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Kölner Stadtanzeiger: Trennung von Bericht und Kommentar nicht so wichtig


23 Jul

Die Trennung von Bericht und Kommentar im Journalismus ist in Deutschland erst jüngeren Datums. Schon lange vor der NS-Zeit war Presse hierzulande Meinungspresse, häufig sogar Parteipresse. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg hat man sich in (West-)Deutschland dem anglo-amerikanischen Stil der objektiverenden Berichterstattung mit klarer Trennung von berichtenden Darstellungsformen und solchen eher meinungsbildenden (oder: -formulierenden) Typs angepasst. Jedenfalls auf dem Papier. Oder noch nicht mal da?

Jedenfalls ist diese Trennung im Alltag schwer aufrechtzuerhalten. Was ist eine Wertung? Was ist eine Meinung? Und was ist keine? Hinter jeder Vokabel kann eine Wertung stecken, jedes Adjektiv ist die auch subjektive Beimessung von Eigenschaften, die jemand anders eben, naja, anders sehen könnte.

Auch der Kölner Stadtanzeiger gibt vor, Kommentar und Bericht zu trennen. So gibt es eine eigene Seite im ersten Buch, meistens die Seite 4, die explizit „Meinung“ überschrieben ist. Und auch im Sportteil, etwa in der gestrigen Ausgabe, gab es einen Text, der mit „Kommentar“ gekennzeichnet war: Es war eine Stellungnahme von Sportredakteur Frank Nägele zum Wechsel des Fußballers Mario Götze zu Borussia Dortmund. Auf der gleichen Seite des Sportteils gab es aber auch einen Beitrag über die Bezahlung von TV-Experten bei Fußballübertragungen von Cristiane Mitatselis unter der Überschrift „Neues aus der Welt der überbezahlten Experten“.

Als Kommentar ist dieser Beitrag nicht gekennzeichnet. Es soll sich also wohl um einen sachlichen, „objektiven“ Bericht handeln. Schon diese Überschrift macht jedoch stutzig, weil das Adjektiv „überbezahlt“ natürlich eine ziemlich starke Wertung enthält. Und dann findet man im vorletzten Absatz eine ganze Reihe Fragen:

Fußball ist der Sport, den alle sehen wollen. Aber müssen auch die Kosten rundherum so hoch sein? Müssen die Sender Stars um jeden Preis einkaufen? Müssen sie den Gehalts-Irrsinn, der den Profi-Fußball beherrscht, in den TV-Bereich übertragen? Sollten sie nicht vielmehr nachvollziehbare Honorar-Sätze festlegen – und im Zweifelfall auf teure Stars verzichten?

Der Fragesatz ist in journalistischen Texten besonders intrikat: Wer etwas zu berichten hat, der spricht in Aussagesätzen, nicht in Fragesätzen. Was also machen Fragen, außerhalb von Interviews, überhaupt in journalistischen Texten? Haben sie dort etwas zu suchen? Sollte jemand fragen stellen, der nur Tatsachen konstatieren möchte?

Nein. Wer Fragen stellt der wertet, er stellt nämlich etwas in Frage. Die journalistische Frage ist darum ein versteckter Kommentar. Nicht nur implizit, sondern explizit macht die Autorin dann so meinungsschwanger weiter:

Für ARD und ZDF müsste Transparenz verpflichtend sein. Sie sollten erläutern, welche Personalpolitik sie verfolgen. Das beleidigte Schweigen der Sender kann nicht die Antwort sein. So wird es neue Enthüllungen geben, neue schockierende Honorar-Zahlen. Und immer mehr zu recht empörte Zuschauer.

„Müssen“, „sollen“, „schockierend“, „empört“: Die Sachebene neutraler Berichterstattung ist hier längst verlassen. Hier werden nicht Tatsachen dargestellt, sondern Handlungsmaximen formuliert, Empfehlungen gegeben, Normen aufgestellt. Das ist prinzipiell nicht ungehörig, sollte dann aber eben doch als Meinungsbeitrag kenntlich gemacht werden: Das wäre fair dem Leser und der Leserin gegenüber. Geschmäckle bekommt ein solch tendenziöser Beitrag dadurch, dass Zeitungsverlage gegenüber Fernsehsendern ja keine neutralen Beobachter sind, sondern sich häufig als Konkurrenten oder gar Gegner verstehen — Stichwort Tagesschau-App, Verleger-Fernsehen, Lokalberichterstattung etc.

Zeitungen dürfen und sollen Fernsehsender kritisieren, öffentlich-rechtliche zumal. Aber sie sollten ihre Kritik dann auch als solche kenntlich machen. Sonst geht der (Tor-)Schuss nach hinten los.

Postscript: Das an dieser Stelle verwendete Foto von Günter Netzer und Gerhard Delling vor einer ARD-Wand habe ich zwischenzeitlich entfernt. Die „dpa-Picture Alliance“ fand es angemessen, Rechte an diesem Bild zu reklamieren und mich deswegen abzumahnen. Schade, dass die Deutsche Presse-Agentur (dpa) auf diese Weise mit Bloggern umgehen muss, die nicht-kommerzielle Seiten führen, um dem Journalismus qualitativ ein bisschen auf die Sprünge zu helfen.

Kölner Silvesternacht: Polizei und Medien sind auf den Hund gekommen


09 Jan
Kölner Polizei ist auf den Hunde gekommen? (Foto: Haarkötter)

Ist die Kölner Polizei auf den Hund gekommen? (Foto: Haarkötter)

Irgendwie kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Übergriffe und Geschehnisse einer Silvesternacht rund um den Kölner Hauptbahnhof gerade zur rechten Zeit passierten. Diejenigen, die ohnehin schon immer der Meinung waren, dass die arabischen Flüchtlinge, die vermehrt seit letztem Jahr nach Deutschland gekommen sind, frauenfeindliche und gesetzesbrecherische Subjekte seien, dürfen jetzt ihre Urteile und vor allem ihre Vorurteile bestätigt fühlen. Andere bilden diese Vorurteile jetzt vielleicht allmählich aus.

Was mich aber verwundert, ist das gewaltige Medienecho, dass die Ereignisse mit extremer Zeitverzögerung hervorrufen. Es scheint doch fast, nicht nur die Kölner Polizei und ihr mittlerweile beurlaubter Polizeipräsident Albers, sondern auch größere Teile der Medien seien auf den Hund gekommen. Schließlich ist die Informationslage nach wie vor spärlich: Offenbar waren in der Kölner Silvesternacht nicht nur keine (oder kaum) Polizisten in der Millionenstadt am Rhein unterwegs, sondern auch keine Journalisten — obwohl gefühlt doch jeder Zweite in dieser Stadt „irgendwas mit Medien“ macht.

Das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) meinte sogar, sich entschuldigen zu müssen, weil sie „zu spät“ über das Geschehene berichtet haben:
ZDF_Entschuldigung_FB2016Eigentümlich auch die Berichterstattung des Kölner Stadtanzeigers. Immerhin hat er (anders als das ZDF) schon in seiner Montagsausgabe berichtet, und dabei sogar bereits das Verhalten der Polizisten thematisiert. Doch der Aufmacher der folgenden Freitagsausgabe ließ mich doch die Stirn kratzen. „Herkunft von Verdächtigen in Köln vertuscht“ behauptet die Schlagzeile. In der Zeile darunter heißt es dann aber: „Interne Polizeimeldung wurde bewusst entschärft“. Aber ist denn „vertuschen“ dasselbe wie „entschärfen“?

 

KStA Silvestersmall

Immerhin kann es ja gute Gründe geben, Meldungen zu entschärfen. Etwa um rechten Scharfmachern nicht noch mehr Zunder zu geben. Oder um bestimmte gesellschaftliche Konflikte nicht weiter eskalieren zu lassen. Oder womöglich schlicht, weil etwa die Herkunft von Straftätern schlicht irrelevant für die Straftat ist.

Bei sexuellen Belästigungen könnte es sich immerhin so verhalten. Bemüht man die Statistik (bspw. die des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend), so haben über 58% aller Frauen in Deutschland bereits Situationen sexueller Belästigung erlebt. In den seltensten Fällen waren die Belästiger ausländischer Herkunft. Soll man denn nun Männer deutscher Herkunft, die Frauen sexuell belästigen, auch in sichere oder unsichere Drittstaaten abschieben? Das könnte zu einer erheblichen Dezimierung der männlichen Bevölkerung Deutschlands führen — und ich mutmaße, in den Reihen von Pegida, AFD & Art- sowie Parteigenossen, naja, auch.

Petra Sorge vom Magazin Cicero weist darauf hin, dass die schlechte Informationslage zu gewagten, vor allem aber zu Falschinterpretationen der Medien geführt hat:

Gegen 21 Uhr fielen nach Polizeiangaben etwa 400 Männer auf dem Bahnhofsvorplatz auf, weil sie stark alkoholisiert waren und mit Feuerwerkskörpern auf Passanten schossen. Die Gruppe wuchs bis 23 Uhr auf 1000 Personen an. In keiner der drei bislang veröffentlichten Pressemitteilungen ging die Polizei auf diese große Zahl ein; die Aussage fiel lediglich mündlich auf der Pressekonferenz.Dass diese Zahlen bislang nicht bestätigt sind, darauf wiesen nur wenige Medien hin. Vielerorts wurde die Aussage indes verkürzt. Bei Stern.de heißt es in einer Meldung: „Etwa 1000 Männer versammelten sich in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof. In Gruppen haben sie Frauen umzingelt, sexuell belästigt und ausgeraubt.“

Nein, es waren nicht alle Männer an allen Straftaten beteiligt, wie das diese Nachricht suggeriert, oder wie es die Deutschen Wirtschafts-Nachrichten direkt behaupteten: „Etwa 1.000 Männer haben Frauen belästigt.“ Es sind gefährliche Falschmeldungen, die sich ins öffentliche Gedächtnis fräsen.

Aber gerade das enorme internationale Medienecho ist, so steht zu vermuten, auch durch diese scheinbar großen Zahlen aufgekommen. Etwas mediale Zurückhaltung hätte hier gut getan. Man kommt ja heutzutage so schnell auf den Hund.

Kölner Polizei beim G8-Gipfel (Foto: Haarkötter)

Kölner Polizei beim G8-Gipfel (Foto: Haarkötter)

Kölner Stadt-Anzeiger sieht älter aus als angenommen


23 Jul

Charlemagne_denier_Mayence_812Historiker des Kölner Stadtanzeigers haben in den Untiefen ihres Zeitungsarchivs gegraben und zwischen den längst versteinerten Überresten der “Kölnischen Zeitung” sensationelle Funde zur Regionalgeschichte des Rheinlands entdeckt:

Die Aachener Stadtgeschichte muss wohl neu geschrieben werden. Denn lange vor Karl dem Großen, viel länger als bisher angenommen, kamen die Menschen schon hierher.

Die Formulierung deutet in all ihrem Unglück darauf hin, dass die Aachener Stadtgeschichte mit Karl dem Großen (Kaiserkrönung im Jahr 800 n.Chr.) begönne. Allerdings haben, wie weiter unten im Artikel auch ganz richtig vermerkt wird, schon die Römer um die Zeitenwende in Aachen gesiedelt (und ihr ihren Namen gegeben).

Aber auch, was als eigentliche Sensation in dem Artikel verkauft wird, ist bei näherem Hinsehen keine solche: Dass schon in der Jungsteinzeit auf dem Gebiet des heutigen Aachen gesiedelt wurde, ist, wie schon im entsprechenden Wikipedia-Artikel nachzulesen ist, keine große Neuigkeit. Worin dann überhaupt der Nachrichtenwert dieses von dpa gelieferten Artikels besteht, bleibt unklar.

Stadtgeschichte: Aachen ist älter als angenommen | Kultur – Kölner Stadt-Anzeiger

Journalismus als Marionette der Medien


28 Dez

Dafür, dass der Journalismus innerhalb des Mediensystems nur an einem dünnen Faden hängt, gibt der Kölner Stadtanzeiger immer wieder deutliche Belege. Selten jedoch wird er dabei so explizit wie in der heutigen Ausgabe. Unter der Überschrift „Zwei Höhner stürzen in Orchestergraben“ ist zu lesen:

Von der Nummer mit Hennes und Hannes als Handpuppen war das Publikum besonders angetan.

Artikel mit K-Bezug (K wie Karneval) gehen im K-StA selbstredend besonders gut. Ein Foto der beliebten Karnevalskapelle „Höhner“ sorgt zusätzlich für Aufmerksamkeit und Auflage. Was aber, wenn das Foto etwas ganz anderes zeigt, als der Artikel behauptet?

Ausschnitt: Kölner Stadtanzeiger vom 28.12.2011

Das Bild zeigt es doch überdeutlich: Nicht „Handpuppen“, sondern Marionetten halten die beiden Musiker in Händen. Es weist sich eben doch allzu deutlich: Auch der Journalismus ist in manchen Verlagshäusern nur die Marionette der Medien.

Tiefhängende Hose beschädigt Sprache


05 Sep
Baggy Pants (Foto: Wikimedia)

Baggy Pants (Foto: Wikimedia)

Schon dumm gelaufen. Nicht aber für den Sänger einer Punkband namens „Green Day“, sondern für die, die unbesehen dpa-Meldungen nachdrucken:

Rockstar Billie Joe Armstrong (39), Frontmann der Punkband Green Day („Boulevard of Broken Dreams“), ist aus einem Flugzeug verwiesen worden – weil er sich geweigert hatte, seine tief sitzende Hose hochzuziehen.
(Bild.de)

Wie immer man diese Mode findet — immerhin tragen sich für progressiv haltende (Berufs-) Jugendliche ihre Hosen schon so geraume Zeit auf Halbmast, das der traurige Anblick beinahe als konservativ zu bezeichnen ist: Man wird — Hose hin, Hose her — nicht „aus einem Flugzeug verwiesen„, sondern bestenfalls „eines Flugzeugs verwiesen“. Agentur-Meldungen, egal wie bunt sie auch klingen, sollten eben nicht leichtfertig übernommen werden. Auch Tickernachrichten darf man redigieren, wenn man sich noch eine Redaktion leistet und der deutschen Sprache die Ehre erweisen möchte, die sie verdient. So schreibt der Spiegel völlig korrekt über den Hosenmatz:

Der Green-Day-Frontmann Billie Joe Armstrong musste deswegen ein Flugzeug verlassen.

Wer dpa-Meldungen nachdruckt und nicht verfälscht, wird mit Sprachkritik nicht unter zwei Duden bestraft. N-TV-Nachrichten greifen ebenfalls korrigierend in den Tatbestand ein:

US-Rocker Billie Joe Armstrong, Frontman der Punkband Green Day, ist im Streit um tief hängende Hosen von Bord eines Flugzeugs gewiesen worden.

Beim Kölner Stadtanzeiger dagegen ist „gut gemeint“ wieder mal nicht „gut gemacht“. Im Online-Artikel wird (anders als in der Printausgabe) korrekterweise aus „verwiesen“ ein „gewiesen“. Doch ach! die Überschrift lautet:

Hängende Hosen: Green Day-Rocker von Flugzeug verwiesen

Für so etwas gab es früher einen Verweis! Wenn einer sich elegant ausdrücken will und dabei stolpert, muss es eben nicht an der Hose liegen.

Kölner Stadtanzeiger: Absturz als Dauerlauf


05 Aug

Wie geht das eigentlich? Folgendes ist heute im Kölner Stadtanzeiger zu lesen:

An den Börsen greift die Sorge vor einer erneuten Rezession um sich: Der Dax stürzte den siebten Handelstag in Folge ab.

 Mal völlig davon abgesehen, dass es korrekterweise „Sorge um“ und nicht „Sorge vor“ heißen müsste! Und dass Sorgen nicht „greifen“ können! Und auch völlig davon abgesehen, dass dieses „in Folge“ Gerede schlimmster Sportreporter-Sprech ist, der da schon nicht schön ist! Wie geht das eigentlich: Sieben Tage „in Folge“ abstürzen? Kam der Dax denn jeden Abend wieder auf die Beine, wenn er tags zuvor mal wieder abstürzte? Abstürzen ist doch einer dieser Vorgänge, die genau ein einziges Mal geschehen können. Auch Reinhold Messner kann nur ein einziges Mal vom Mount Everest abstürzen, aber bestimmt nicht sieben Mal „in Folge“. Eines steht fest: irgend jemand ist da ganz unten angekommen. Womöglich sogar der Kölner Stadtanzeiger selbst.

Algenpest: Erstunken oder erlogen?


03 Aug

Algen unterm Elektronenmikroskop (Wikimedia)

Pünktlich zur Ferienzeit und damit rechtzeitig fürs journalistische Sommerloch, das mit jedem auch noch so unausgegorenen Quatsch gefüllt werden muss, ist in der Bretagne die „Algenpest“ ausgebrochen. Lesen wir, was der Kölner Stadtanzeiger dazu schreibt:

Die Algen selbst sind nicht giftig, aber sie entwickeln beim Vermodern Gase.

So weit, so stinkig. Aber wie geht der Artikel unmittelbar im Anschluss weiter:

Einige Dutzend Wildschweine sollen inzwischen daran verendet sein.

Giftig sind die Algen also nicht, aber Tiere verenden doch daran!? Oder sind die armen Kreaturen am üblen Odor buchstäblich „erstunken“? Das wäre jedenfalls eine gute Antwort auf die Frage, warum so vieles in unseren Zeitungen erstunken und erlogen wirkt.

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter