Wie IBM einmal über nichts informieren wollte

20 Dez

IBM_Zeitung_leer Weihnachten vor 20 Jahren: Computer mussten damals noch „IBM-kompatibel“ heißen, wenn sie etwas taugen sollten. Die amerikanische Hightech-Schmiede war die unangefochtene Nummer 1 im PC-Business und definierte die Standards. 30.000 Menschen beschäftige die Firma damals allein in Deutschland. Und sie alle sollten auch im Jahr 1990 einen Weihnachtsgruß erhalten, und zwar in Gestalt der IBM-Mitarbeiterzeitschrift Report. Die Weihnachtsüberraschung ist geglückt: Die Umschlagseite verkündete  nämlich „We are informing ourselves to death“, und darauf folgten — 12 leere Seiten. Die letzte Seite wünschte knapp ein frohes Weihnachtsfest und bot allen Mitarbeitern an, einen von IBM gesponserten Vortrag des Medientheoretikers Neil Postman bei der Gesellschaft für Informatik per PROFS als E-Mail zu schicken.

Auf der letzen Seite notierte die Redaktion, was der IBM-Report im abgelaufenen Jahr alles veröffentlicht hatte. Vierhundertachtundneunzig Seiten mit einhundertneununddreißig längeren Artikeln, dreihundertdreiundsiebzig Kurzberichten und kleineren Meldungen, dreitausendsechshundertvierzig Personalnachrichten und eintausendeinhundertvierzig Kleinanzeigen kamen so zusammen. Eine Informationsflut im Sinne von Neil Postman, der damals an seinem Buch Das Technopol arbeitete. Die Weihnachtsgrüße von IBM an die Belegschaft werden von einem bekannten Goethe-Zitat begleitet: „Man sollte jeden Tag versuchen, ein kleines Lied zu hören, ein gutes Gedicht zu lesen, ein schönes Bild anzuschauen, und, wenn es möglich ist, ein paar vernünftige Worte zu sprechen.“

Die Interpretation der gerade für ein Informationsunternehmen äußerst ungewöhnlichen Weihnachtspost lag auf der Hand. Bei Heise online ist dazu zu lesen:

Die leeren Seiten sollten an die Informationsüberflutung, an die Informationsverschmutzung erinnern. Der Informationshahn wurde zugedreht, um daran zu erinnern, dass viele IBM-Mitarbeiter beim Informationskonsum teure Arbeitszeit vergeuden. Der „Information Worker“ war 1990 noch in weiter Ferne, der Rohstoff Information wurde eher als Informationsmüll definiert.

Die leere Jahresend-Ausgabe des Report löste unter den Mitarbeiten eine heftige und langanhaltende Diskussion über Sinn und vor allem Unsinn von Informationen im sogenannten Informationszeitalter aus.

Wie geht man mit Informationen um, wie kann man Filter setzen, wann leitet man Informationen weiter, warum ist es albern, wenn Mails ausgedruckt werden: Diese und etliche interne Fragen mehr beschäfigten die Redaktion mehrere Monate lang. „Bei mir gehen so viele PROFS-Mails ein, dass ich bei bestimmten Absendern nur noch auf die Löschtaste drücke“, schrieb ein Mitarbeiter. Ein anderer erzählte, wie er den Berg unerledigter Mails liegen lässt, um an einem Tag in Monat eine große Löschaktion zu starten. „Man riskiert, auf dringende Anfragen nicht mehr erreichbar zu sein.“

Spitzfindige Kritiker aus dem Haus IBM schrieben der Redaktion übrigens, dass die Ausgabe mit den 12 leeren Seiten den Umweltschutzrichtlinien des eigenen Unternehmens widerspräche. Ein Jahr früher hatte der Konzern in Deutschland verfügt, nur Recycling-Papier zu verwenden. Für die leeren Seiten soll die Mitarbeiterzeitung mehrfach ausgezeichnet worden sein.

heise online – Vor 20 Jahren: Unfeierliche Weihnachtsgrüße von IBM

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Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter