Archive for Februar, 2012

Lanz: Tiefpunkt des Journalismus?


29 Feb

Markus Lanz ist ein Fernsehmoderator, der sich gerne vor Publikum bekochen lässt („Lanz kocht“) und eine nicht weiter beachtenswerte Talksendung im Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) moderiert („Markus Lanz“). In der jüngsten Ausgabe dieser Sendung trat der bundesdeutsche Wirtschaftsminister auf, um aus seiner Sicht zu erzählen, wie es zur Nominierung von Joachim Gauck zum Bundespräsidentenkandidaten kam. Dem Medienkritiker der F.A.Z., Michael Hanfeld, hat das überhaupt nicht gefallen, und er hat dazu grimmige Worte gefunden:

Gemeinsam ziehen sie eine Show ab, die den „tiefsten Tiefpunkt“ (Rudi Völler) des deutschen Journalismus und den Marianengraben politischer Wahrhaftigkeit markiert. Es ist ein sagenhaftes Theater, Rösler gibt den Parzival, der den Gral endlich gefunden hat, ins Narrenkleid ist derweil der steigbügelhaltende Moderator Lanz gerückt.

Denn bei ihm wird das Machtkalkül zum gespielten Witz. Er redet so süß über „die Angela“ und „den Philipp“, dass einem schlecht wird. Erst fasst Rösler Lanz am Arm, wie Gauck es mit ihm gemacht habe, dann Lanz „den Philipp“. „Jetzt mal ehrlich,“ sagt der Markus dann, „die Angela“, die „ham Sie doch über den Tisch gezogen.“ Über den Tisch gezogen werden an diesem Abend aber alle, die diese Sendung sehen. Denn es wird ihnen eine Heldengeschichte erzählt, die von vorn bis hinten nicht stimmt. Hintergründe und Handlungsmaximen werden hier in ihr Gegenteil verkehrt.

Die süffisante Analyse ist vermutlich zutreffend, aber eine Frage stellt sich doch: Wenn Hanfeld die Talkshow „Markus Lanz“ — oder jedenfalls diese spezielle Ausgabe — als „Ende des Journalismus“ und, Rudi Völler zitierend, als „tiefsten Tiefpunkt“ bezeichnet, geht er davon aus, dass es sich überhaupt um Journalismus handle. Und dem wäre vielleicht zu widersprechen.

Ist Markus Lanz überhaupt ein Journalist? Er hat seit 1992 ein zweijähriges Volontariat bei Radio Hamburg absolviert, also eine journalistische Ausbildung genossen. Danach wechselte er aber umgehend ins Moderatorenfach, ursprünglich als Nachrichtenmoderator bei RTL Nord. Diesen Job verdankte er aber vermutlich nicht so sehr seiner journalistischen Qualifikation, sondern seiner anderen hervorstechenden Eigenschaft: Markus Lanz sieht aus, wie er aussieht — eine Mischung aus beliebter Schwiegersohn und Gebrauchtwarenhändler, der ideale Kleiderständer für nicht allzu überteuerte Herrenmode, kurz: ein Robert Redford für Wenigerbetuchte. Gegen diese Eigenschaft des Fernsehprodukts Lanz ist im Prinzip nichts einzuwenden, immerhin ist Fernsehen ein visuelles Medium. Und sie brachte Lanz das ein, was im betreffenden Wikipedia-Artikel als sein „Durchbruch“ angesehen wird, obwohl es eigentlich schon der „tiefste Tiefpunkt“ ist: Er wird Moderator der RTL-Sendung „Explosiv“. Den Journalismus hat er da längst verlassen, auch wenn die Bezeichnung „Redaktionsleiter“ fälscherlicherweise auf eine journalistische Tätigkeit hindeutet. Sendungen wie „Explosiv“ sind Unterhaltungsware, deren Informationswert gegenüber dem Unterhaltungsanspruch vernachlässigenswert ist. Aus diesem Grund wurde Lanz dann auch im Jahr 2008 vom ZDF abgeworben: Ein völlig entpolitisiertes Stück Seife, das in den Auswürfen des Boulevards sattelfest ist. In diesem Beritt hat das öffentlich-rechtliche Fernsehen eben trotz aller nachhaltigen Bemühungen noch nicht genug eigene Kavallerie hervorgebracht und muss sich in den Niederungen des Privatfernsehens mit Reitlehrern wie Markus Lanz versorgen. Wie praktisch alle anderen öffentlich-rechtlichen Talkshows auch ist die Sendung „Markus Lanz“ ein Politiksurrogat, eine Journalismus-Simulation, die darüber hinwegtäuschen soll, dass auch die öffentlich-rechtlichen Sender das nicht mehr zu bieten haben, wofür sie bezahlt werden: meinungsstarken, recherchetiefen und mutigen Politjournalismus.

Es wäre Michael Hanfeld von der F.A.Z. also doch zu widersprechen: Lanz ist nicht das „Ende des Journalismus“, sondern dessen Ersatzhandlung. Aber das ist vielleicht noch schlimmer.

Recherchieren Journalisten in Social Media?


28 Feb

„Social Media“ sind ein Riesenthema im Journalismus. Aber: Nutzen Journalisten selbst Social Media wie „Facebook“ zum Recherchieren? Eine Statistik, die bei statista.de abrufbar ist, legt das nahe:

22,7 % der befragten Journalisten sollen demnach täglich (!) in Social Media recherchieren. Ein solches Ergebnis kann man natürlich leicht erzielen, wenn man die Onlineumfrage beispielsweise direkt über Facebook veranstaltet. Ansonsten zweifle ich den Wert dieser Umfrage ausdrücklich an. Seinen Wert als Rechercheplattform hat Facebook bislang — entgegen aller Lobhudeleien im Zusammenhang mit Arabellion etc. — noch nicht beweisen können.

http://de.statista.com/statistik/daten/studie/218863/umfrage/nutzung-von-social-media-durch-journalisten-bei-der-recherche/

Journalist verlässt den Journalismus


14 Feb

Ist es das, was „Postjournalismus“ genannt wird? Richard Peppiatt, Reporter der englischen Boulevardzeitung Daily Star, hat gekündigt, und dies, wie es sich für einen Journalisten gehört: Mit öffentlichem Aplomb. Sein Kündigungsschreiben hat er nämlich der Konkurrenz vom Guardian zugespielt. Darin begründet er seine Kündigung mit dem totalen Verfall der journalistischen Sitten bei seinem Arbeitgeber, wie in einem Interview mit diepresse.de nachzulesen ist:

Die meisten Storys bewegen sich in Grauzonen. Du lügst nicht, aber du sagst auch nicht die Wahrheit. Ich lernte schnell, bestimmte Fakten zu ignorieren, damit die Story den vorgesehenen Ton traf: Drogen und Einwanderung sind schlecht, Strafen müssen härter werden. In der Regel wurde den Reportern ein Thema samt Standpunkt von oben aufgedrückt. Man erhält keine wirklichen Rechercheaufträge, es heißt eher: „Du schreibst jetzt genau dies und jenes.“ Juristisch waren die Artikel nicht angreifbar, aber sie hatten mit Journalismus trotzdem nichts mehr zu tun.

Insbesondere die Behandlung muslimischer Einwanderer in der Boulevardzeitung sei zu größten Teilen tendenziös und politisch motiviert. Regelmäßig würden Geschichten über Moslems in Großbritannien frei erfunden, nur um ihr Ansehen in der Gesellschaft herabzuwürdigen. Wordbulletin.net fasst zusammen:

He said the fabricated stories were mainly related to Muslims, depicting them as a threat to British society. The defamatory stories became more widespread after the bombings in London on June 7, 2005 — often referred to as 7/7 — and the Sept. 11, 2001 attack on the United States.

Auch fernab islamophober Tendenzberichterstattung nahm man es mit der Wahrheit beim Daily Star nicht so genau. Wenn Seiten gefüllt werden mussten, wurden auch beliebige bunte Meldungen erfunden und ins Blatt gerückt:

Dass ich beim „Daily Star“ meist eher Märchen als Wahrheiten berichtete, lernte ich schnell auszublenden (…) Ein Beispiel ist eine Geschichte über das Model Kelly Brook. An dem Tag hatte ich keine Story auf Lager, also behauptete ich, Brook suche einen Hypnosetherapeuten auf, damit dieser ihr helfe, im Bad nicht mehr so lange zu brauchen. Nichts davon stimmte. Aber so lief es eben, die Seite musste gefüllt werden. Am Ende des Tages strich ich dafür einen Bonus ein.

Peppiatt kritisiert auch die britische Medienaufsichtsbehörde (Anm.: Press Complaints Commission), die um solcherlei Umstände wüsste und nichts unternähme. Nachdem seine KÜndigung bekannt geworden ist, soll der Ex-Journalist gar Morddrohungen erhalten haben, Telefon und Emailverkehr sollen überwacht worden sein. Nur eines ist nicht geschehen: Er hat auf sein Kündigungsschreiben nie eine Antwort erhalten.

Facebook statt Sex


08 Feb

Menschen würden eher auf Sex, Alkohol oder Zigaretten verzichten als darauf, ihre Accounts in sozialen Netzwerken wie Facebook zu kontrollieren. Zu diesem Ergebnis kommt der amerikanische Psychologe Wilhelm Hofmann von der Universität Chicago in einer Studie, die in Kürze im Fachmagazin Psychological Science erscheinen wird. Die Süddeutsche weiß zu berichten:

Der Wissenschaftler untersuchte das Verhalten von Bewohnern der fränkischen Stadt Würzburg. 205 Probanden im Alter von 18 bis 85 Jahren waren mit Blackberrys ausgestattet und gaben mehrmals am Tag über ihre Begierden nach verschiedenen Tätigkeiten oder Genussmitteln Auskunft. Sie teilten mit, wonach sie sich in den vergangenen 30 Minuten gesehnt hatten, welcher Gier sie nachgegeben und welcher sie widerstanden hatten. Hofmann sammelte auf diese Weise 10.558 Antworten, in denen 7827 sogenannte Begierde-Episoden enthalten waren.

Die höchsten Raten mangelnder Selbstkontrolle beobachteten die Psychologen dabei im Umgang mit sozialen Netzwerken. Die Webseiten seien einfach stets verfügbar, sagt Hofmann, und anders als etwa Zigaretten weder mit finanziellen noch mit gesundheitlichen Kosten verbunden.

Die Dauerverfügbarkeit sozialer Medien durch Smartphones und Blackberrys macht es daneben möglich, dieser Sucht nach Facebook & Co. auch dauernd nachgehen zu können.

Welches Bildungsniveau haben Castingshows?


03 Feb

Dieter_Bohlen_Moscow_2009Deutsche Politiker haben ja immer wieder Probleme mit der Einbürgerung. Dieses Mal geht es um die Einbürgerung des “Europäischen Qualifikationsrahmens” (EQR) auf deutsches Niveau, nämlich Bildungsniveau. Bildungsniveau ist ja etwas, das sich in Deutschland ganz unten abspielt, also in Süddeutschland, wo man zwar alles außer Hochdeutsch kann, aber umso stolzer auf seine Gymnasialbildung ist. Bildungsabschlüsse sollen aber in Europa vergleichbar werden, damit auch ein dänischer Bildungsbürger in Südfrankreich einen Kochkurs besuchen darf. Also wurden Qualifikationsniveaus eingeführt, die von Niveau 1 (Grundschule) über Niveau 6 (Bachelorabschluss) bis zu Niveau 8 (Promotion) führen. Der deutsche Streit ist für Außenstehende (wie so häufig) nicht recht leicht zu verstehen, aber es ist wohl so, dass irgendwelche gebildeten Politiker sich dagegen wehren, dass das deutsche Abitur auf dasselbe Niveau kommt wie eine beispielsweise handwerkliche Berufsausbildung. Dass sich da nicht in erster Linie die Berufsausbilder echauffieren, ist nur eine der Kuriositäten der Debatte.

Aber der eigentliche und die Volksbildung viel eher zum Ausdruck bringende Aspekt wurde in der Diskussion noch gar nicht zur Sprache gebracht: Auf welchem EQR-Niveau wollen wir eigentlich all die Quizsendungen und Castingshows eingruppieren, die doch den Wissens- und Ausbildungsstand von Otto Normalkonsument viel deutlicher widerspiegeln als Schulnoten, Testate und IHK-Bescheinigungen. Die Lehrer der Nation heißen heute Günther Jauch und Dieter Bohlen. Wer in Deutschland etwas auf sich hält, lernt nicht Fleischereifachverkäuferin, sondern präsentiert seine Auslagen beim RTL-“Supertalent”. Wer von sich hören machen will, wird nicht Mechatroniker, sondern bewirbt sich als “the Voice of Germany” (Englisch-Kenntnisse inklusive). Jemand, der bei “Wer wird Millionär” die 64.000-Euro-Frage knackt, sollte doch wohl dem nämlichen Bildungsniveau zugerechnet werden wie ein Schüler, der mit Sport und Erdkunde als Prüfungsfächern sein Abitur baut. Die jungen Damen, die es in die Endrunde von “The Bachelor” schaffen, sollten die sich nicht einem ebensolchen Bachelor als ebenbürtig erwiesen haben? Warum noch Zahnarzthelferin werden, wenn man den “X-Factor” hat, der bekanntlich zusammen mit dem Y-Faktor nicht nur das kartesische Koordinatensystem beschreibt, sondern auch  eine Managementtheorie sowie das maskuline Chromosomenpaar der Desoxyribonukleinsäure bildet? Die wirklich wichtigen bildungspolitischen Fragen, die unsere Experten endlich einmal diskutieren sollten, lauten doch: Ist der “Recall” in einer Castingshow vergleichbar mit der Mittleren Reife? Bewegt sich ein Quizkandidat von “Drei bei Kai” auf dem gleichen Bildungsniveau wie einer der Gesangshandwerker bei “Deutschland sucht den Superstar”? Müssten nicht Quizmoderatoren längst die Vollmitgliedschaft im “Deutschen Hochschulverband” erhalten und die Intendanten der deutschen Fernsehsender zur Hochschulrektorenkonferenz eingeladen werden?

Aber was macht die deutsche Bildungspolitik: Sie schweigt. Und das ist nun wirklich das letzte, was man sich bei Castingshows leisten kann. Reden ist Silber, Singen ist Gold. Aber die Politiker haben sich darauf verständigt, “von einer Zuordnung der allgemeinbildenden Schulabschlüsse zum Deutschen Qualifikationsrahmen vorerst abzusehen”. Darum müssen auch die tausenden von Teilnehmern an den Quiz- und Castingsendungen des deutschen Fernsehens auf die Anerkennung ihrer Abschlüsse noch warten und werden vorerst nicht erfahren, auf welchem Ausbildungsniveau sie sich im internationalen Vergleich befinden. Wahrlich ein Bildungsskandal.

Europäische Kommission – Allgemeine & Berufliche Bildung – lifelong learning policy – Der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR)

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter