Karl Kraus und die Phrasendrescher

02 Sep

Untergang der Welt durch Schwarze Magie: Mit dieser Losung formulierte der Wiener „Anti-Journalist“ Karl Kraus am Anfang des 20. Jahrhunderts seine Absage an ein Medium, welches für ihn die „Usurpierung der sprachlichen Machtmittel durch Schurkerei und Idiotismus“ symbolisierte. „Schwarze Kunst“, das war das Synonym für die Buchdruckerkunst, deren geistige Depravierung sich in der „Magie“ ausgedrückt sah, dem Irrenhaus näher als der Akademie, dem Irrationalen näher als der Aufklärung, der Lüge näher als dem Wirklichkeitssinn, kurz: das Zeitungswesen. Ohnmächtig müsse man zusehen, schreibt Kraus, wie „die entleerten Formen des Geistes zum Ornament des Schwachsinns, zum Aufputz der Niedertracht taugen“. Schärfer ist wohl niemand, als Karl Kraus, mit der Zeitung ins Gericht gegangen. Da gab es keine Rettung mehr, keine Verbesserung und keine Reform, die den Wiener Kritiker für irgendeine Form von Zeitung hätte einnehmen können. Der Untergang der Welt war überhaupt nur aufzuhalten durch den Untergang der gesamten Presse:

„Wenn mein Blick ein Zeitungsblatt durchfliegt – und nie noch hat er darin lustwandelt -, so ergreift er, ohne mehr an der selbstverständlichen moralischen Verworfenheit zu haften, eine solche Fülle von Beispielen gedanklicher und sprachlicher Mißform, daß mir für die Zukunft einer Nation, die diesen Unflat als geistige Nahrung zu sich nimmt, nur die Hoffnung bleibt, sie werde bei fortschreitender Verblödung schließlich nicht mehr imstande sein, zu lesen – was dann den Ruin der Presse, und in weiterer Folge die geistige Erholung der Menschheit herbeiführen wird“.

Kraus’ Verhältnis zur Presse, so ätzend er sich über sie äußerte, lässt sich nicht anders denn als ambivalent bezeichnen, war er doch selbst als Autor und Herausgeber seiner eigenen Zeitschrift teil jener „Magie“, die er vorführte. Im April 1899 war in Wien die erste Ausgabe der Fackel erschienen, ein epochales Ereignis, wie Zeitzeugen sich erinnern: „Und es kam – Eines Tages, soweit das Auge reicht, alles – rot. Einen solchen Tag hat Wien nicht wieder erlebt. War das ein Geraune, ein Geflüster, ein Hautrieseln! Auf den Straßen, auf der Tramway, im Stadtpark, alle Menschen lesend aus einem roten Heft“.
Die Fackel ist in der Pressegeschichte ein einmaliges Unternehmen. 922 Ausgaben hat Karl Kraus von 1899 bis 1936 als Herausgeber und seit 1904 als alleiniger Autor herausgegeben und selbst geschrieben. Seine politische Haltung ist schillernd, seine Positionen angreifbar, immer aber – und über welchen anderen Schriftsteller oder Herausgeber könnte man das sagen – ist er sich selbst und dem von ihm aufgestellten Programm treu geblieben. In der Vorrede zur ersten Ausgabe der Fackel setzt Kraus dem reißerischen »Was wir bringen« der Zeitungen seine Kampfansage »Was wir umbringen« entgegen:

„Was hier geplant wird, ist nichts als eine Trockenlegung des weiten Phrasensumpfes, den andere immerzu national abgrenzen möchten. Mit Feuerzungen (…) predigen die Verhältnisse das Erkennen socialer Nothwendigkeiten, aber Regierende und Parteien wünschen vorerst – mit hinhaltender Berechnung die einen, in leidenschaftlicher Verblendung die anderen – die Kappenfrage der Prager Studenten erledigt zu wissen“.

Ambivalent ist Kraus’ Haltung, weil er selbst, bevor er die Fackel gründete, als Korrespondent für die Breslauer Zeitung gearbeitet und wohl auch um eine Stelle bei der später von ihm so gehassten Wiener Neuen Freien Presse nachgesucht hat. Besagter erster Fackel-Ausgabe fügt der Herausgeber eine Notiz bei, sein Blatt erscheine „bloß dreimal im Monat. So erspart sie sich den bekannten Zeitungsstempel und dem Finanzminister (…) ein schamvolles Erröten“. Kraus entgeht mit dieser Maßnahme nicht nur der damals im österreichischen Kaiserreich herrschenden Pressezensur. Er grenzt sich auf hochironische Art auch von der periodisch erscheinenden Tagespresse ab, zu der er keinesfalls gehören will.
Das Austrocknen des „Phrasensumpfs“ der Zeitungen, gegen den Kraus zeit Lebens anschreibt, ist nicht nur Sprachkritik. Die betreibt Kraus auch und das auf seitdem nicht mehr erreichtem Niveau, dem gegenüber sich heute die vielgelesenen „Zwiebelfische“ eines Bastian Sick wie brave Schüleraufsätze ausnehmen. Pure Sprachkritik kann formalistisch wirken und führte schon Zeitgenossen zu Kritik an Kraus. So formulierte der Wiener Intellektuelle Albert Fuchs: „Karl Kraus’ Philosophie lehrte, man solle gutes Deutsch schreiben. Sonst lehrte sie nichts“. Und Ulrich Greiner konstatierte, es seien „immer die Halbgebildeten mit der Schulmeisterattitüde, die das Trumpf-As der Sprachkritik aus dem Ärmel“ zögen und dafür den „armen Karl Kraus im beckmesserischen Rucksack“ trügen. Kraus ließen solche Rüffel an seiner Sprachkritik kalt, denn er wollte mit ihr viel mehr und anderes. Die Sprache und ihr Inhalt sind für Karl Kraus eins, und eine Kritik der Sprache darum immer eine Kritik auch der Gegenstände, denn jede schlechte Sache lässt sich auch nur schlecht ausdrücken:

„Die Menschen glauben immer noch, daß der menschliche Inhalt bei schlechtem Stil ein vorzüglicher sein könne und daß sich die Gesinnung ganz separat etabliere. Aber ich behaupte (…), daß nichts notwendiger ist, als solche Leute als Makulatur einzustampfen. Oder es müßte ein Landtag über die Sprache konstituiert werden, der, wie für jede Kreuzotter, für jede erlegte Phrase eine Belohnung aussetzt.“

Der schlechtestmögliche Inhalt in seinem allerübelsten Ausdruck, das boten nach Karl Kraus die Zeitungsjournalisten, die er auch als „Preßköter“ oder „Tintenstrolche“ bezeichnete.
„Keinen Gedanken haben und ihn ausdrücken können – das macht den Journalisten. Journalisten schreiben, weil sie nichts zu sagen haben, und haben etwas zu sagen, weil sie schreiben“.
In lebenslanger Dauerfehde lag Karl Kraus mit der Wiener Neuen Freien Presse und ihrem Herausgeber Moritz Benedikt. Im Rückblick erscheint, wie Kraus-Biograf Friedrich Rothe feststellte, Benedikt beinahe als wehrloser täppischer Kerl, der im Kraus’schen Werk „Mitleid erregt“. Tatsächlich war das Verhältnis der beiden Konkurrenten fast umgekehrt. Dem Einzelkämpfer Kraus stand eine publizistische Macht ersten Rangs gegenüber. Neben der Neuen Freien Presse erschienen in Wien noch quasi regierungsamtliche Blätter wie die Reichspost oder das Deutsche Volksblatt der Christlich-Sozialen Partei, die aber vom liberalen Leitblatt Benedikts, das über ein europaweites Korrespondentennetz verfügte und wirtschaftlich äußerst erfolgreich war, zu „Krähwinkelorganen“ degradiert wurden. Insbesondere der wirtschaftliche Erfolg war es, der Karl Kraus so anrüchig vorkam. Als Industriellenerbe, der keine Honorare nahm und in die Fackel keinerlei Anzeigen rückte, war Kraus wirtschaftlich unabhängig und auf Einkünfte aus seiner schriftstellerischen Arbeit nicht angewiesen. Anrüchig erschien ihm, für eine Spracharbeit, die doch Ausdruck des Geistes ist, Geld zu nehmen, sah er doch in der Verquickung von Lohnerwerb und Geistesarbeit die Desavouierung des einen durch den anderen. Darum unterstellte er, dass es „keine Schlechtigkeit gibt, die der Herausgeber der ‚Neuen Freien Presse’ nicht für bares Geld zu vertreten, und keinen Wert gibt, den er aus Idealismus nicht zu leugnen bereit ist“. Der Zeitungsleser ist aus dieser Perspektive das „Opfer des ewigen Betrugs der vorgesteckten Ideale, hinter denen die täglich zunehmende Verödung und Verblödung als die sichere Kapitalsanlage erkannt wird, die den Parasiten der öffentlichen Meinung und Führung Zinsen trägt“. So weit schätzte Kraus den üblen Einfluß der Zeitungen, dass er ihnen die Schuld am Ausbruch des Weltkriegs gab.

„Wenn die Menschheit keine Phrasen hätte, brauchte sie keine Waffen. Man muss damit anfangen, sich sprechen zu hören, darüber nachdenken, und alles Verlorene wird sich finden. (…) Jede Gedankenlosigkeit, die man spricht, war einmal ein Gedanke.“

Die Kritik am Zeitungswesen geht über die Sprachkritik hinaus. Kraus nimmt das Verhältnis des Zeitungsjournalismus’ zur Wirklichkeit als fundamental gestört wahr. Längst, so Kraus, belässt die Zeitung es nicht dabei, die Wirklichkeit dadurch zu verfälschen, dass sie falsche Tatsachen berichte. Das gravierendere Problem ist, dass in der Zeitung nur noch die Oberflächenphänomene wahrgenommen und als die tatsächlichen ausgegeben werden. Aus dem Schmuck, den Kunst und Literatur zu bieten haben, ist die erlogene und verlogene Ausschmückung geworden. Statt Wahrheit gibt es Zierrat, und das hinterlässt seine Spuren beim Zeitungsleser:

„Die grauenvolle Abbindung der Phantasie durch die Ornamentierung geistiger Nachttöpfe hat hier schon zu jener vollständigen Verjauchung geführt, die der europäischen Kultur im Allgemeinen noch vorbehalten bleibt. Die Zeitung ruiniert alle Vorstellungskraft: unmittelbar, da sie, die Tatsache mit der Phantasie servierend, dem Empfänger die eigene Leistung erspart; mittelbar, indem sie ihn unempfänglich für die Kunst macht und diese reizlos für ihn, weil sie deren Oberflächenwerte abgenommen hat. Die Zeitung ist eine unlautere Konkurrenz, die beim Nachbarn Einbruch begeht und gegen die Kundschaft Gewalt anwendet. Wenn der alte journalistische Typus in den Krieg zog, so log er. Aber er begnügte sich damit, unwahre Tatsachen mitzuteilen. Der neue ist dazu unfähig und stiehlt Stimmungen. Natürlich verfaulen sie in seiner Hand sofort zur Phrase, deren Mißgeruch noch gegen den ersten Erzeuger einnimmt“.

Gegen diese Form geistiger Ausbeutung ist der wirtschaftliche Ertrag, den ein Verleger als Profit einstreicht, zu vernachlässigen:

„Die Korruption, die zwischen Textteil und Anonncenteil Schiebungen macht, ist völlig belanglos neben der Schweinerei, die in allen Rubriken dichtet. Es kommt nicht darauf an, wo, sondern wie ein Händler gelobt wird; es ist besser, wenn im Leitartikel eine Ware empfohlen wird, als wenn ein Jobber dort poetischen Unfug treibt, und es ist besser, wenn im Text die Ware beschrieben, als wenn im Anonncenteil der Händler besungen wird“.

Die Form, die Kraus in der Fackel zur Meisterschaft entwickelt hat, ist die der Glosse. Das Glossieren kehrt bei Kraus zu seinem etymologischen Ursprung zurück, denn nicht die pointierte humorige Darstellung zur gefälligen Belustigung des Publikums ist die Glosse bei ihm (wie etwa heute das Streiflicht in der Süddeutschen Zeitung), sondern eine Übersetzungsleistung. Im Mittelalter waren Glossen Worterklärungen oder Übersetzungen, die über, neben oder den zwischen den Zeilen rätselhafte Textstellen oder unbekannte Ausdrücke erklärten. Man unterschied Interlinearglossen, Marginalglossen und Kontextglossen, und all diese Formen tauchen bei Karl Kraus wieder auf. Es ist das wörtliche Zitat, der Originaltext, den Kraus an erste Stelle setzt und der in seiner Phrasen- und Fehlerhaftigkeit sich selbst desavouieren soll: „Die üble Nachrede, die ich ihren Honoratioren halte, ist nichts als ein gutes Nachreden.“ Die Kraus’sche Übersetzung, die satirische Anmerkung oder die Übertragung in gutes und fehlerfreies Deutsch dienen oftmals nur noch der Zuspitzung: „Mein Amt war, die Zeit in Anführungszeichen zu setzen, in Druck und Klammern sich verzerren zu lassen, wissend, daß ihr Unsäglichstes nur von ihr selbst gesagt werden konnte“. Meisterhaft führte Kraus die Kunst der Glosse zu Zeiten des 1. Weltkriegs aus, dem er als einer der ganz wenigen von Beginn an in tiefster Ablehnung gegenüber stand. Hier beschränkte er sich auf die Wiedergabe von martialischen Schlachtbeschreibungen und setzte diese Blutrünstigkeiten in Relation zur verkauften Auflage, um die Zeitungsmenschen als das zu brandmarken, was sie waren, nämlich als Kriegsgewinnler. Kraus’ bekanntestes literarisches Werk, das Weltkriegsdrama Die letzten Tage der Menschheit, sind eine große und kaum aufführbare Collage aus Zitaten und Phrasen jener „großen Zeit, die ich noch gekannt habe, wie sie so klein war; die wieder klein werden wird, wenn ihr dazu noch Zeit bleibt“. Mit der Glosse ist Karl Kraus der Erfinder der Realsatire. Er lässt die Wirklichkeit der Presse sich selbst überführen. Von seinen heutigen satirischen und komödiantischen Epigonen unterscheidet Karl Kraus, das für ihn die Wirklichkeit nicht komisch war, sondern traurig, sehr traurig. Er selbst nennt sie gar (Fackel Nr. 398): „Zum Kotzen“. Zeitungsmaschinerie und Kriegsmaschinerie, das war für Kraus eine Symbiose: „Nicht erstarrte vor Schreck der Dreck des Lebens, nicht erbleichte Druckerschwärze vor so viel Blut“ (Fackel Nr. 404). Was die Zeitung nicht wollte, weil sie die Zahl der verkauften Soldatenseelen mit der verkauften Auflage in Relation setzte und noch jede kriegslüsterne Propaganda in klingende Münze und jede Schlacht in eine Schlagzeile verwandelte, das nahm Karl Kraus mit seiner Fackel als Recht für sich in Anspruch: Nicht zu erscheinen. Nach Ausbruch des 1. Weltkriegs und dann wieder nach der „Machtergreifung“ Adolf Hitlers stellte Kraus das Erscheinen seiner Zeitschrift jeweils für eine längere Weile ein. Wurde ihm fälschlicherweise die lapidare Bemerkung „Zu Hitler fällt mir nichts ein“ als Kapitulation vor dem Nationalsozialismus angerechnet, konnte der treue Kraus-Leser in der Fackel von 1914 nachlesen, warum für Kraus das Wort ein untaugliches Mittel im Kampf gegen eine gewalttätige Wirklichkeit ist, denn

„in dieser ernsten Zeit, die sich zu Tode gelacht hat vor der Möglichkeit, daß sie ernst werden könnte; von ihrer Tragik überrascht, nach Zerstreuung langt, und sich selbst auf frischer Tat ertappend, nach Worten sucht; in dieser lauten Zeit, die da dröhnt von der schauerlichen Symphonie der Taten, die Berichte hervorbringen, und der Berichte, welche Taten verschulden: in dieser da mögen Sie von mir kein eigenes Wort erwarten. (…) Die jetzt nichts zu sagen haben, weil die Tat das Wort hat, sprechen weiter. Wer etwas zu sagen hat, trete vor und schweige!“

Weiterflüstern ...Share on Facebook0Tweet about this on TwitterShare on Google+0Share on Tumblr0Email this to someonePrint this page

One Response

  1. […] Journalismus und Käuflichkeit, das ist nicht erst seit den Invektiven Kraus’scher Provenienz ein Dauerthema. Aber auch im Krisengebiet journalistischer Selbstverschleuderung sind immer wieder […]

Leave a Reply

Loading Facebook Comments ...

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter