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Journalist verlässt den Journalismus


14 Feb

Ist es das, was „Postjournalismus“ genannt wird? Richard Peppiatt, Reporter der englischen Boulevardzeitung Daily Star, hat gekündigt, und dies, wie es sich für einen Journalisten gehört: Mit öffentlichem Aplomb. Sein Kündigungsschreiben hat er nämlich der Konkurrenz vom Guardian zugespielt. Darin begründet er seine Kündigung mit dem totalen Verfall der journalistischen Sitten bei seinem Arbeitgeber, wie in einem Interview mit diepresse.de nachzulesen ist:

Die meisten Storys bewegen sich in Grauzonen. Du lügst nicht, aber du sagst auch nicht die Wahrheit. Ich lernte schnell, bestimmte Fakten zu ignorieren, damit die Story den vorgesehenen Ton traf: Drogen und Einwanderung sind schlecht, Strafen müssen härter werden. In der Regel wurde den Reportern ein Thema samt Standpunkt von oben aufgedrückt. Man erhält keine wirklichen Rechercheaufträge, es heißt eher: „Du schreibst jetzt genau dies und jenes.“ Juristisch waren die Artikel nicht angreifbar, aber sie hatten mit Journalismus trotzdem nichts mehr zu tun.

Insbesondere die Behandlung muslimischer Einwanderer in der Boulevardzeitung sei zu größten Teilen tendenziös und politisch motiviert. Regelmäßig würden Geschichten über Moslems in Großbritannien frei erfunden, nur um ihr Ansehen in der Gesellschaft herabzuwürdigen. Wordbulletin.net fasst zusammen:

He said the fabricated stories were mainly related to Muslims, depicting them as a threat to British society. The defamatory stories became more widespread after the bombings in London on June 7, 2005 — often referred to as 7/7 — and the Sept. 11, 2001 attack on the United States.

Auch fernab islamophober Tendenzberichterstattung nahm man es mit der Wahrheit beim Daily Star nicht so genau. Wenn Seiten gefüllt werden mussten, wurden auch beliebige bunte Meldungen erfunden und ins Blatt gerückt:

Dass ich beim „Daily Star“ meist eher Märchen als Wahrheiten berichtete, lernte ich schnell auszublenden (…) Ein Beispiel ist eine Geschichte über das Model Kelly Brook. An dem Tag hatte ich keine Story auf Lager, also behauptete ich, Brook suche einen Hypnosetherapeuten auf, damit dieser ihr helfe, im Bad nicht mehr so lange zu brauchen. Nichts davon stimmte. Aber so lief es eben, die Seite musste gefüllt werden. Am Ende des Tages strich ich dafür einen Bonus ein.

Peppiatt kritisiert auch die britische Medienaufsichtsbehörde (Anm.: Press Complaints Commission), die um solcherlei Umstände wüsste und nichts unternähme. Nachdem seine KÜndigung bekannt geworden ist, soll der Ex-Journalist gar Morddrohungen erhalten haben, Telefon und Emailverkehr sollen überwacht worden sein. Nur eines ist nicht geschehen: Er hat auf sein Kündigungsschreiben nie eine Antwort erhalten.

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Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter