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ARD will investigativ recherchieren?


19 Feb
Georg Mascolo (Foto: Superbass/Wikimedia)

Georg Mascolo (Foto: Superbass/Wikimedia)

Die Nachricht muss alle irritieren, die mal eine ARD-Sendeanstalt von innen gesehen haben: Der ehemalige Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo soll einen „Rechercheverbund“ aus WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung leiten. So erklärt etwa Tom Buhrow, der WDR-Intendant:

„Wir bündeln unsere Kräfte in Hörfunk, Fernsehen und Print und machen den Recherchepool zu einem crossmedialen Vorzeigeprojekt für Qualitätsjournalismus“.

Was an solchen Äußerungen wunder nimmt, ist die Tatsache, dass beispielsweise im WDR bislang praktisch überhaupt niemand recherchiert. Von den ca. 4.900 Angestellten des WDR arbeiten vielleicht etwa die Hälfte im weitesten Sinne im redaktionellen Umfeld. Von diesen redaktionellen angestellten MitarbeiterInnen arbeitet aber nur der kleinste Bruchteil wirklich journalistisch, sprich: recherchiert Themen und verfertigt Beiträge. Mehr als 90 Prozent des Programms werden von freien JournalistInnen recherchiert und hergestellt. Wenn diese eng und regelmäßig mit einer bestimmten Redaktion zusammenarbeiten, heißen sie auch „feste Freie“. Das ändert aber nichts daran, dass diese Freien selbständig unternehmerisch tätig sind, d.h. sie recherchieren ihre Themen auf eigene Rechnung und verdienen dann erst Geld, wenn eine WDR-Redaktion Interesse zeigt und einen TV- oder Radio-Beitrag in Auftrag gibt.

Öffenlich-rechtlich verwalten, privatwirtschaftlich produzieren

Diese Arbeitsweise ist auch nicht neu, sondern gehört im Gegenteil zu den basalen Produktionsbedingungen aller öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Schon seit den 1970er hatte in den Sendern, wie der Fernsehhistoriker Knut Hickethier in seiner Geschichte des Deutschen Fernsehens konstatiert hat, die Produktionsweise sich dergestalt verändert, dass zwar öffentlich-rechtlich verwaltet, aber praktisch rein privatwirtschaftlich produziert wurde. Auf diese Weise ließen sich beispielsweise Mitbestimmungsrechte und auch ein damals unter Fernsehleuten noch verbreiteter kritischer Geist einschränken. Redaktionsstatute, Personalratswahlen und andere Partizipationsformen galten nämlich seit dieser Zeit für genau diejenigen „freien“ MitarbeiterInnen nicht, die seitdem den Großteil des Programms herstellen. Man stelle sich vor: Von Redaktionssitzungen sind diese recherchierenden und produzierenden JournalistInnen etwa im WDR explizit ausgeschlossen! Das bedeutet, wenn Redaktionen zusammensitzen und über Themen, Sendungen und Planungen reden, sind genau diejenigen nicht dabei, die diese Sendungen herstellen. Klingt idiotisch? Stimmt.

Öffentlich-rechtliche Recherchen sind ein Widerspruch

Der Gedanke an öffentlich-rechtliche Recherchen ist darum in mehrfacher Hinsicht ein Widerspruch. Diejenigen, die in diesem System recherchieren, tun das in der Regel als „Freie“ auf eigene Rechnung und im eigenen Interesse. Dabei mit anderen zu kooperieren, ist weder vorgesehen, noch auch für den einzelnen „freien“ Mitarbeiter sinnvoll. Umgekehrt macht auch aus Sicht einer ARD-Anstalt eine innerbetriebliche Rechercherabteilung praktisch keinen Sinn, da sie den gesamten Produktionsprozess des Fernsehmachens auf den Kopf stellen würde. Entsprechend gibt es aus den Reihen der Sender auch „Widerstände“ gegen den von Mascolo geplanten Recherchep0ol. Dabei ist die größte Gefahr für die ARD-Anstalten, dass ein Recherche-Profi wie Georg Mascolo mitbekommen könnte, wie erbärmlich und traurig es um kritische Recherchen in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten bestellt ist. Versuche im WDR, analog zu den großen Printhäusern wie Süddeutsche, Handelsblatt oder Stern ein investigatives Rechercheteam zu gründen, scheiterten nach Auskunft von einigen, die in diesen Prozess vor ein, zwei Jahren involviert waren, daran, dass weder Geld, noch Stellen zur Verfügung standen. Wie auch: Stellen für recherchierende JournalistInnen sind öffentlich-rechtlich eben gar nicht vorgesehen.Und wenn der Norddeutsche Rundfunk sich damit brüstet, im Recherchepool zusammen mit der Süddeutschen Zeitung Stories zum „Geheimen Krieg“ ausgegraben zu haben, wäre noch zu fragen, wer genau da „der“ NDR ist, wer für ihn in Wahrheit recherchiert hat und ob man sich nicht vielleicht mit fremden Federn schmückt.

Ist öffentlich-rechtlicher Journalismus noch zu retten?

Natürlich ist er das. Die Frage ist nur, ob es im bestehenden System der checks & balances möglich ist. Kürzlich monierte der PR-Berater Michael Spreng in seinem Blog, die ARD-Anstalten hätten zwar 7,5 Milliarden Euro für ihren öffentlichen Auftrag zur Verfügung, würden aber diesem Auftrag nur noch unzureichend nachkommen:

Medien sollten nicht nur fragen, was die Leute sehen wollen, sondern auch, “was sie sehen sollten”. Das ist die Verantwortung des Journalismus, die immer mehr verloren geht. Das Geld muss raus aus Verwaltung, rein in die Redaktionen.

Mit der letzten Bemerkung irrt Spreng gewaltig. Die Verwaltung beispielsweise des WDR ist eine der wenigen Stellen, die wirklich produktiv arbeitet, wie ich aus eigener langjähriger Erfahrung bestätigen kann. Das Problem sind nicht die Verwaltungen, sondern die Redaktionen. Was man sich als Fernsehmacher wünschen würde, wäre, dass die redaktionellen Etats wirklich für die Fernsehmacher da wären und dass die über das Programm mitbestimmen, die es auch wirklich herstellen. Das etablierte öffentlich-rechtliche System ist eines von Bienendrohnen, die weder fleißig, noch fruchtbar sind, aber dafür teuer. Was hermuss, ist AutorInnenfernsehen und ein effizientes Management, das die Räume für deren Produktionen schafft. Und was aus ZuschauerInnensicht wünschenswert wäre, das wäre mit den Rundfunkräten die Abschaffung eines Pseudo-Kontrollorgans, das sich an der Gesellschaftsschichtung der 1950er Jahre orientiert. Stattdessen muss ein ZuschauerInnen-Parlament her, das für eine echte Mitbestimmung der Gebührenzahler sorgt. Aber ach! vermutlich sind die Zeiten vorbei, in denen das Wünschen noch geholfen hat.

 

Recherchieren Journalisten in Social Media?


28 Feb

„Social Media“ sind ein Riesenthema im Journalismus. Aber: Nutzen Journalisten selbst Social Media wie „Facebook“ zum Recherchieren? Eine Statistik, die bei statista.de abrufbar ist, legt das nahe:

22,7 % der befragten Journalisten sollen demnach täglich (!) in Social Media recherchieren. Ein solches Ergebnis kann man natürlich leicht erzielen, wenn man die Onlineumfrage beispielsweise direkt über Facebook veranstaltet. Ansonsten zweifle ich den Wert dieser Umfrage ausdrücklich an. Seinen Wert als Rechercheplattform hat Facebook bislang — entgegen aller Lobhudeleien im Zusammenhang mit Arabellion etc. — noch nicht beweisen können.

http://de.statista.com/statistik/daten/studie/218863/umfrage/nutzung-von-social-media-durch-journalisten-bei-der-recherche/

Radio-Reporter gesteht Mord an 23-Jähriger–oder doch nicht?


25 Okt
SymbolbildWas für eine Räuber-, um nicht zu sagen: Mörderpistole! Der Branchendienst Meedia tischt uns heute eine Geschichte auf, wie geschaffen für Medien-Seiten und Medien-Hasser. Ein Journalist begeht einen abgefeimten Mord und berichtet anschließend selbst als Reporter darüber! So gruselig können Medien-Geschichten sein. O-Ton Meedia:

Ein Reporter von Radio Zwickau hat gestanden, nach einem Disco-Besuch eine 23-Jährige erwürgt und missbraucht zu haben. Auf die Spur des 27-Jährigen waren die Ermittler laut Bild durch einen DNA-Test gekommen. Besonders bizarr: Nach der Tat fuhr Patrick R. selbst zum Tatort, „recherchierte“ und interviewte die Polizei für seinen Sender.

Schade nur, dass der Meedia-Autor des namentlich nicht gekennzeichneten Beitrags nicht selbst recherchiert hat. In der Fußzeile des Artikels unter der Rubrik “Das schreiben die Anderen” ist als einzige Stimme Bild.de aufgeführt, und von dieser Quelle scheint Meedia auch abgeschrieben zu haben. Bei Bild.de heißt es unter der Überschrift “Radioreporter verbrennt Disco-Mädchen”:

Ermittler suchten nach Spuren, Reporter kamen. Auch Radio-Mann Patrick R. (27) fuhr zum Leichenfundort, recherchierte, interviewte für seinen Sender die Polizei. Dabei wusste er selbst viel mehr über den Fall als die Mordkommission.
Er selbst hatte die Frau getötet, geschändet und angezündet!

Und Bild.de weiß auch noch mehr über den Tathergang zu berichten:

Mit seinem Schlüsselband würgt Patrick R. sein Opfer, zieht immer fester zu. Schließlich erstickt Susann P. an ihrem Blut.

Vielleicht hätte Meedia gut daran getan, sich nicht nur auf Bild.de als Quelle zu verlassen. Denn beide Medien erzählen offensichtlich ein sehr eigenwilliges Interpretament der Ereignisse. Die Freie Presse jedenfalls (“Sachsens größte Zeitung”) schildert in einem recht ausführlichen Beitrag, der ziemlich mühelos im Internet recherchiert werden kann, den Prozessauftakt gegen den “mutmaßlichen” Täter Patrick R. und seine Tat, die im übrigen acht Monate zurückliegt. Aus dieser einfach zugänglichen Quelle kann man entnehmen, dass es sich mitnichten um einen “Reporter von Radio Zwickau” gehandelt hat, sondern um einen gelernten Gebäudereiniger. Was den Mann mit Radio Zwickau verband, war einzig der Umstand, dass er dort zur Zeit “ein viermonatiges Praktikum absolvierte”. Ausdrücklich notiert allerdings die Freie Presse:

Offen blieb daher auch, in welchem Umfang der Praktikant für Radio Zwickau mit Recherchen zu seinem eigenen Verbrechen betraut war.

Ein Reporter mordet und berichtet anschließend selbst darüber? Das klänge wohl anders. Auch der Tathergang, wie Bild.de ihn darstellt (“… Mit seinem Schlüsselband … erstickt … an ihrem Blut”), findet sich durch die Darstellung vor Gericht laut Freier Presse nicht im mindesten gedeckt:

Er soll die Frau mit den Händen gewürgt haben, bis sie an Erbrochenem erstickt sei. Richter Klaus Hartmann hält es für wahrscheinlich, dass der Angeklagte sein Schlüsselband um den Hals des Opfers knotete. „Wir haben auf 27 Zentimeter Länge DNA-Spuren und Haare der Frau.“

Wie kommt Bild.de dann auf ihre Darstellung? Ganz einfach, sie wurde frei erfunden. Wie kommt der Branchendienst Meedia.de auf seine Darstellung?  Ganz einfach, sie wurde bei Bild.de abgeschrieben und dabei so stark gekürzt, dass gar nichts mehr stimmte. Man hätte auch einfach recherchieren können. Man hätte auch einfach selbst einen Reporter (!) zum Zwickauer Landgericht schicken können. Man hätte wenigstens ein paar Verfahrensbeteiligte anrufen oder, wenn das zu viel verlangt ist, mal im Internet nachgucken können. Aber das wäre womöglich nicht nur zu viel verlangt gewesen, es hätte vermutlich auch die schöne Gruselgeschichte vom frauenmordenden Journalisten, der über seine eigenen Untaten berichtet, kaputt gemacht. Und so eine Geschichte lässt man sich natürlich nicht entgehen. Recherche kann echt störend sein.

Meedia: Radio-Reporter gesteht Mord an 23-Jähriger

Umfrage: Was ist schlechter Journalismus?


16 Jul

Benutzerin Nephilia81 hat vor einiger Zeit auf der Online-Umfrageseite woobby.de eine Umfrage lanciert, was unter schlechtem Journalismus zu verstehen sei. Das Umfragedesign folgt sicherlich nicht den Maßgaben der Medienforschung, die Antworten folgen nicht etwaigen Leitfragenvorgaben, sondern können frei formuliert werden. Gerade dadurch hat das Ergebnis, an dem sich 335 Leute beteiligt haben, etwas Erfrischendes:

1.
31,7% Wenn man man überall die
Pressemeldung liest anstelle eines selbst recherchierten Artikels

2.
16,6% Wenn nicht richtig recherchiert
wurde

3.
10,9% Wenn Journalisten unethisch
handeln wie damals bei der Geiselnahme von Gladbeck

4.
10,6% Wenn der Artikel in einer Zeitung mit rotem Logo erscheint.

5.
7,5% Wenn die eigene Meinung des Journalisten glasklar durchscheint

6.
6,8% Seriositätsheuchler,die Kaiserschmarrn zusammenschmieren.

7.
4,1% Wenn die Artikel sich eher wie Werbung lesen

8.
3,1% Wenn die Zitate falsch sind

9.
3,0% Dem Zeitgeist folgende Artikel.

10.
2,9% Wenn der Schreiberling offensichtlich noch blöder ist als seine Leser es
je werden können.

 

 

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter