuss in der Lindenstraße. Die türkische Frauen- und Familienministerin Selma Aliye ist berühmt geworden durch ihre Aussage, Homosexualität sei eine Krankheit. Nun hat sie in der Türkei das Küssen in Fernsehserien als unmoralisch kritisiert. In Sachen Bigotterie kann sie es mit deutschen Fernsehprogrammatikern aufnehmen. Gefragt nach ihrer Lieblingssendung, soll die AKP-Ministerin geantwortet haben: „Tal der Wölfe“. Das ist jene ultranationalistische Serie, in der in jeder Folge die Fäuste fliegen. Und in der auch vergewaltigt wird.

Türkische Fernsehserie: Wehr dich nicht, gleich macht es dir Spaß – Fernsehen – Feuilleton – FAZ.NET

Wie IBM einmal über nichts informieren wollte


20 Dez

IBM_Zeitung_leer Weihnachten vor 20 Jahren: Computer mussten damals noch „IBM-kompatibel“ heißen, wenn sie etwas taugen sollten. Die amerikanische Hightech-Schmiede war die unangefochtene Nummer 1 im PC-Business und definierte die Standards. 30.000 Menschen beschäftige die Firma damals allein in Deutschland. Und sie alle sollten auch im Jahr 1990 einen Weihnachtsgruß erhalten, und zwar in Gestalt der IBM-Mitarbeiterzeitschrift Report. Die Weihnachtsüberraschung ist geglückt: Die Umschlagseite verkündete  nämlich „We are informing ourselves to death“, und darauf folgten — 12 leere Seiten. Die letzte Seite wünschte knapp ein frohes Weihnachtsfest und bot allen Mitarbeitern an, einen von IBM gesponserten Vortrag des Medientheoretikers Neil Postman bei der Gesellschaft für Informatik per PROFS als E-Mail zu schicken.

Auf der letzen Seite notierte die Redaktion, was der IBM-Report im abgelaufenen Jahr alles veröffentlicht hatte. Vierhundertachtundneunzig Seiten mit einhundertneununddreißig längeren Artikeln, dreihundertdreiundsiebzig Kurzberichten und kleineren Meldungen, dreitausendsechshundertvierzig Personalnachrichten und eintausendeinhundertvierzig Kleinanzeigen kamen so zusammen. Eine Informationsflut im Sinne von Neil Postman, der damals an seinem Buch Das Technopol arbeitete. Die Weihnachtsgrüße von IBM an die Belegschaft werden von einem bekannten Goethe-Zitat begleitet: „Man sollte jeden Tag versuchen, ein kleines Lied zu hören, ein gutes Gedicht zu lesen, ein schönes Bild anzuschauen, und, wenn es möglich ist, ein paar vernünftige Worte zu sprechen.“

Die Interpretation der gerade für ein Informationsunternehmen äußerst ungewöhnlichen Weihnachtspost lag auf der Hand. Bei Heise online ist dazu zu lesen:

Die leeren Seiten sollten an die Informationsüberflutung, an die Informationsverschmutzung erinnern. Der Informationshahn wurde zugedreht, um daran zu erinnern, dass viele IBM-Mitarbeiter beim Informationskonsum teure Arbeitszeit vergeuden. Der „Information Worker“ war 1990 noch in weiter Ferne, der Rohstoff Information wurde eher als Informationsmüll definiert.

Die leere Jahresend-Ausgabe des Report löste unter den Mitarbeiten eine heftige und langanhaltende Diskussion über Sinn und vor allem Unsinn von Informationen im sogenannten Informationszeitalter aus.

Wie geht man mit Informationen um, wie kann man Filter setzen, wann leitet man Informationen weiter, warum ist es albern, wenn Mails ausgedruckt werden: Diese und etliche interne Fragen mehr beschäfigten die Redaktion mehrere Monate lang. „Bei mir gehen so viele PROFS-Mails ein, dass ich bei bestimmten Absendern nur noch auf die Löschtaste drücke“, schrieb ein Mitarbeiter. Ein anderer erzählte, wie er den Berg unerledigter Mails liegen lässt, um an einem Tag in Monat eine große Löschaktion zu starten. „Man riskiert, auf dringende Anfragen nicht mehr erreichbar zu sein.“

Spitzfindige Kritiker aus dem Haus IBM schrieben der Redaktion übrigens, dass die Ausgabe mit den 12 leeren Seiten den Umweltschutzrichtlinien des eigenen Unternehmens widerspräche. Ein Jahr früher hatte der Konzern in Deutschland verfügt, nur Recycling-Papier zu verwenden. Für die leeren Seiten soll die Mitarbeiterzeitung mehrfach ausgezeichnet worden sein.

heise online – Vor 20 Jahren: Unfeierliche Weihnachtsgrüße von IBM

Afghanistan: Eine Fernsehkulisse


13 Dez

Wer sich noch fragte, was deutsche Truppen eigentlich in Afghanistan zu suchen haben, der kann es, neun Jahre nach dem militärischen Einmarsch, endlich erfahren. Die Zeit schreibt:

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ist nach Afghanistan gereist, um in der Vorweihnachtszeit die dort stationierten Bundeswehrsoldaten zu besuchen. Seine Frau Stephanie begleitet ihn. Auch die Ministerpräsidenten Niedersachsens und Sachsen-Anhalts, David McAllister und Wolfgang Böhmer (beide CDU) sind mitgereist.

Aber nicht, dass hier ein offenbar CDU-naher Terror-Tourismus für Flugbewegungen über Zentralasien sorgt, ist das Bemerkenswerte. Sondern eine Nebenbemerkung, die auch der seriösen Wochenzeitung aus Hamburg nur eine Zeile wert ist:

Ebenso der Journalist Johannes B. Kerner, der mit dem Verteidigungsminister und mit Soldaten eine Talkshow aufzeichnen will.

Die Welt kann das Intrikate an dieser Meldung in einer noch kürzeren Formulierung vertuschen:

Auch ein Showmaster ist dabei.

Mit Kerner kuscheln am Hindukusch? Und das unter Beteiligung deutscher Politiker, die sich nicht zu schade sind, auf diese Weise zur Quotenrettung eines der unnötigsten Formate im deutschen Fernsehen beizutragen? So dass, wenn der Privatsender Sat 1 schon keine Gebührengelder vereinnahmen darf, wenigstens mit Steuergeldern zum Senderfinanzausgleich beigetragen wird? Das erinnert doch allzu sehr an den amerikanischen Kinofilm Wag the dog, nur mit umgekehrten Vorzeichen: Im Film lässt ein US-Präsident, der einen Sex-Skandal durchzustehen hat, von Fernsehleuten einen virtuellen Krieg inszenieren, um sich als Held darzustellen. Mit Kerner in Afghanistan erhält ein echter Krieg seine nachträgliche Daseinsberechtigung dadurch, dass Politiker, die nicht einmal zum Sexskandal taugen (Guttenberg!), als billige Komparsen Schützenhilfe fürs einzig Echte leisten, nämlich das Fernsehen. Und was ist eigentlich mit unseren Qualitätszeitungen los, die das Ungeheuerliche an diesem Ereignis reportieren, als handle es sich um einen x-beliebigen Schönheitswettbewerb in Winsen an der Luhe? Wer bis jetzt noch dachte, in Afghanistan würden humanitäre Hilfe geleistet und die Menschenrechte gesichert, der sieht sich ausgerechnet durch Johannes B. Kerner eines Besseren belehrt: Kein Kriegseinsatz kann so real sein, dass er nicht als Fernsehkulisse noch schöner würde.

Afghanistan: Ehepaar Guttenberg besucht Feldlager Kundus | Politik | ZEIT ONLINE

Ein Gespräch über Bücher in der U-Bahn


12 Dez

Neulich in der Linie 18 der Kölner Verkehrsbetriebe. Eine Frau sitzt mir gegenüber und ist in ein schweres Buch vertieft. Es handelt sich um Orhan Pamuks „Das Museum der Unschuld“. Eine Mitfahrerin aus der gegenüberliegenden Sitzgruppe versucht, den hinteren Klappentext zu entziffern. Die Leserin bemerkt ist, will freundlich sein und hält der Nachbarin das Buch näher. Die beiden kommen ins Gespräch. Eine weitere Dame schaltet sich ein. Auch sie hat schon einen Pamuk gelesen. Und schließlich sind wir alle vier in ein angeregtes Gespräch über Tragik und Literatur, Erbaulichkeit und Kultur verstrickt. Eine Viertelstunde lang reisen wir viel weiter, als die Kölner U-Bahn (die bekanntlich kulturloseste des ganzen Landes) jemals bringen könnte. Dann steigt erst die dritte Frau und dann ich aus. Schließlich wird die Leserin mit ihrem Buch allein zurückbleiben. Aber das Gespräch bleibt auch. Dazu ist nur Literatur fähig.

Orhan Pamuk „Das Museum der Unschuld“

"Wetten, dass" und Audi: Was ist schon ein Menschenleben gegen den Verkauf eines Autos?


08 Dez

Was ist schon ein Menschenleben gegen den Verkauf eines Autos? Das Fachmagazin Journalist hatte schon vor einigen Monaten darüber berichtet, dass der Autohersteller Audi und das ZDF mit seiner Sendung „Wetten, dass“ eine enge geschäftliche Liaison eingegangen sind. Audi ist es offenbar Millionensummen wert, seine Automobile in der Samstagabendshow des Zweiten Deutschen Fernsehens präsentieren zu können:

Manchmal ist nicht ganz klar, wo beim ZDF die größere Kreativitätsleistung erbracht wird. Bei der Entwicklung neuer Programmideen – oder doch eher beim Verschachteln undurchsichtiger Kooperationen mit Partnern aus der Industrie? Das beste Beispiel dafür ist Wetten, dass ..?. Seit Jahren werden Autos verlost oder verschenkt, die Moderator Thomas Gottschalk in der Unterhaltungssendung vorstellt. Eine Zeit lang war Mercedes „Automobilpartner“, derzeit ist Audi am Zug.

Im Rundfunkstaatsvertrag wird so ein Geschäftsgebaren zwar als „Beistellung“ definiert, die dann zulässig sei, wenn für Produkte, die etwa bei Gewinnspielen verlost würden, nichts bezahlt würde. Informationen des Journalists zufolge zahle aber Audi für die Kooperation mit Wetten, dass ..? 1,8 Millionen Euro für zwei Staffeln.

Abgewickelt wird der Deal über die Firma Dolce Media, die Thomas Gottschalk und seinem Bruder Christoph gehört, der auch die Geschäftsführung innehat. Laut Definition des 13. Rundfunkänderungsstaatsvertrags ist eine Kooperation, bei der es um Bildschirmpräsenz geht und für die das Unternehmen bezahlt, Product Placement. Und seit Inkrafttreten dieses Staatsvertrags im April ist Product Placement öffentlich-rechtlichen Sendern grundsätzlich verboten. 

Das ZDF leugnet einen solchen Zusammenhang. Moderator und Dolce Media-Gesellschafter Thomas Gottschalk erläuterte allerdings schon vor sechs Jahren in einem Focus-Interview:

„Es lag nahe, sich um die Vermarktung von Wetten, dass ..? zu kümmern. (…) Mein Bruder hat sich dann mit dem ZDF zusammengesetzt und Partner gesucht. Ich komme ja aus einer Zeit, in der das öffentlich-rechtliche Fernsehen die Sendungen, die es produziert hat, auch noch bezahlen konnte. Heute sagt der Sender schon mal, diesen Gast können wir uns nicht leisten, dieses Bühnenbild ist uns zu teuer. Deshalb muss es neue Ideen zur Finanzierung geben. (…) Was mit Gebühren nicht mehr zu finanzieren ist, fällt eben weg, oder es müssen Sponsoren ran.“

Zum Sponsoring zählt wohl auch, dass Thomas Gottschalk als Moderator und Werbepartner bei „Events“ der Fa. Audi auftritt und sich hierfür mutmaßlich gesondert honorieren lässt. So liest man auf dem „Thomas Gottschalk“-Weblog („Aktuelle Infos über Deutschlands Showmaster Nr. 1“) unter der Überschrift „100 Jahre Audi: Kanzlerin zu Gast bei Gottschalk“:

Bei Audi laufen die Vorbereitungen für die Jubiläumsfeierlichkeiten auf Hochtouren. Höhepunkt zu Beginn ist der Festakt am 16. Juli 2009, zu dem sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel angekündigt hat. (…) Der Festakt wird von Thomas Gottschalk moderiert, zahlreiche prominente Persönlichkeiten aus Industrie, Sport und Motorsport werden erwartet“.

Auch als Zugpferd für Autopräsentationen lässt Thomas Gottschalk sich gerne neben den neuesten Audi-Modellen ablichten (Beispiele finden sich hier, hier und hier). Und auf der Website der ZDF-Show darf Audi gleich mehrfach werblich, mit Banner und mit einem Video, für sich werben. Der Journalist hat herausgefunden:

Als Herausgeber der Seite wird Dolce Media ausgewiesen, der Betrieb erfolgt bei Bauer Digital, einer Tochter des Hamburger Bauer-Verlags, in dem auch TV Movie erscheint. Der Programmzeitschrift liegt regelmäßig das gedruckte Wetten-dass..?-Magazin bei. 

Der Branchendienst Meedia sieht darum einen Zusammenhang zwischen dem Sponsorenvertrag mit Audi und dem tragischen Unfall am vergangenen Samstag in der Wetten, dass-Show, bei dem ein Amateurstuntman sich offenbar bleibende Verletzungen zugezogen hat:

Wie die Idee zum Power-Rizer-Stunt entstand, ist unklar. Es passte allerdings nur zu gut ins Sponsoren-Konzept, dass der Student seine waghalsiges Salto-Akrobatik über fahrenden Autos inszeniert und nicht etwa beispielsweise über Heuwagen, wo sein Sturz wohl glimpflicher hätten enden können. Erschwerend für den Sprung war auch, dass die A8-Limousine als Flaggschiff der Audi-Flotte 5,15 Meter misst – ein weiter Weg für einen Satz auf Sprungfedern…

Der Evangelische Pressedienst resümiert in einem Beitrag, der auch online steht, dass sich das ZDF in der „Quotenspirale“ befinde und zitiert den Rheinland-Pfälzischen Ministerpräsident Kurt Beck, im Nebenberuf Verwaltungsratsvorsitzender des ZDF, es müsse darüber gesprochen werden, wann die Grenzen des Verantwortbaren überschritten würden. Allerdings, mit Quotendruck und Zuschauerzahlen hat all das vielleicht nicht mehr viel zu tun. Eher hat es womöglich mit Geld zu tun, mit den Verpflichtungen gegenüber einem Groß-Sponsor und mit den wirtschaftlichen Abhängigkeiten, in die sich ein vorgeblich unabhängiger öffentlich-rechtlicher Sender begeben hat. Am Golde hängt, zum Golde drängt doch alles: Ach, wir Armen …

Journalist: Der Partner zahlt ZDF Wetten, dass und Audi

Zeitungen: Österreich erfindet sich neu


07 Dez

Seit Karl Kraus hält man Österreichs Zeitungen ja ohnehin für die schlechtesten der Welt. Und das vielleicht nicht nur, weil der schärfste Kritiker der Elche selber einer war, Österreicher nämlich. Jetzt liefert die Zeitung mit dem programmatischen Titel „Österreich“ ein neues gelungenes Beispiel dafür, wie man sich mit seiner Berichterstattung aufs Abstellgleis der Realität begeben kann:

Eine österreichische Tageszeitung hat „Wetten, dass..?“ zu Ende geguckt. Die Sendung, die es nicht gab. Und eine launige Kritik vorgelegt zu Gastauftritten, die nicht stattgefunden haben: „Robbie holte Show aus dem Koma“ war denn auch der Titel.

„Kritik der reinen Unvernunft“ überschreibt die Süddeutsche Zeitung ihre Presseschelte und erfindet gleich auch noch den Menschen des Informationszeitalters neu, nämlich als den „Normalinformierten“:

Jeder Normalinformierte im deutschsprachigen Sendebereich des ZDF weiß: Am Samstag musste Gottschalks Wetten, dass..? vorzeitig beendet werden, weil der schreckliche Unfall eines Wettkandidaten den Show-Abbruch notwendig machte. Das geschah im Anschluss an die erste, fatal verlaufene Wette. Darum hatten die meisten der angekündigten Stargäste noch gar nicht auf Gottschalks Sofa Platz genommen. Kein Zuschauer hat sie also zu Gesicht bekommen. Und gehört wurden ihre Sangesdarbietungen demnach auch von niemandem.

Der Zeitungsverantwortliche hat auch eine Erklärung, wenn er sich erklärt:

… mittlerweile äußerte sich der Herausgeber Wolfgang Fellner: „Es ist unglücklich geschrieben“, sagte er …

Unglücklich ist doch eigentlich, was nicht geschrieben stand: Das Unglück nämlich. Aber das ist in diesem Fall kein Glück.

Erfundener „Wetten-dass..?“-Bericht – Kritik der reinen Unvernunft – Medien – sueddeutsche.de

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Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter