Archive for Oktober, 2015

Subventionen für den Journalismus


28 Okt
Bild: Bernd Kasper/Pixelio

Bild: Bernd Kasper/Pixelio

Im Journalismus wird viel mehr subventioniert, als einem lieb ist.

Das merkt man gerade wieder im Zuge des VW-Skandals, bei dem der Wolfsburger Autobauer Volkswagen durch Software-Manipulationen den echten Stickoxid-Ausstoß verschiedener Dieselmodelle verschleiert hat. Diesel ist in Deutschland an den Zapfsäulen deutlich günstiger als normales Benzin. Für Journalisten ist klar: Das ist eine Subvention.

VW-Abgasskandal: Warum wird Diesel subventioniert? (Handelsblatt)
Vier Argumente gegen weitere Diesel-Subventionierung (Zeit)
Steuervorteile für Diesel: Subventionen für Dreckschleudern (taz)

Zugegeben, es gibt keine eindeutige Definition des Begriffs Subvention. Aber das heißt noch nicht, dass jede Einkommensquelle, die der Staat nicht erschließt, gleichbedeutend ist mit einer staatlichen Beihilfe. Dann könnte man nämlich auch behaupten, dass der Staat Luft subventioniert, weil darauf keine Steuer erhoben wird. Dass der Staat also eine niedrigere Steuer für eine bestimmte Kraftstoffart nimmt, ist zwar eine Steuererleichterung, aber deswegen noch lange keine Subvention. So wie es keine Subvention ist, wenn der Staat Verheiratete mit Kindern niedriger besteuert als Singles ohne Kinder. Es gibt auch keine Steuern auf Blattgrün, trotzdem subventioniert der Staat nicht den deutschen Wald. Er sollte vielleicht mal damit anfangen, den Wald zu unterstützen, dann aber nicht mit Subventionen, sondern mit intelligenteren Mitteln.

Journalismus auf der Flucht


10 Okt
Ausschnitt: Bild vom 8.10.2015

Ausschnitt: Bild vom 8.10.2015

Wann ist der deutsche Journalismus eigentlich … gut geworden? Der deutsche Journalismus hat sich in einer Weise der Flüchtlings-Thematik angenommen, dass man ihn beinahe selbst auf der Flucht wähnt. Fremdenfreundlichkeit allerorten! Die Süddeutsche Zeitung wähnt uns in historischen Zeiten. Die Bildzeitung packt ihre liebste Waffe aus und startet eine Kampagne (“#refugeeswelcome: Wir helfen”), für die selbst SPD-Chef Siegmar Gabriel Schau läuft. Sogar eine Ausgabe auf Arabisch veröffentlicht der Springerverlag, als ob mehr journalistische Nächstenliebe nicht möglich sei. Selbst dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel will nichts rechtes Zynisches einfallen.

Was ist da nur los? Wie erklärt sich die publizistische xenophile Einheitsfront von Medienhäusern, die sonst doch wenig bis nichts gemeinsam haben wollen außer ihrer gegenseitigen Abneigung? Nun, es ist die Scham. Denn die gleichen Medien, die heute das Schöne, Gute, Wahre beschwören, haben bei der letzten “Flüchtlingskrise” noch in ein ganz anderes Horn gestoßen. Einige Cover des Nachrichtenmagazins Der Spiegel legen hierüber beredtes Zeugnis ab:

Spiegel-Cover 1990er Jahre

Spiegel-Cover 1990er Jahre

Vor allem die Boulevardmedien, allen voran die Bildzeitung, wirkten in den 1990er Jahren noch als Brandbeschleuniger. Die Bild am Sonntag sprach von  den „als Asylbewerber ‚verkleideten‘ Wirtschaftsflüchtlinge[n]“, Bild fragte polemisch: „Für wie dumm hält man die Deutschen eigentlich?“ und titelte: titelte: „Sensationelle Umfrage. Asyl: Grundgesetz ändern! 98 % dafür“.

Bild-"Schlag"-Zeilen in den 1990er Jahren

Bild-„Schlag“-Zeilen in den 1990er Jahren

Perfiderweise wurden die Forderungen nach Verfassungsänderung — die schließlich auch von der SPD mitgetragen wurde und unter anderem zu jener „sicheren Drittstaaten-Regelung“ führte, die der Bundesrepublik Deutschland heute auf die Füße fällt und von der die SPD nun nichts mehr wissen möchte — mit den fremdenfeindlichen Attacken und Anschlägen in Hoyerswerda, Mölln und Solingen begründet. Der Ausländer war selbst schuld und Deutschland schützt ihn doch nur, wenn er ihn nicht mehr über die Grenze lässt. Ist das perfide? Ja, ist es. Dabei war die Situation mit der heutigen durchaus vergleichbar: Toben heute Bürgerkriege in Syrien und Afghanistan, so damals im ehemaligen Jugoslawien. Die Ablehnung von Flüchtlingen vom Balkan damals wie heute spiegelt auch uralte Ressentiments, die bereits den ersten Weltkrieg befeuerten („Serbien muss sterbien“). Und die damaligen Maßnahmen hatten noch nicht einmal den Erfolg, den Journalismus und Politik sich davon erhofft hatten, was nur wenige so klar ausdrückten, wie die Berliner Zeitung bereits im Jahr 2000:

Die populistischen Töne aus der Debatte um den „Asyl-Kompromiss“ von 1992/93, der die Asylbewerber-Zahlen auf beinahe null brachte, aber die rechtsradikalen Terrorakte keineswegs stoppte, werden immer wieder aufgenommen. Von „Ausländerflut“ und „Überfremdung“ ist zwar meistens nicht mehr die Rede, doch verbale Tabubrüche zielen regelmäßig auf den rechten Rand der jeweiligen Wählerschaft: So ersann Roland Koch von der Hessen-CDU seine Unterschriftenaktion gegen den rot-grünen „Doppel-Pass“, sein Kollege Jürgen Rüttgers aus Düsseldorf zog nach mit „Kinder statt Inder“. Erst im Juni forderte Innenminister Otto Schily, die Zahl der Asylbewerber zu „reduzieren“, um eine Zuwanderung zu ermöglichen, „die unseren Interessen entspricht“. Und Kanzler Schröder, heute stolz auf die „Green Card“, thematisierte als SPD-Kandidat 1997 die so genannte Ausländerkriminalität: „Wer unser Gastrecht missbraucht, für den gibt es nur eins: raus, und zwar schnell.“

Die Liste ließe sich verlängern: Die CSU machte 2013 mit der Forderung nach einer „Ausländer-Maut“ Wahlkampf, nur weil das Wort „Ausländer“ nach rechtsbayerischem Verständnis in Wahlkämpfen immer zieht. Zu den beliebten sprachlichen Manövern fremdenfeindlicher Ideologie zählt die rhetorische Figur des „Das-wird-man-doch-noch-sagen-dürfen“. Sie reicht zurück in die Epoche der bundesrepublikanischen Sprachlosigkeit angesichts der Nazi-Barbarei mit Adornos berühmtem Auschwitz-Verdikt („Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“). Das Paradoxe daran ist, dass die Figur ein Sprechverbot ausdrückt, das gar nicht existiert (außer was moderne Lyrik angeht, in deren Sprache rechtspopulistische Kreise sich eher selten ausdrücken). Was wird man denn schon noch sagen dürfen? Welche Meinung, welcher Sachverhalt wird in der journalistischen Berichterstattung eigentlich vermisst?

Der Begriff „Asylantenschwemme“ reicht beispielsweise weit hinter die 1990er Jahre zurück. Das Wochenblatt Die Zeit schrieb schon 1981 von der „Asylantenschwemme“: Damals stöhnte man journalistisch über 120 bis 150 Immigranten, die täglich vor allem aus Ceylon, dem heutigen Sri Lanka, einwanderten. Auch das Hamburger Abendblatt aus dem Hause Springer schrieb bereits 1983 über die „Asylantenschwemme“ und konstatierte eine „[g]rundsätzllche Übereinstimmung in Fragen der Asylanten- Verminderung“ bei den Parteien. Und der Spiegel titelte schon 1986: „Asyl – Bis an die Grenze des Zulässigen“ und stellte, verpackt in einen unschuldigen Fragesatz, die Forderung nach einer Verfassungsänderung: „Hunderte von Flüchtlingen begehren jede Woche Einlaß in die Republik – Grund für eine Änderung des Grundgesetzes?“

Bild, 29.09.2015

Bild, 29.09.2015

Bild gibt sich also heute humanistisch und porträtiert Menschen, die „Flüchtlingen das erste Lächeln“ schenken. Ist das etwa Bild-Chefredakteur Kai Diekmanns neuer Kurs, dem man schließlich die ausländerfeindliche Berichterstattung der 1990er Jahre nicht anlasten kann, da er zu diesem Zeitpunkt noch damit beschäftigt war, sich als Burschenschaftler zu schlagen und sein Studium abzubrechen? Wohl kaum. Denn es ist noch nicht lange her, da tönte die Bildzeitung noch ganz anders und bezeichnete es als „bittere Wahrheit“, dass Libanesen und Türken „Stütze vom Staat“ bekämen:

Bild aus dem Jahr 2010

Bild aus dem Jahr 2010

Und noch im vergangenen Jahr koloportiert die Bildzeitung, dass Helfer Schutzwesten tragen müssten, wenn sie ein Flüchtlingsheim in Dresden betreten — eine Berichterstattung, die mittlerweile auch vom Deutschen Presserat gerügt worden ist.

Bild vom 08.09.2014

Bild vom 08.09.2014

Aber womöglich ist es ja bloß die Bildzeitung, die ihr fremdenfeindliches Ressentiment nur mühsam verbergen kann. Der breite Rest der Berichterstatter dagegen hat vielleicht wirklich die Volte von der Xenophobie zur Xenophilie hinbekommen. Wirklich?

Es scheint, dass nicht der deutsche Journalismus, aber dafür die deutsche Gesellschaft verändert hat. Ausländerfeindlichkeit scheint am Zeitungskiosk einfach nicht mehr die Verkaufserfolge zu zeitigen wie annodazumal. Die Presse verhält sich hier offenbar einfach populistisch, aber eben nicht mehr rechtspopulistisch. Sie handelt nicht aus innerer Überzeugung, weil sie wirklich ihre „vierte Gewalt“ und ihre gesellschaftliche Verantwortung für Willkommenskultur und Integration einsetzen wollte, sondern weil es sich gerade besser verkauft. Und passt man nicht auf, rutscht sie wieder ins alte Fahrwasser der Xenophobie.

Etwa wenn es um scheinbar nackte Zahlen zur mutmaßlichen „Flüchtlingskrise“ geht. So war in vielen Zeitungen in den vergangenen Wochen eine Statistik abgebildet, wie sich die Flüchtlingszahlen seit den 1990er Jahren entwickelt haben soll:

Boot_Stat01

Wie der Bildblog gezeigt hat, ergeben die Zahlen ein ganz anderes Bild, wenn man die Zeitreihe ein kleines bisschen verlängert. Dann sähe die Statistik in Wirklichkeit nämlich so aus:

Statistik: Bildblog

Statistik: Bildblog

Die schöne Literatur erzählt nach Ansicht einiger Erzählforscher nur eine einzige Geschichte, nämlich die einer langen Reise, der Heldenreise oder englisch Quest. Wer erzählt aber die Geschichte der Reisenden, die nun aus Nigeria und Irak, Syrien und Afghanistan in Europa anlanden? Wo ist der Roman über „Refugees Welcome“? Der Journalismus beschränkt sich auf Wasserstandsmeldungen. Die Helden, die er findet und über die er erzählt, sind nicht die Reisenden, sondern die Zuhausegebliebenen: Aufopfernde Helfer, freiwillige Retter, überforderte Grenzer. Das Reservoir an Geschichten, die der Journalismus (oder, wer weiß, die schöne Literatur) erzählen könnte, ist noch lange nicht ausgeschöpft. Doch dazu müsste der Journalismus sich auf eine lange Reise machen …

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter