Archive for Oktober, 2013

Wieviel Sport gucken Zuschauer im TV?


24 Okt

ARD_TatortkostenJa, wieviel Menschen gucken Sport im Fernsehen? Und wieviel Sport läuft da eigentlich? Und was kostet der Spaß? Das sind Fragen, auf die es künftig Auskunft geben soll im Rahmen einer neuen Transparenz-Offensive der ARD. Aber das eine sind die Zahlen, die veröffentlicht werden. Das andere ist, was JournalistInnen daraus machen. Zum Beispiel die Medienexperten des Fachdienstes DWDL. Die interessierten sich dafür, wieviel Sport eigentlich in der ARD geguckt wird und welche Sportarten dabei besonders gut abschneiden. Das Ergebnis ihrer Recherche klang dann so:

Knapp 20 Prozent der Zeit, die ein Zuschauer Das Erste sah, entfiel dabei auf den Sport. Dass der Fußball den größten Anteil an der Sportberichterstattung einnimmt, ist wenig überraschend: Von 444 Stunden Live-Sport im Jahr 2012 entfielen immerhin 97 Stunden auf den Fußball. Die Wintersport-Berichterstattung machte 158 Stunden aus, für die sonstigen Sportarten blieben 188 Stunden übrig.

Wenn Fußball 97 Stunden in der ARD lief und Wintersport 158 Stunden, was hat dann den größten Anteil? Jedenfalls nicht der Fußball, wie DWDL behauptet. Zählt man alle Stundenlängen der Übertragungen der hier genannten Sportarten zusammen, kommt man übrigens auch nicht auf die angeführte Gesamtzahl von 444 Stunden. Vielmehr ist eine Stunde abhanden gekommen. Oder sie dreht eine Strafrunde beim Biathlon.

Also: Neue Kosten-Transparenz bei der ARD, dafür weniger Zahlen-Transparenz bei DWDL.

Buchmesse warum?


15 Okt

Am Wochenende ist also die Frankfurter Buchmesse wieder einmal erfolgreich zu Ende gegangen. Entgegen dem Lamento der vergangenen Jahre, all den Abgesängen auf das Medium Buch, wurde in diesem Jahr zarte Hoffnungsstimmung verbreitet. So sind die Umsatzzahlen des stationären Buchhandels erstmals wieder leicht gestiegen.

Die Lust am Buch scheint indes ungebrochen: Jedenfalls was das Bücherschreiben angeht. An die 280 tausend Besucherinnen kamen nach Frankfurt, um sich die über 90 tausend (deutschen!) Neuerscheinungen anzusehen. Die Zahl der neu herausgebrachten Bücher in Deutschland ist damit seit Jahren gleichbleibend hoch — trotz aller Unkenrufe. Ob all diese Bücher auch gelesen werden, ist eine andere Frage. Denn die Werbebudgets der Verlage konzentrieren sich, auch das seit Jahren, auf einige wenige besonders umsatz- und gewinnversprechende Titel.

Dass E-Book war wieder einmal großes Thema auf der Messe. Aber wann wird eigentlich mehr daraus als nur ein Thema? Ich sprach mit „meiner“ Lektorin bei der sympathischen „Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt“. Sie berichtete, dass sich während ihrer Messetage genau ein einziger (!) Besucher für E-Books interessiert habe. Schlecht für die Wälder, gut für den Buchhandel: Bücher wird es auch im kommenden Jahr auf totem Holz, vulgo: Papier geben.

Dass Aufmerksamkeit bei einer solchen Messe das heikelstes Gut ist, kann man immer wieder an den Werbeslogans und -Maßnahmen beobachten. Einen eigenartigen Trend auf dem Buchmarkt scheine ich festgestellt zu haben: Buchautoren nehmen sich vermehrt der ganz großen Themen an. Sie versuchen sich, aus der einen oder anderen Perspektive, am großen Warum. Zwar ist die Kausalität in der Philosophie schon vor hundert Jahren beerdigt worden. Doch das ficht unsere Schriftsteller nicht an:

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Ja, warum verhält sich das alles nur so? Warum schreiben Leute solche Bücher? Und sind die Gründe vielleicht immer dieselben? Ist also der Grund, warum es die Welt nicht gibt, womöglich derselbe wie der, warum wir Menschen töten und uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen? Das werde ich bei nächster Gelegenheit mal einen Bananenkrümmer fragen.

 

Die Schmidtchen-Schleicher-Art im Journalismus


09 Okt

Der Journalismus finanziert sich über Werbung. Dennoch (oder gerade deswegen) müssen redaktioneller Inhalt und Anzeigenteil streng getrennt werden. Werden sie aber nicht immer. Denn Werbung gilt aus verständlichen Gründen bei den LeserInnen nicht als sehr glaubwürdig. Schafft es die Werbeindustrie dagegen, werbende Aussagen im redaktionellen Teil unterzubringen, dann steigt die Glaubwürdigkeit und damit die Amortisation enorm. Und die Werbeindustrie schafft das häufig ganz einfach, nämlich durch Geldzahlungen oder andere gute Geschäfte, zum Beispiel Koppelungsgeschäfte. Dabei wird die Schaltung einer Anzeige daran „gekoppelt“, dass die Redaktion über die Firma oder deren Produkt auch etwas Journalistisches bringt.

schleichwerbung_MDrei krasse Fälle habe ich in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift M – Menschen Machen Medien dargestellt. Dabei verwundert es einen vielleicht gar nicht mehr, dass das Reisemagazin Business Traveller oder das TV-Heftchen rtv auf unbillige Art redaktionellen Inhalt und Werbung vermischen. Aber dass offenbar auch die seriöse Süddeutsche Zeitung in ihrem Magazin recht unverhohlen solche Produkte ins Bild rückt, die gleichzeitig großformatig beworben werden, verwundert schon. Mein Artikel dazu ist online hier einzusehen:

„M“: Schleichpfade. Werbung mit redaktionellem Mäntelchen – drei markante Beispiele

Einige krasse Fälle hat auch der Blog Topfvollgold, der sich vor allem mit der Regenbogenpresse beschäftigt, gesammelt.

Nachbetrachtung zur Wahlberichterstattung


09 Okt
Wahlplakat der SPD 1949 (Quelle: Wikimedia)

Wahlplakat der SPD 1949 (Quelle: Wikimedia)

Bundestagswahl und der entsprechende Wahlkampf sind vorbei, auch wenn man bei der aktuellen Presse-Analyse noch nicht so recht den Eindruck hat.  Was gab es Neues? Wie hat sich der Wahlkampf 2013 von den vorherigen unterschieden? Am Online-Wahlkampf jedenfalls hat es nicht gelegen. Denn der ist vor allem eines, nämlich wirkungslos – auch wenn die Netzbeauftragten der politischen Parteien anderes behaupten. Es gibt keine wissenschaftliche Studie, die einen positiven Einfluss politischer Internet-Aktivitäten auf die Wahlentscheidung nahelegt. Fast sogar im Gegenteil: Beispielsweise im kommunalen Bereich können Onlineaktivitäten sogar hinderlich sein, gefragt sind persönliche Ansprache und das „Kümmern“ um die Belange der WählerInnen. ich habe zu dem Thema einen Gastbeitrag in der Zeitschrift „Disput“ veröffentlicht. Der Artikel kann hier als pdf runtergeladen werden:

„Disput“: Wahlkampf und Kommunikation (pdf)

Eines war doch irgendwie neu, obwohl es andererseits eigentlich ein alter Hut in neuem Gewand ist: Der Haustürwahlkampf. „Canvassing“ ist das Zeitgeist-Wort dafür. Vertreter insbesonderer der SPD und der Grünen sind in Kern-Wahlbezirken buchstäblich von Haustür zu Haustür marschiert und haben politische Überzeugungsarbeit geleistet. die KollegInnen von Politik-Digital sind mitmarschiert und haben eine sehr lesenswerte Reportage darüber geschrieben.

 

Wer sind die Banditen: Politiker oder Journalisten?


02 Okt

Früher hieß es einmal: „Der Geist steht links!“, wenn jemand auf die angeblich vorherrschenden links-liberalen Tendenzen unter deutschen Journalisten abzielen wollte. Heute ist man versucht zu fragen, wieviel Geist überhaupt noch im Journalismus steckt. Zum Beispiel wenn man die vergangenen Wochen der Wahlberichterstattung und die vergangenen Tage der journalistischen Wahlanalysen Revue passieren lässt. Bei den beiden Magazinen Focus und Spiegel jedenfalls scheint, wenn überhaupt Geist im Spiel ist, dann doch derselbe Geist zu herrschen, trotz aller behaupteten Unterschiede in der geistigen Ausrichtung. Wie sonst lässt sich die auffällige Übereinstimmung in den Titelblättern dieser Woche erklären:

Focusspiegelwahl01Kanzlerin und SPD-Vorsitzender als Banditen, die dem armen Bürger das Geld aus der Tasche ziehen wollen? Dass das Steuereintreiben mit Raubrittertum gleichgesetzt wird, ist ein uraltes Vorurteil, das schon im Götz von Berlichingen oder in Kleists Michael Kohlhaas bemüht wird. Das macht es aber natürlich nicht richtiger. Die CDU lehnt Steuererhöhungen nach wie vor ab, während die SPD während des gesamten Wahlkampfs nichts Anderes gesagt hat, als dass sie den Spitzensteuersatz für Gut- und Bestverdiener anheben will. Sie will das übrigens auf gesetzlichem Wege tun und sie hat dafür im Wahlkampf auch einige Argumente gebracht — ob man die gute oder schlecht findet, bleibt natürlich jedem selbst überlassen. Aber sie deswegen als Räuber darzustellen, ist wohl kein Ausdruck von Politikverdrossenheit, sondern könnte umgekehrt zu Journalismusverdrossenheit führen.

In der heißen Phase des Wahlkampfs haben mir Politiker fast leid getan. Mein Eindruck war, dass sie wirklich gerne über Politik gesprochen hätten, dass aber genau das gerade von Journalisten nicht sehr goutiert wurde. Ich war auf verschiedenen Wahlkampfveranstaltungen der unterschiedlichen Parteien, ich habe „meine“ Kandidaten in unserem Stadtteil getroffen und erlebt und ich habe mir die Spitzenkandidaten und ihre Reden bei größeren Veranstaltungen in Köln angehört. Was ich erlebt habe, waren eigentlich durchweg überlegte Leute, die für ihre Positionen recht gute Argumente vorgetragen haben. Ich fand „in den Medien“ aber leider nur wenig davon wieder. Besonders im Fernsehen schien man doch lieber Wahlkampfpannen, Stinkefingerfotos und Allzumenschliches zu bemühen. Nüchterne Fakten und Zahlen waren da Sache der Journalisten nicht, und wenn, hatten sie große Mühe, sie richtig zu interpretieren. Um nur ein kleines Beispiel zu nennen: Angela Merkel hat nicht die Wahl gewonnen. Zur Wahl stehen in der Bundesrepublik Deutschland nämlich nicht Personen, sondern Parteien. Auch die CDU hat nicht „die Wahl gewonnen“, sie hat bislang „nur“ relativ an Stimmen und Sitzen dazugewonnen. Was sie daraus macht und ob Angela Merkel ihre Wahl noch gewinnt, nämlich die im Deutschen Bundestag von der Mehrheit der Abgeordneten, wird sich erst noch zeigen.

Personalisierungen sind vor allem für den Journalismus schön: Denn über Personen erzählt man Geschichten, und Journalisten wollen vor allem Geschichten erzählen. Dagegen ist auch nichts einzuwenden, denn Geschichten sind unterhaltsam, und über die Unterhaltungsfunktion lassen sich dann auch Inhalte und Sachthemen besser an den Mann und an die Frau bringen. Aber wenn man es natürlich bei den personalisierten Geschichten belässt und die Sachverhalte dahinter außen vor lässt, ist das problematisch. Denn der mündige Wahlbürger will zwar vielleicht auch unterhalten werden, er hat aber auch ein deutlich größeres Interesse an den politischen Inhalten, als Journalisten ihm zutrauen. Dass haben beispielsweise die beiden Wahlarena-Sendungen der ARD gezeigt, in der Bürgerinnen und Bürger den Spitzenkandidaten Fragen stellen konnten, und sie haben das ausnahmslos gut getan.

Der Medienjournalist Stefan Niggemeier hat ein sehr lesenswertes Interview mit dem TV-Zampano Friedrich Küppersbusch geführt. Küppersbuch sieht gerade im Einnehmen einer Haltung das Rettungsboot, mit dem der (TV-)Journalismus sich über Wasser halten könnte. So wie Küppersbusch selbst es in den Wochen vor der Wahl im WDR Fernsehen mit seiner Sendung Tagesschaum vorgeführt hat:

Wir verorten uns in meinem Verständnis nicht zwischen links und rechts, sondern es geht um den Unterschied Haltung / keine Haltung. Und ich glaube, in der Haltung liegt eindeutig das solide aufgepumpte Schlauchboot, in das eines Tages auch die Öffentlich-Rechtlichen hüpfen müssen. Diese ganzen Talkshow-Panels sind doch alle da, damit am Ende der Moderator sagen kann: »Ich gebe Ihnen allen recht.« Da kommst du haltungsfrei durch.

Also, wieder ein bisschen mehr Geist im politischen Journalismus: Das wäre wünschenswert. Auf welcher Seite dieser Geist steht, ist dann fast eher zweitrangig.

P.S.: Ich sehe gerade, dass Stefan Niggemeier auch in seinem Blog sich mit diesen beiden Magazin-Aufmachern beschäftigt und sie zum Teil auch inhaltlich analysiert. Empfehlenswert!

 

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter