Die Nachricht muss alle irritieren, die mal eine ARD-Sendeanstalt von innen gesehen haben: Der ehemalige Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo soll einen „Rechercheverbund“ aus WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung leiten. So erklärt etwa Tom Buhrow, der WDR-Intendant:
„Wir bündeln unsere Kräfte in Hörfunk, Fernsehen und Print und machen den Recherchepool zu einem crossmedialen Vorzeigeprojekt für Qualitätsjournalismus“.
Was an solchen Äußerungen wunder nimmt, ist die Tatsache, dass beispielsweise im WDR bislang praktisch überhaupt niemand recherchiert. Von den ca. 4.900 Angestellten des WDR arbeiten vielleicht etwa die Hälfte im weitesten Sinne im redaktionellen Umfeld. Von diesen redaktionellen angestellten MitarbeiterInnen arbeitet aber nur der kleinste Bruchteil wirklich journalistisch, sprich: recherchiert Themen und verfertigt Beiträge. Mehr als 90 Prozent des Programms werden von freien JournalistInnen recherchiert und hergestellt. Wenn diese eng und regelmäßig mit einer bestimmten Redaktion zusammenarbeiten, heißen sie auch „feste Freie“. Das ändert aber nichts daran, dass diese Freien selbständig unternehmerisch tätig sind, d.h. sie recherchieren ihre Themen auf eigene Rechnung und verdienen dann erst Geld, wenn eine WDR-Redaktion Interesse zeigt und einen TV- oder Radio-Beitrag in Auftrag gibt.
Öffenlich-rechtlich verwalten, privatwirtschaftlich produzieren
Diese Arbeitsweise ist auch nicht neu, sondern gehört im Gegenteil zu den basalen Produktionsbedingungen aller öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Schon seit den 1970er hatte in den Sendern, wie der Fernsehhistoriker Knut Hickethier in seiner Geschichte des Deutschen Fernsehens konstatiert hat, die Produktionsweise sich dergestalt verändert, dass zwar öffentlich-rechtlich verwaltet, aber praktisch rein privatwirtschaftlich produziert wurde. Auf diese Weise ließen sich beispielsweise Mitbestimmungsrechte und auch ein damals unter Fernsehleuten noch verbreiteter kritischer Geist einschränken. Redaktionsstatute, Personalratswahlen und andere Partizipationsformen galten nämlich seit dieser Zeit für genau diejenigen „freien“ MitarbeiterInnen nicht, die seitdem den Großteil des Programms herstellen. Man stelle sich vor: Von Redaktionssitzungen sind diese recherchierenden und produzierenden JournalistInnen etwa im WDR explizit ausgeschlossen! Das bedeutet, wenn Redaktionen zusammensitzen und über Themen, Sendungen und Planungen reden, sind genau diejenigen nicht dabei, die diese Sendungen herstellen. Klingt idiotisch? Stimmt.
Öffentlich-rechtliche Recherchen sind ein Widerspruch
Der Gedanke an öffentlich-rechtliche Recherchen ist darum in mehrfacher Hinsicht ein Widerspruch. Diejenigen, die in diesem System recherchieren, tun das in der Regel als „Freie“ auf eigene Rechnung und im eigenen Interesse. Dabei mit anderen zu kooperieren, ist weder vorgesehen, noch auch für den einzelnen „freien“ Mitarbeiter sinnvoll. Umgekehrt macht auch aus Sicht einer ARD-Anstalt eine innerbetriebliche Rechercherabteilung praktisch keinen Sinn, da sie den gesamten Produktionsprozess des Fernsehmachens auf den Kopf stellen würde. Entsprechend gibt es aus den Reihen der Sender auch „Widerstände“ gegen den von Mascolo geplanten Recherchep0ol. Dabei ist die größte Gefahr für die ARD-Anstalten, dass ein Recherche-Profi wie Georg Mascolo mitbekommen könnte, wie erbärmlich und traurig es um kritische Recherchen in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten bestellt ist. Versuche im WDR, analog zu den großen Printhäusern wie Süddeutsche, Handelsblatt oder Stern ein investigatives Rechercheteam zu gründen, scheiterten nach Auskunft von einigen, die in diesen Prozess vor ein, zwei Jahren involviert waren, daran, dass weder Geld, noch Stellen zur Verfügung standen. Wie auch: Stellen für recherchierende JournalistInnen sind öffentlich-rechtlich eben gar nicht vorgesehen.Und wenn der Norddeutsche Rundfunk sich damit brüstet, im Recherchepool zusammen mit der Süddeutschen Zeitung Stories zum „Geheimen Krieg“ ausgegraben zu haben, wäre noch zu fragen, wer genau da „der“ NDR ist, wer für ihn in Wahrheit recherchiert hat und ob man sich nicht vielleicht mit fremden Federn schmückt.
Ist öffentlich-rechtlicher Journalismus noch zu retten?
Natürlich ist er das. Die Frage ist nur, ob es im bestehenden System der checks & balances möglich ist. Kürzlich monierte der PR-Berater Michael Spreng in seinem Blog, die ARD-Anstalten hätten zwar 7,5 Milliarden Euro für ihren öffentlichen Auftrag zur Verfügung, würden aber diesem Auftrag nur noch unzureichend nachkommen:
Medien sollten nicht nur fragen, was die Leute sehen wollen, sondern auch, “was sie sehen sollten”. Das ist die Verantwortung des Journalismus, die immer mehr verloren geht. Das Geld muss raus aus Verwaltung, rein in die Redaktionen.
Mit der letzten Bemerkung irrt Spreng gewaltig. Die Verwaltung beispielsweise des WDR ist eine der wenigen Stellen, die wirklich produktiv arbeitet, wie ich aus eigener langjähriger Erfahrung bestätigen kann. Das Problem sind nicht die Verwaltungen, sondern die Redaktionen. Was man sich als Fernsehmacher wünschen würde, wäre, dass die redaktionellen Etats wirklich für die Fernsehmacher da wären und dass die über das Programm mitbestimmen, die es auch wirklich herstellen. Das etablierte öffentlich-rechtliche System ist eines von Bienendrohnen, die weder fleißig, noch fruchtbar sind, aber dafür teuer. Was hermuss, ist AutorInnenfernsehen und ein effizientes Management, das die Räume für deren Produktionen schafft. Und was aus ZuschauerInnensicht wünschenswert wäre, das wäre mit den Rundfunkräten die Abschaffung eines Pseudo-Kontrollorgans, das sich an der Gesellschaftsschichtung der 1950er Jahre orientiert. Stattdessen muss ein ZuschauerInnen-Parlament her, das für eine echte Mitbestimmung der Gebührenzahler sorgt. Aber ach! vermutlich sind die Zeiten vorbei, in denen das Wünschen noch geholfen hat.
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