Posts Tagged ‘Günther Jauch’

Welches Bildungsniveau haben Castingshows?


03 Feb

Dieter_Bohlen_Moscow_2009Deutsche Politiker haben ja immer wieder Probleme mit der Einbürgerung. Dieses Mal geht es um die Einbürgerung des “Europäischen Qualifikationsrahmens” (EQR) auf deutsches Niveau, nämlich Bildungsniveau. Bildungsniveau ist ja etwas, das sich in Deutschland ganz unten abspielt, also in Süddeutschland, wo man zwar alles außer Hochdeutsch kann, aber umso stolzer auf seine Gymnasialbildung ist. Bildungsabschlüsse sollen aber in Europa vergleichbar werden, damit auch ein dänischer Bildungsbürger in Südfrankreich einen Kochkurs besuchen darf. Also wurden Qualifikationsniveaus eingeführt, die von Niveau 1 (Grundschule) über Niveau 6 (Bachelorabschluss) bis zu Niveau 8 (Promotion) führen. Der deutsche Streit ist für Außenstehende (wie so häufig) nicht recht leicht zu verstehen, aber es ist wohl so, dass irgendwelche gebildeten Politiker sich dagegen wehren, dass das deutsche Abitur auf dasselbe Niveau kommt wie eine beispielsweise handwerkliche Berufsausbildung. Dass sich da nicht in erster Linie die Berufsausbilder echauffieren, ist nur eine der Kuriositäten der Debatte.

Aber der eigentliche und die Volksbildung viel eher zum Ausdruck bringende Aspekt wurde in der Diskussion noch gar nicht zur Sprache gebracht: Auf welchem EQR-Niveau wollen wir eigentlich all die Quizsendungen und Castingshows eingruppieren, die doch den Wissens- und Ausbildungsstand von Otto Normalkonsument viel deutlicher widerspiegeln als Schulnoten, Testate und IHK-Bescheinigungen. Die Lehrer der Nation heißen heute Günther Jauch und Dieter Bohlen. Wer in Deutschland etwas auf sich hält, lernt nicht Fleischereifachverkäuferin, sondern präsentiert seine Auslagen beim RTL-“Supertalent”. Wer von sich hören machen will, wird nicht Mechatroniker, sondern bewirbt sich als “the Voice of Germany” (Englisch-Kenntnisse inklusive). Jemand, der bei “Wer wird Millionär” die 64.000-Euro-Frage knackt, sollte doch wohl dem nämlichen Bildungsniveau zugerechnet werden wie ein Schüler, der mit Sport und Erdkunde als Prüfungsfächern sein Abitur baut. Die jungen Damen, die es in die Endrunde von “The Bachelor” schaffen, sollten die sich nicht einem ebensolchen Bachelor als ebenbürtig erwiesen haben? Warum noch Zahnarzthelferin werden, wenn man den “X-Factor” hat, der bekanntlich zusammen mit dem Y-Faktor nicht nur das kartesische Koordinatensystem beschreibt, sondern auch  eine Managementtheorie sowie das maskuline Chromosomenpaar der Desoxyribonukleinsäure bildet? Die wirklich wichtigen bildungspolitischen Fragen, die unsere Experten endlich einmal diskutieren sollten, lauten doch: Ist der “Recall” in einer Castingshow vergleichbar mit der Mittleren Reife? Bewegt sich ein Quizkandidat von “Drei bei Kai” auf dem gleichen Bildungsniveau wie einer der Gesangshandwerker bei “Deutschland sucht den Superstar”? Müssten nicht Quizmoderatoren längst die Vollmitgliedschaft im “Deutschen Hochschulverband” erhalten und die Intendanten der deutschen Fernsehsender zur Hochschulrektorenkonferenz eingeladen werden?

Aber was macht die deutsche Bildungspolitik: Sie schweigt. Und das ist nun wirklich das letzte, was man sich bei Castingshows leisten kann. Reden ist Silber, Singen ist Gold. Aber die Politiker haben sich darauf verständigt, “von einer Zuordnung der allgemeinbildenden Schulabschlüsse zum Deutschen Qualifikationsrahmen vorerst abzusehen”. Darum müssen auch die tausenden von Teilnehmern an den Quiz- und Castingsendungen des deutschen Fernsehens auf die Anerkennung ihrer Abschlüsse noch warten und werden vorerst nicht erfahren, auf welchem Ausbildungsniveau sie sich im internationalen Vergleich befinden. Wahrlich ein Bildungsskandal.

Europäische Kommission – Allgemeine & Berufliche Bildung – lifelong learning policy – Der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR)

Dem Sonntagabends-Talk fehlt die Talktik


07 Nov

Was soll man dem noch hinzufügen?

Er packt es einfach nicht. Politische Themen sind nicht die Sache des Günther Jauch. Schon gar nicht, wenn auch noch Sachwissen und vertiefendes Nachhaken gefragt ist. Doch da auf seinem Sendeplatz am Sonntagabend nun einmal das große politische Rad gedreht werden soll, tappt der Moderator seit acht Wochen mit schöner Regelmäßigkeit immer wieder in die Themenfalle. So auch am gestrigen Sonntag, als sich der Mann für die leichten und menschelnden Themen mit seiner Runde den "Chaos-Tagen in Athen" widmen wollte: "Wer will die Griechen jetzt noch retten?", lautete die unheilvolle Frage – nun, diese Talkshow ganz sicher nicht.

Die Krise auf dem Talkshow-Königsplatz: Haircut für Jauch – Kultur | STERN.DE

Günther Jauch: Das große Missverständnis


27 Jun

Günther Jauch: Polit- oder Unterhaltungsjournalist?

Wann hat man es als Journalist eigentlich „geschafft“? Wenn man eine eigene Talkshow in der ARD angeboten bekommt? Oder wenn das als so relevant erscheint, dass das Nachrichtenmagazin Der Spiegel darüber ein vierseitiges Interview führt? Günther Jauch hat beides geschafft, er hat es also „geschafft“. Wirklich?

Ab dem 11.9.2011 soll der Fernsehjournalist die nach persönlich benannte Polittalkshow „Günther Jauch“ moderieren. Immer sonntags, nach dem „Tatort“. ARD-Spitzen haben ihn im Vorfeld, laut Spiegel, als „Großmeister der journalistischen Unterhaltung“ bezeichnet. Aber das genau ist sein größtes Problem.

Günther Jauch war nie politischer Journalist. Das von ihm moderierte TV-Magazin Stern TV war, bestenfalls, gehobener Boulevard: sensationsheischend, manchmal reißerisch, oft belanglos. Wenn Jauch sich in der Sendung mit Politik befasst hat, war dies ein Kollateralschaden anderer Angriffsziele, nämlich der möglichst großen Emotionalisierung, insbesondere durch Personalisierung aller Geschichten und Themen. Aber wenn Jauch schon kein Politjournalist ist, darf er denn wirklich als Unterhaltungskünstler gelten? Wie unterhaltsam ist Günther Jauch?

In den 80er Jahren fiel er erstmals auf: Als Sidekick in der Radiosendung von Thomas Gottschalk auf Bayern 3. Gottschalk war unterhaltsam, Jauch war der Streber. Im Fernsehen die gleiche Arbeitsteilung: Jauch durfte in „Wetten dass“ Außenwetten moderieren. Der Plauderer im Studio war er nicht. Und sein guter Ruf als Moderator von „Wer wird Millionär“ rührt wohl kaum von seinem Charisma her, das hat er nämlich nicht. Im Gegenteil verbindet er den Charme eines Studienrats (wenn auch eines guten) mit dem trockenen Humor eines Stammtischmitglieds, das aus gesundheitlichen Gründen auf den Genuss alkoholischer Getränke verzichtet.

Vielleicht ist es Ironie der Mediengeschichte, dass die Auftaktsendung ausgerechnet am Jahrestag der Anschläge aufs New Yorker World Trade Center (Nine-Eleven) stattfindet. Für Jauch wird sich der Ausflug in die ARD auf jeden Fall lohnen – immerhin ist er schon im Spiegel interviewt worden. Für die ARD könnte es aber ein Ground Zero werden.

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter