Spiegelgate?

20 Dez

Um vorneweg mal eines festzustellen: Dieses Land und dieses Mediensystem brauchen den „Spiegel“. Die Bundesrepublik Deutschland und das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ hängen so wesentlich zusammen, dass das eine schwer ohne das andere vorstellbar ist.

Da ist der Betrugsskandal um die gefälschten Reportagen eines „Spiegel“-Autors umso schmerzlicher. Es ist schon wahr, auch andere große Medien haben Fälschungs-Geschichten hinter sich, bis hin zur „New York Times“ und dem Skandal um Reporter Jason Blair, den man einst beim „Spiegel“ nachlesen konnte. Aber der „Spiegel“?

Da ist die hochgelobte Abteilung „Dokumentation“. 60 Redakteur/innen haben dort nur die Aufgabe, Fact-Checking zu betreiben und die Beiträge für den „Spiegel“ auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Natürlich steht diese Abteilung nun in Rede, und was der „Spiegel“ zu den möglichen Fehlern dort zu sagen hat, ist irgendwie unbefriedigend:

„Nicht prüfen kann die Dok naturgemäß Dinge, die ein Reporter vor Ort exklusiv recherchiert hat und die bisher unbekannt, also nirgendwo berichtet wurden. Wo Journalisten mit den Protagonisten ihrer Geschichte allein sind, wo sie Vieraugengespräche mit ihren Informanten führen, endet der Zugang der Dok: „Informanten der Redaktion, die Objekt einer Geschichte sind, dürfen nur nach Absprache mit der Redaktion befragt werden“, heißt es in den Verifikationsrichtlinien. Die Dokumentation prüft auch keine Reisekostenbelege und Spesenabrechnungen von Autoren oder checkt nach, ob sie wirklich in dieser Stadt oder jenem Hotel waren, ob die Kilometer auf ihrem Mietwagen zusammenpassen mit den Stationen einer Reise, die ihr Text beschreibt. Nicht nur wäre der Aufwand kaum zu bewerkstelligen. Die Dok hat dazu auch kein Mandat. Ihre Aufgabe ist die Textkontrolle, nicht die Personenkontrolle“.

Naja, wenn Protagonisten erfunden werden und angebliche Interviews nie geführt wurden, kann man nicht von Fact-Checking reden: Es geht dabei auch weder um Text-, noch um Personen-Kontrolle, sondern um Tatsachen-Kontrolle. Wenn Tatsachen in Spiegel-Artikeln nicht stimmen, hat die Kontrolle offensichtlich versagt.

Da hilft es auch nicht, dass der Autor und seine (erschwindelten) Reportagen preisgekrönt sind — im Gegenteil. Hier gilt vielleicht so sehr wie selten sonst das alte Journalistenwort „Je preiser gekrönt, desto durcher gefallen“. Das journalistische und mediale Preiswesen soll ja angeblich zur Qualitätssicherung im Journalismus beitragen — doch die zahlreichen Preise an den Fake-Autor des „Spiegel“ zeigen überdeutlich, dass das nicht der Fall ist. Was hier ausgezeichnet wird, ist die Gefälligkeit eines Beitrags, das „Gutgeschriebene“ an ihm, und was die Preisjurys unseres Mediensystems für auszeichnungswürdig befinden, ist gerade jenes Exzentrische, Ausgefallene und Ungewöhnliche, das eigentlich den Blick dafür schärfen sollte, dass hier vielleicht etwas nicht stimmen könnte: Wenn etwas zu schön scheint, um wahr zu sein, dann ist es eben häufig auch nicht wahr. Claudius Seidl von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung fragt auf Twitter, ob nicht die Darstellungsform der Reportage

„Ob Sätze falsch sind, hat nicht nur mit den Sachverhalten zu tun, die sie angeblich beschreiben. Die ganze Form der sog. Reportage reproduziert das Mißverständnis, man könne Literatur produzieren, ohne das Kleingedruckte zu beachten. Was dann halt Kitsch und Lüge ist.“

Man könnte auch fragen: Trägt nicht die Reportage mit ihrem Gestus des Gelungenen gerade zum Mißlingen bei?

Was nicht nur die Journalistenpreise zeigen, ist, dass im Journalismus alles seinen Preis hat. Dennoch stößt es, bei aller lobenswerten Offenheit, mit dem die „Spiegel“-Redaktion nun den Fake-Skandal aufzuklären versucht, recht bitter auf, dass man auf „Spiegel Online“ neben den langen Aufklärungs-Riemen die nun inkriminierten Reportagen des „Spiegel“-Lügenbarons verlinkt und mit dem „Spiegel-Plus“-Logo deutlich macht, dass aber gefälligst bezahlen soll, wer sich selbst von der Dreistigkeit des journalistischen Betrugs überzeugen will.

Erst die Leser/innen betuppen und sie dann auch noch dafür berappen lassen? Das sieht natürlich unverfroren aus, selbst wenn es vielleicht nur ein Lapsus ist. Solche Bezahlangebote im Online-Journalismus heißen übrigens „Premium“ — darüber würde ich als „Spiegel Online“-Redaktion noch einmal nachdenken. Nein, diese Reportagen müssen natürlich sofort aus dem Angebot des „Spiegel“ heraus oder in einen, selbstredend kostenfreien, eigenen Onlinebereich zur Dokumentation der Affäre.

Ob ich jetzt mein „Spiegel“-Abo kündige? Selbstverständlich nicht. Dieses Land braucht den „Spiegel“, und ich brauche ihn auch, immer Freitag abends als EPaper. Die Gesellschafts-Reportagen lese ich übrigens nur selten — ich schätze eher die Nachrichten in Deutschlands einzigem Nachrichtenmagazin.

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Öffentlich-Rechtliche: „Freie“ diskriminiert

13 Dez

(Foto: Sister72/cc 2.0)

Die „freien Mitarbeiter“ der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten fühlen sich in vielen Fällen von ihren Arbeit- und Auftraggebern diskriminiert. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung erstellt wurde. Rund 2.000 freie Journalist/innen, die für ARD, ZDF oder Deutschlandradio tätig sind, wurden zu diesem Zweck befragt.

27,7% der Befragten gaben an, bei der Arbeit diskriminiert zu werden. Jeder dritte Fall betraf dabei Mobbing, ungefähr jeder fünfte Fall Geschlechterdiskriminierung. Alle Sendeanstalten sind davon betroffen. „Es kann nicht angehen, dass mehr als ein Viertel der Freien bei ARD, ZDF und Deutschlandradio schon Diskriminierung in ihrem Sender erleiden mussten“, kritisiert der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall gegenüber newsroom.de.

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„Junge Freiheit“: False friends

15 Nov

Rechtspostille „Junge Freiheit“: Ungefragt zitiert

Gegen falsche Freunde kann man sich schlecht wehren. Was also tun, wenn man das Richtige geschrieben hat, es aber von den Falschen zitiert wird?

So ist es mir ergangen. In der Fachzeitschrift Medienkorrespondenz habe ich einen kritischen Beitrag über die Beschäftigungsverhältnisse im Westdeutschen Rundfunk (WDR) veröffentlicht. Der löste erst größere Resonanz aus, als die Redaktion ihn zwei Wochen später auch online stellte:

Medienkorrespondenz: Machtmissbrauch mit System

Verschiedene Onlinemedien griffen meine kritischen Ausführungen über den WDR auf, zum Beispiel diese hier:

Meedia: WDR als „ganovenhafter Arbeitgeber“

DJV: Ehemaliger Freier Mitarbeiter erhebt heftige Vorwürfe

Produzentenallianz: MeToo – Außenansicht eines Freien Mitarbeiters

Digitalfernsehen.de: Öffentlich-Rechtliche – Werden Freie Mitarbeiter ausgebeutet?

Beueler Extra-Dienst: MeToo/WDR – Die Debatte ist nicht beendet

Am Wochenende flatterte ein größerer Briefumschlag mit der Post in mein Haus. Darin fand ich zwei „Belegexemplare“ der rechtsextremen Postille „Junge Freiheit“. In diesem von mir in keinster Weise unterstützten oder gutgeheißenen Braunblatt wird aus meinem Beitrag ungefragt und unautorisiert auf der Medienseite ein Satz zitiert und herausgestellt, nämlich:

„Journalistische Kompetenz spielt für eine Karriere in der öffentlich-rechtlichen Hierarchie des WDR nahezu keine Rolle“.

Selbstredend stehe ich nach wie vor zu dieser Aussage, und das aus einem guten Grund: Weil sie wahr ist. Dass die leidigen Fischer im Trüben sich in ihrem rechten Wahn an alles klammern, was ihnen selbst den Nimbus von Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit geben könnte, ändert nichts am Umstand, dass ihre Ideologie wenig Idee und noch weniger Logik enthält. Auch das blinde deutsche Rassehuhn pickt eben hin und wieder mal ein Körnchen Wahrheit. Aber es sei den nicht um Erlaubnis fragenden Zitierern ins Stammbuch geschrieben, dass zwei Stimmen noch keinen Chor ausmachen und dass ein richtiger und ein falscher Ton zusammen immer einen Misston ergeben.

Jenes Argument, man dürfe bestimmte Äußerungen nicht tun, weil man sonst Beifall von der falschen Seite erhalte, habe ich schon immer für falsch gehalten. Man kann sich gegen den falschen Beifall ebenso wenig wehren wie gegen die faulen Eier von der richtigen Seite. Beides muss man als Publizist und als Mensch mit Meinung ertragen, und es bleibt nur zu hoffen, dass am Ende etwas Wünschenswertes dabei herauskommt, nämlich ein Diskurs. Das Problem mit den Ewiggestrigen ist ja, dass sie leider nicht im Gestern geblieben sind, sondern heute leben. Dennoch würde ich jenes Bonmot Konrad Adenauers nicht unterschreiben, wo er gesagt hat: „Nehmen Sie die Menschen wie sie sind, andere gibt’s nicht.“  Nein, wir müssen sie nicht nehmen, wie sie sind: Wir können versuchen, sie zu ändern.

 

 

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Gauland-Kolumne: Hinter der FAZ steckt nicht immer ein kluger Kopf

08 Okt

(Foto: Olaf Kosinsky/Skillshare.eu)

Am Wochenende hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in der Rubrik „Fremde Federn“ einen Gastbeitrag des AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland veröffentlicht. Das sorgt vor allem deswegen für Irritation, weil nichts an dem Beitrag stimmt, sowohl was die Rubrik als auch was den Inhalt angeht.

Als Kolumnist darf ein Gauland schreiben, was er will, ohne dass die Redaktion in den Text inhaltlich eingreift. Gauland ist schlau genug, gegenüber dem bürgerlichen Publikum der FAZ Kreide zu essen und sich selbst als Vertreter von Mittelstand und Mittelklasse zu gerieren. Dabei bekennt er sich zu seinem „Populismus“, darum auch die Überschrift des Gastbeitrags: „Warum muss es Populismus sein?“ Allerdings geht er dann auf das spezifisch Populistische seiner Politik und der seiner Partei, der rechtsextremen AfD, gar nicht weiter ein. Er behauptet, der Begriff „Populismus“ sei seit 10 Jahren in der Diskussion, was nachweislich falsch ist und durch simpelste Internetrecherche falsifiziert werden kann. Der Begriff stammt aus der Antike und bezieht sich auf die Partei der Popularen, zu der beispielsweise auch Julius Caesar sich zählte. In der Moderne taucht der Begriff spätestens mit der US-amerikanischen Farmerbewegung seit den 1870er-Jahren wieder auf, die denn auch eine „People’s Party“ gründeten.

Feindbild und Verschwörungstheorie

Dann entfaltet Gauland sein heimliches Feindbild und offenbart zugleich sein unheimliches Weltbild, das einer kruden Verschwörungstheorie entstammt. Laut Gauland hat sich nämlich in den vergangenen Jahren angeblich eine neue Funktionselite gebildet, die vor allem aus Medienarbeiter/innen bestehe:

„Im Zuge der Globalisierung hat sich nach dem Ende des Ost-West-Konflikts eine neue urbane Elite gebildet, man könnte auch von einer neuen Klasse sprechen. Zu ihr gehören Menschen aus der Wirtschaft, der Politik, dem Unterhaltungs- und Kulturbetrieb – und vor allem die neue Spezies der digitalen Informationsarbeiter“.

Diese abgehobene „globalisierte Klasse“ habe die Bindung an die Heimat verloren und lebe in einer „abgehobenen Parallelgesellschaft“. Dem gegenüber stünden zwei Gruppen von Menschen in Deutschland, nämlich die bürgerliche Mittelschicht (zu der Gauland vor allem den wirtschaftlichen Mittelstand zählt) sowie „sogenannte einfache Menschen“, die „ein Leben lang den Buckel krumm gemacht haben und heute von einer schäbigen Rente leben müssen“.

Irgendwelche empirischen Belege für seine demographischen Behauptungen bleiben bei Gauland und in der FAZ aus. Dass die von ihm so geschmähten Medienleute gerade wesentlicher Teil der bürgerlichen Mittelschicht sind und häufig als Einzelunternehmer zum wirtschaftlichen Mittelstand zählen, lässt Gauland natürlich unerwähnt. Erst recht lässt er unerwähnt, dass er und große Teile der Führungsriege seiner rechtsextremistischen Partei AfD zu genau dieser Klasse von Globalisierungsgewinnern und Medienelite gehören: Seine Kollegin im AfD-Fraktionsvorsitz, Alice Weidel, ist im schweizerischen Biel gemeldet, wo sie mit einer aus Sri Lanka stammenden Schweizer Film- und Fernsehproduzentin in einer eingetragenen Partnerschaft lebt, wie man ausgerechnet in der FAZ nachlesen kann. Gauland war nicht nur Parteifunktionär der CDU, sondern auch Medienmensch und Publizist, der beispielsweise Herausgeber der „Märkischen Allgemeinen“ war. Und während Gauland in der FAZ als Vertreter der Leute mit „schäbigen Renten“ auftreten darf, musste er doch unlängst zugeben, selbst gar kein Rentenkonzept zu haben.

Ein kluger Kopf?

Kommen wir zur FAZ: Schon der Rubrikentitel, unter dem Gauland in der FAZ veröffentlichen darf, ist irreführend. Wer sich „mit fremden Federn schmückt“, der macht sich Texte zu eigen, die nicht von ihm selbst stammen, sprich: er macht ein Plagiat. Will sich die FAZ den Text von Gauland zu eigen machen, sich gar mit ihm schmücken, wie man es mit Federschmuck eben gemeinhin tut? Wohl kaum. Will man sich an jene „bürgerliche Mitte“ anbiedern, die auch Gauland adressiert und die offenbar beide für ihr angestammtes Publikum halten? Da wollen wir hoffen, dass der FAZ-Leser und die FAZ-Leserin klüger sind als Gauland und die Verantwortlichen, die ihm die Spalten der FAZ geöffnet haben.

Dass FAS-Politik-Redakteur Thomas Gutschker auf den frei einsehbaren Onlineseiten der FAZ einen kritischen Kommentar zu der FAZ-Gauland-Kolumne hinterherschiebt (während der Gauland-Text nur im Bezahlbereich konsumierbar ist), macht die Sache nicht besser. Denn warum bietet eine Redaktion dem Vorsitzenden einer rechtsextremistischen Partei erst ihre Seiten und schmückt sich mit diesen „fremden Federn“, um dann eine Erwiderung hinterherzuschicken, um auf diese Weise den Gaulandtext wieder einzufangen und zu relativieren? Dies ist auch kein Beispiel für eine gepflegte Debattenkultur, denn diese Debatte ist ja selbst inszeniert und wäre gar nicht nötig, wenn die FAZ nicht sich mit den schmutzigen Federn eines auch noch selbsterklärten Rechtspopulisten schmücken würde.

Als Vater Daedalus seinem Sohn Ikarus falsche Federn angeklebt hat, hat dieser sich die Flügel verbrannt. Das war nicht sehr klug. Die FAZ kann mit ihrem Werbeslogan „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“ künftig nicht mehr antreten. Denn sie war auch nicht klug.

Nachtrag 10.10.2018: Im Tagesspiegel weist der Historiker Wolfgang Benz darauf hin, dass der Gauland-Text recht deutlich die Inhalte einer Hitler-Rede aus dem November 1933 widerspiegelt.

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Immer diese Flüchtlinge

18 Jul

Ich bin hier auf der Arbeit und nicht auf der Flucht!

Das geflügelte Wort lenkt das Denken (jedenfalls dort, wo noch gedacht wird) auf den gar nicht selbstverständlichen Umstand, dass wer einen Arbeitsplatz hat, nicht flüchten muss, und umgekehrt wer auf der Flucht ist, zumeist nicht arbeiten darf. Arbeit machen dagegen die Flüchtlinge, und zwar einerseits unseren Politikern und andererseits unseren Journalisten, die das Wirken und Würgen der Politik in Worte verwandeln müssen. Welche Worte sie dafür wählen, hat großen Einfluss auf die Wirkung jenes Würgens und Werkens. Es lohnt sich darum, mal etwas genauer hinzusehen.

Der Kölner Stadtanzeiger hat dazu eine Infografik veröffentlicht, die Zahlen des Flüchtlingshilfswerks UNHCR illustrieren soll:

Quelle: KStA (eig. Screenshot)

Auffällig ist die Angabe, dass von den 19,9 Mio. Menschen, die weltweit im vergangenen Jahr auf der Flucht sich befanden, 31% in Europa Aufnahme gefunden haben sollen – und damit genau so viele wie auf dem afrikanischen Kontinent. Nur wenn man sich die Grafik näher ansieht, stellt man überrascht fest, dass diese Zahl 31% nur zustande kommt, wenn man die Türkei mit zu Europa zählt. Andernfalls wären es nämlich gerade mal 14% der Flüchtlinge, die in Europa Schutz finden – eine erbärmliche Zahl, wobei „erbärmlich“ ja vom „Erbarmen“ kommt, und gerade das lässt Europa in der Flüchtlingsfrage vermissen. Darüber hinaus halten sich die Massen an Flüchtlingen, die die Türkei aufnimmt, natürlich nicht auf dem (sehr kleinen) Teil der Türkei auf, der geographisch auf dem europäischen Kontinent liegt, sondern die allermeisten sind in der Osttürkei nahe der syrischen Grenze, wo diese Flüchtlinge nämlich in der Regel auch her kommen. Andererseits zählen zu Afrika nicht diejenigen Flüchtlinge, die in „Nordafrika“ sind, sonst würde man nämlich auf einen Blick sehen, dass die mit Abstand allermeisten Flüchtlinge, die aus Afrika kommen, ihren eigenen Kontinent niemals verlassen.

Mit solchen irreführenden Zahlenjonglagen wird auch in der Politik argumentiert, wenn eine scheinbare Notwendigkeit von „Ankerzentren“, „Transferzonen“ oder „Sammellagern“ aufgezeigt werden soll oder wenn von „Asyltouristen“ die Rede ist. Hier gibt es nicht nur moralische, sondern auch völkerrechtliche Verpflichtungen, denen gerade die wohlhabenden und prosperierenden Länder der Europäischen Union (EU) sich nicht entziehen können. Der ehemalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) hat in einem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung darauf hingewiesen, dass man das Elend der Flüchtlinge nicht den Ländern des Trikonts überlassen darf:

„Wenn 500 Millionen Europäer keine fünf Millionen oder mehr verzweifelte Flüchtlinge aufnehmen können, dann schließen wir am besten den Laden ‚Europa‘ wegen moralischer Insolvenz“.

Allerdings darf an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass besagter Norbert Blüm Regierungsmitglied jener Bundesrepublik Deutschland war, die im Jahr 1992 mit einer abgefeimten Grundgesetzänderung das Recht auf Asyl praktisch abgeschafft und dafür jene „Drittstaaten-Regelung“ eingeführt hat, auf der noch heute die vielzitierte Dublin II-Verordnung der EU basiert. Ein Binnenland wie Deutschland hat sich damit unfein aus der Affäre gezogen, denn es konnte und kann damit quasi nicht mehr in die Lage geraten, dass Asylsuchende oder andere Flüchtlinge an die Tore des Landes klopfen, weil sie ja stets schon einen „Drittstaat“ betreten haben müssen, um an die deutsche Grenze  zu gelangen. Schon damals in den 1990er-Jahren war diese Neuregelung niederträchtig und falsch, zumal der Asylartikel ja aufgrund der eigenen Flüchtlings-, Vertreibungs- und Exilgeschichte im Grundgesetz gelandet ist. Heute läuft diese Regelung darauf hinaus, dass eigentlich nur noch drei Länder „legal“ Flüchtlinge aufnehmen müssen, nämlich Italien, Griechenland und Spanien, während die anderen EU-Länder sich auf degoutante Art einen schönen Lenz machen können und sich larmoyant über die „illegalen Migranten“ echauffieren dürfen. Die genannten südeuropäischen Länder werden von der europäischen „Gemeinschaft“ im Stich gelassen, Solidarität ist anders. Wie das ganz praktisch funktionieren soll, hat im übrigen noch kein deutscher oder bayerischer Politiker erklärt: Warum auch, wenn man das Problem so einfach weg-delegieren kann. Dass in Italien aufgrund dieses internationalen Politikversagens postfaschistische und rechtsextremistische Parteien gewählt werden, darf einen nicht allzu sehr verwundern. In Deutschland muss man sie dagegen nicht wählen, wenn man die CSU hat – scheint jedenfalls die schändliche bayerische Logik zu sein.

Was hier insbesondere von bayerischen Regionalpolitikern vorgetragen wird, wenn sie von „Rücknahmeverpflichtungen“ und anderem bürokratischen Neusprech salbadern, entbehrt dabei auch noch der sachlichen Grundlage. Denn die genannten Länder würden ja sogar Flüchtlinge und Asylbewerber von der Bundesrepublik Deutschland „zurück“-nehmen (man kommt ja bei diesem Thema gar nicht darum herum, ständig „Anführungszeichen“ für die Vokabeln aus dem Wörterbuch des Unmenschen zu setzen …), allein Deutschland schickt sie gar nicht. Der Kölner Stadtanzeiger berichtet unter Verweis auf die Tageszeitung Die Welt:

„Die EU-Partner würden schon jetzt viel mehr solcher ‚Dublin-Fälle‘ zurücknehmen, als Deutschland ihnen überstelle, berichtet die Welt am Sonntag unter Berufung auf die Antwort der Bundesregierung auf eine Linken-Anfrage. So stellte Deutschland 2018 bis Ende Mai in 9233 Fällen solche Übernahmeersuchen an Italien. Das Land stimmte auch 8421 Mal einer Rücknahme zu – überstellt wurden aber nur 1384. Sicherheitsbehörden gäben als Hauptgrund an, dass die Migranten am Rückführungstermin nicht angetroffen würden. Ähnlich sei das Verhältnis bei Spanien: Bei 1849 Übernahmeersuchen stimmte das Land 1255 Mal zu – überstellt wurden 172 Migranten“.

Viel Lärm um nichts? Das kann man nicht sagen, denn es geht nicht um „nichts“. Es geht vielmehr um beinahe „alles“, jedenfalls wenn man Moralität und Gerechtigkeit noch einen Totalitätsanspruch zubilligt.

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Filmklassiker sterben aus

12 Jun

„Luke, ich bin dein Vater!“ Dieser Satz, den Darth Vader im berühmten Star Wars-Film „Das Imperium schlägt zurück“ spricht, ist längst sprichwörtlich geworden. Auch andere Zitate aus legendären Kinofilmen sind längst in den Volksmund übergegangen und zählen zum kollektiven kulturellen Gedächtnis: „“Ich mache ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann“ („Der Pate“), „nach Hause telefonieren“ („E.T.“) oder „Es kann nur einen geben“ („Highlander“).

Doch den Filmklassikern droht der Tod aus Altersschwäche. Denn niemand will sie mehr zeigen. Darauf weist die Süddeutsche Zeitung in einem längeren Artikel hin:

Die ARD strahlte in ihrem ersten Programm im Jahr 2016 nur noch sieben Klassiker des US-amerikanischen Films aus – im Jahr 2000 waren es noch 122 gewesen. Die Gattung erodiert gleichermaßen in den dritten Programmen (15 gegenüber 633), und im ZDF fiel die Zahl solcher Filme im untersuchten Zeitraum von 37 auf zehn.

Auch Netflix, Amazon Prime und die vielen anderen Film-Streaming-Dienste im Internet werben zwar gerne mit Szenenbildern aus Filmklassikern, gezeigt und geguckt werden aber offenbar vor allem Eigenproduktionen und Serien. Was damit verloren geht, ist kulturelles Wissen, das auch zum Kit einer (Medien-) Gesellschaft gehört.

Spielfilme am Sonntagvormittag, einst üblich, sind Unterhaltungssendungen gewichen; die ZDF-Matinee etwa wurde vom Fernsehgarten verdrängt, mit 32 Jahren selbst schon auf dem Weg zum Klassiker. Um 20.15 Uhr, zur besten Sendezeit, gibt es zwar jede Menge Spielfilme – die das Fernsehen aber am liebsten selbst produziert, um so präzise wie möglich den aktuellen Publikumsgeschmack zu treffen.

Die Nutzer/innen der Streamingdienste stecken ebenso in einer Filterblase, wie es die Nutzer/innen der großen Sozialen Netzwerke á la Facebook tun. Ihr Videokonsum basiert häufig auf einer Empfehlungskultur, die gerade die großen (älteren) Kulturleistungen ausschließt. In der aktuellen Aufmerksamkeitsökonomie hat die schrille Neuproduktion immer die Nase vorn gegenüber künstlerisch wertvollen Klassikern des europäischen und amerikanischen Films. Schwarz-weiß-Filme haben nahezu vollständig ausgedient. Für den guten alten Film gilt nicht mehr, was „Terminator“ noch zu sagen wusste: „Hasta la vista, Baby!“

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Sternstunden des Onlinejournalismus: Gewichtszunahme bei Schwangerschaft

21 Mrz

by-sassi/pixelio.de

Journalismus kann gewichtig sein, und das nicht nur im übertragenen Sinne, wenn es um pfundschwere Politik, starke Themen und fette Probleme geht. Nein, auch im ganz eigentlichen Sinne, wenn es um das Auf und Ab der Kilos geht, macht der Journalismus sich einen Namen, und sei’s durch Namensgebung bei Abnahmetipps wie der berüchtigten „Brigitte-Diät“.

Ein wunderbares Beispiel für die gewichtsreduzierende Power des Journalismus ist der durchaus leichtgewichtige Beitrag auf Spiegel Online zur Gewichtszunahme eines US-Models namens Chrissy Teigen.

„US-Model Chrissy Teigen erwartet ihr zweites Kind – und hat dementsprechend an Gewicht zugelegt. Nur offenbar nicht an den richtigen Stellen, wie die 32-Jährige nun kundtat“.

Die Polkappen schmelzen, der Nato-Partner Türkei erobert kurdische Städte in Syrien, in einer europäischen Hauptstadt werden zwei Passanten mit einem Nervengift attackiert, eine Regierung wird gewählt, andere Regierungen werden abgewählt, in Mittelamerika bebt die Erde, und Spiegel Online teilt uns mit:

„Das US-Model hat eigener Aussage zufolge in den vergangenen Wochen deutlich zugenommen – nur nicht an den Körperstellen, an denen sie es sich gewünscht hätte“.

Man stelle sich das vor: Nicht an den Körperstellen, an denen sie es sich gewünscht hätte! Nicht an den Körperstellen, an denen sie es sich gewünscht hätte!! Hier möchte auch der nur minimal an gesellschaftlichen Zusammenhängen Interessierte doch mehr wissen, womöglich sogar O-Ton jener Mrs. Teigen hören. Und siehe da! SpOn scheut Mühen und Zuckerersatzstoffe nicht, uns auch die tieferen Einsichten zu vermitteln:

„’40 Pfund mehr und nicht eine Unze davon hat an meinem Hintern angesetzt‘, schrieb die 32-Jährige. Scherzhaft bat sie ihre Follower dann, sich nicht über Frauen mit kleinem Po lustig zu machen“.

Kommt einem das lustig vor? Natürlich, und SpOn weiß auch den Grund dafür. Mrs. Teigen ist nämlich eine Lustige, und das sollte die Welt schließlich auch in einem qualitätsjournalistischen Medium erfahren:

„Teigen ist bekannt dafür, entspannt und humorvoll mit ihrem Körper umzugehen. Im vergangenen Jahr etwa postete sie ein Foto von Dehnungsstreifen auf ihrem Oberschenkel. Teigen ist mit dem Sänger John Legend liiert, die beiden haben bereits eine gemeinsame Tochter, Luna“.

Carl Jensen, der Gründer des US-amerikanischen Project Censored, hat solcherlei Leichtgewicht-Journalismus als „Junk Food News“ bezeichnet, „sensationalized, personalized, and homogenized inconsequential trivia“. Das wirkt zwar harmlos, im schlimmsten Fall, wie dem hier zitierten von den richtigen Kilos an den falschen Stellen eines amerikanischen Fotomodells, idiotisch, aber es hat doch eine tiefere Bedeutung: Die News-Kanäle werden nämlich geflutet mit solch trivialen, bedeutungs-, hirn- und geschmacklosen Pseudo-Nachrichten. Der Kanal ist dann voll und verstopft für die wesentlichen und relevanten Meldungen, die womöglich tatsächlich Einfluss auf das Leben der Leserinnen und Leser haben könnten. Die Kilos nehmen zu, aber es purzeln nicht die Pfunde, sondern die Nachrichten, die das Leben verändern oder die Welt verbessern könnten.

Es sollte noch dazu gesagt werden, dass die fassungslos dämliche Geschichte von den Kilos dieses unsäglichen Modells nicht auf dem fetten Misthaufen von Spiegel Online gewachsen ist. Nein, die Deutsche Presse-Agentur hat sie verbreitet. So viel zur Relevanz von Nachrichten, die von Presse-Agenturen herausgegeben werden.

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INA: Top Ten der Vergessenen Nachrichten 2018

21 Feb

(Foto: Pixabay)

Auch im vergangenen Jahr sind wieder Themenkomplexe und Storys nicht in den Medien erschienen, obwohl sie gesellschaftlich relevant sind. Im Rahmen ihrer Jahrespressekonferenz hat die Initiative Nachrichtenaufklärung (INA) e.V. im Deutschlandfunk (DLF) die Top Ten der vergessenen Nachrichten 2018 vorgestellt.

Den ersten Platz im Ranking dieser vernachlässigten Nachrichten belegt das Thema „Inklusion in der Arbeitswelt“. Inklusion findet vor allem in der Statistik der Bundesagentur für Arbeit statt: Beschäftigte in den sogenannten „Behindertenwerkstätten“ dienen der Statistik seit 2014 als „sozialversicherungspflichtige Beschäftigte“. In den letzten zehn Jahren ist die Anzahl der Menschen in den sogenannten „Behindertenwerkstätten“ kontinuierlich gestiegen. Mit Inklusion hat das nichts zu tun. Dabei trägt auch der demographische Wandel dazu bei, dass das Thema immer virulenter wird. Die Medien sollten sich aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderung und fehlender Berührungspunkte im Alltag zur Aufgabe nehmen, Barrieren und Vorurteile durch vermehrte journalistische Berichterstattung auf Augenhöhe zu verringern, anstatt sie wie bisher weiter zu verfestigen.

Auf Platz 2 steht Portugal und seine Anti-Spar-Politik. Nach der Finanzkrise schien es für die betroffenen südeuropäischen Länder, allen voran Portugal, nur eine Wahl zu geben: die von der EU geforderten drastischen Kürzungen umzusetzen. Austeritätspolitik wird das auch genannt. Doch ist Sparen der einzige Weg, um sich zu sanieren? Das Beispiel Portugal ist überraschend. 2015 wurde in Portugal, nach der Regierungsübernahme durch eine breit gefächerte linke Opposition, die Abkehr von der Sparpolitik beschlossen: Mindestlohn und Pensionen wurden angehoben, Lohnkürzungen zurückgenommen und zusätzliche Urlaubstage eingeführt. Interessanterweise fiel das Budgetdefizit auf dem niedrigsten Stand seit 40 Jahren. Portugal konnte einen Kredit von 1,7 Milliarden Euro vorzeitig an den IWF zurückzahlen

„Monsun in Südasien 2017 versus Hurricane in Texas“ steht auf Platz 3. Hierbei geht es darum, dass die humanitäre Katastrophe durch den Monsun 2017 von dem Hurricane in Texas medial überschattet wurde. Es wurde signifikant weniger über den Monsun berichtet, obwohl seine zerstörerischen Ausmaße den Hurricane weit überstiegen. Einigen wenigen Medien ist die Reflektion darüber im vergangenen Sommer gelungen, wünschenswert wäre ein breiteres Bewusstsein.

Weitere Themen auf der Liste der vergessenen Nachrichten 2018 sind die Arbeitsbedingungen auf Containerschiffen, der horrende Anstieg der Kosten von Impfungen in Entwicklungsländern bei gleichzeitigem Gewinnwachstum in der Pharmaindustrie, politische Antworten auf gesundheitliche Gefahren von Schichtarbeit sowie die Zwangssterilisierung von Frauen der Roma in Tschechien und der ehemaligen Tschechoslowakei.

Die komplette Liste jener vergessenen Nachrichten, die bislang nicht oder nur ungenügend ihren Weg in die deutschen Medien gefunden haben, findet sich auf der Website der Initiative Nachrichtenaufklärung.

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Die Zeit: Agendasetting zwischen Bundestag und Orgasmustipps

26 Nov

Journalistinnen und Journalisten seien „Agendasetter“, heißt es. Sie würden durch die Auswahl der Nachrichten bzw. die Auswahl der Ereignisse, die überhaupt zu Nachrichten würden, bestimmen, was auf die „Agenda“ komme, also zum Tagesgespräch tauge und die politischen und gesellschaftlichen Diskurse bestimme.

Die Wochenzeitung „Die Zeit“, angeblich eines der Leitmedien Deutschlands, muss wie jedes andere journalistische Medium ständig die Relevanz von Ereignissen und Nachrichten abwägen, um nur die wirklich wichtigen Themen zu bringen, also die, über die es wert ist, einen gesellschaftlichen Diskurs zu entspinnen.

Wenn also „Die Zeit“ die Wahl hat zwischen, sagen wir: Bundestag, EU-Kommission und Orgasmustipps für Männer, was wird „Die Zeit“ wohl wählen. Raten Sie oder schauen Sie einfach selbst:

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WDR: „Menschen hautnah“ setzt Middelhoff-Doku ab

22 Nov

Bemerkenswerter Vorgang: Die WDR-Redaktion des Portraitformats „Menschen hautnah“ hat kurz vor der Ausstrahlung den Film über den frisch aus der Haft entlassenen Manager Thomas Middelhoff aus dem Programm genommen. Zur Begründung gibt die Redaktion an, sie habe erst kurz vor der Ausstrahlung von einer vertraglichen Vereinbarung zwischen den Filmemachern und dem Protagonisten Middelhoff erfahren, derzufolge Middelhoff den Film vorab zu sehen bekommen und bei den Dreharbeiten ein Mitspracherecht gehabt haben sollte. In ihrem Facebook-Posting (siehe Abbildung) führt die Redaktion weiter aus, das vertrage sich nicht mit ihren „journalistischen Grundsätzen“.

Bildschirmfoto

Ich sehe nicht recht, was das mit „journalistischen Grundsätzen“ zu tun haben soll. Dass jemand, der in einem Film spricht, auch eine Mitsprache haben soll, scheint mir schon semantisch eine Selbstverständlichkeit zu sein. Und ich sehe auch nicht, was dagegen sprechen soll, einem Protagonisten bei einem solch intimen Format vorab den Film zu zeigen. Voraufführungen sind bei langen Formaten ja durchaus üblich: Sollen andere einen Film schon vor Aufführung sehen dürfen, nur der Protagonist nicht? Verquere Logik.

Im Printbereich ist es ja (leider) üblich, Interviews zu „autorisieren“, wobei die Texte oft völlig umgeschrieben werden. Das ist nicht wünschenswert, aber eben nichts Ungewöhnliches im Journalismus. Dass jemand eine gewisse Kontrolle über seine eigenen Äußerungen in der Öffentlichkeit haben möchte, halte ich für völlig verständlich. Gerade auch im WDR Fernsehen (für das ich 17 Jahre gearbeitet habe) kommt es bedauerlicherweise immer wieder vor, dass Menschen ihre Äußerungen in Interviews hinterher in völlig sinnentstellten Zusammenhängen wiederfinden. Und leider ist es mir in meiner Fernsehmacherzeit bei Recherchen auch immer wieder passiert, dass Menschen mit mir vor der Kamera nicht mehr reden wollten, weil schon einmal WDR-Teams bei ihnen waren und die Menschen das als traumatisches Event erlebt haben.

Eine letzte Bemerkung: Prinzipiell muss jeder Interviewpartner die vom WDR vorgefertigten „Mitwirkendenverträge“ unterschreiben. Und was der WDR da an Rechte- und Lizenzen-Buyout vorsieht, spottet jeder Beschreibung.

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Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter