Archive for the ‘Allgemeines’ Category

Der Wir-Journalismus


18 Jun

Es wir-t und unser-t wieder im Journalismus, genauer gesagt: in einer bestimmten Form des Journalismus, genauer gesagt: in der Wochenzeitung „Die Zeit“:

Die ganze Welt will unser Geld.
Was Deutschland leisten kann.
Und was nicht.

Diese aufdringliche Vereinnahmung von „wir“ und „uns“ leistet sich neben dem Hamburger Wochenblatt nur noch die Bild-Zeitung. „Wir sind Papst“ ist vermutlich der prägnanteste Ausdruck des Wir-Journalismus. Auch die „Zeit“ lässt das Personalpronomen der ersten Person Plural vornehmlich und vornehm auf der Titelseite prangen. Wer ist mit diesem „wir“ eigentlich gemeint? Wir Leser, wir Steuerzahler, wir Deutsche, wir Dummen? Die Frage stellte sich schon Blödelbarde Otto Walkes in seiner unverwechselbaren Art, freilich auch ohne recht Antwort zu bekommen, als er den Sinn des Schlagers „Theo wir fahren nach Lodz“ interpretierte:

Wer sind diese vier? Sind es vier alle?

Der Wir-Journalismus ist der kleine Bruder des Hurra-Patriotismus. Denn zum Hurra haben wir die Traute nicht mehr, aber ein „Wir“ zur rechten Zeit, das lassen wir uns noch angelegen sein. Und dann ist da noch der Sportjournalismus, in dem es „wir-t“ und „unser-t“, dass die Schwarte kracht: Wir schlagen die Holländer, wir bezwingen die Portugiesen, wir werden Europameister … Um mit Goethe zu sprechen: Am Wir hängt, zum Wir drängt doch alles – ach, wir Armen!

Netzwerk Recherche: Tipps für die Google-Suche


01 Jun

Bei der Jahrestagung der Journalistenvereinigung „Netzwerk Recherche“ feierte die eingedeutschte Fassung der Google-Suchtipps von hackcollege.com ihre Premiere. Es wurde an den journalistischen Arbeitsalltag angepasst und vereint auf einer einzigen (allerdings sehr sehr langen) Seite die wichtigsten Recherchetipps zur Google-Suche.

Die Grafik findet sich hier:

„Hol‘ alles raus aus Google“

 

Wibke Bruhns: Journalismus als "Jammerbranche"


20 Mai

Wibke BruhnsDie Journalistin Wibke Bruhns hat ihre eigene Zunft als “Jammerbranche” bezeichnet. Bruhns war 1971 die erste weibliche Nachrichtensprecherin im deutschen Fernsehen. Jahrelang hat sie für den “Stern” geschrieben. Auch zu Zeiten, als der Redaktionsalltag noch nicht so konsequent auf Einspareffekte hin durchgemustert worden war, sei “ständig gejammert” worden. Bruhns erinnert sich, dass nach jeder Konferenz sie und ihre Kollegen sich über irgendeine "unmögliche Entscheidung" der Chefs beklagt hätten. Bei Welt Online ist zu lesen:

Dennoch hätten es Journalisten zu ihrer Zeit einfacher gehabt. "Wir haben aus den Vollen geschöpft. Heute zeigen die Verlage immer weniger Bereitschaft, für Journalismus Geld auszugeben."

Leute: Wibke Bruhns nimmt Journalismus als "Jammerbranche" wahr – Nachrichten Newsticker – News3 (DAPD) – WELT ONLINE

Wahlprognosen: Die Wirklichkeit ist immer besser als die Presse


11 Mai

Wahlkampfzeiten sind die Zeiten von Wahlprognosen, und die sind bei Journalisten besonders beliebt. Das Problem ist nur: Meistens stimmen sie nicht. Hier ist die Wahlprognose, die “Yougov” im Auftrag des Kölner Stadtanzeigers für die Landtagswahlen NRW am kommenden Sonntag, den 13.05., erstellt hat:

Wahlprognose NRW

Am interessantesten an diesem Umfrageergebnis sind nicht etwa die Zahlen- und Prozentwerte, sondern die Einschränkungen, die Yougov zwar auf seiner Website macht, die der Kölner Stadtanzeiger aber unlautererweise nicht mitveröffentlicht. Dort heißt es:

Für die Studie wurden von YouGov insgesamt 1.038 wahlberechtigten Bürger in NRW in dem Zeitraum vom 20.04.2012 bis zum 29.04.2012 befragt. Die Fehlertoleranz liegt zwischen 1,4 Prozentpunkten (bei einem Anteilswert von 5%) und 3,1 Prozentpunkten (bei einem Anteilswert von 50%). Die Daten wurden mittels Online-Befragung erhoben. Die Ergebnisse sind politisch gewichtet und repräsentativ für die wahlberechtigte Bevölkerung in NRW ab 18 Jahren.

Vergessen hat Yougov noch anzufügen, dass solche Umfrageergebnis nur eine Wahrscheinlichkeit von ca. 90% haben. Denn die 1.038 Befragten werden nach dem Zufalls- oder Lotterieprinzip ausgesucht. Das bedeutet, es könnte zufällig sein, dass man ausgerechnet 1.038 CDU-Anhänger (oder andere Minderheiten) erwischt. Und eine Fehlertoleranz von 3,1 Prozentpunkten besagt nichts anderes, als dass die SPD genauso gut nur 33,9% und die CDU ebenso gut 33,1 % haben könnte. Mit diesen Werten sähe das Umfrageergebnis aber dem Wahlergebnis der letzten NRW-Wahlen verflixt ähnlich:

Quelle: Wikipedia

Wie kommt’s? Wahlen folgen, wie auch andere prognostizierbare Ereignisse (z.B. das Wetter) der Regel der Persistenz: Die Wahrscheinlichkeit, dass es dieses Mal genauso ausgeht wie das letzte Mal, ist ziemlich hoch. Beim Wetter liegt die Wahrscheinlichkeit, dass es heute so wird, wie es gestern war, in Mitteleuropa bei 70%. Die großräumige 3-Tages-Prognose des Deutschen Wetterdienstes kommt auch nur auf unwesentlich bessere 74% (kleinräumig erreichen Wettervorhersagen für den nächsten Tag allerdings bis zu gute 90%).

Auch in der Politik und bei Wahlentscheidungen ist das Beharrungsvermögen enorm. Man könnte das “politische Persistenz” nennen.  Deswegen war es für alle Leute, die sich gerne mit Statistik beschäftigen, nicht so überraschend, dass die FDP bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein wieder den Einzug in den Landtag schaffte. Viel überraschender war, dass wochenlang die Umfrageinstitute etwas Anderes behaupteten. Überraschend war auch nicht, dass Renate Künast von den Grünen bei den letzten Bürgerschaftswahlen in Berlin nicht Regierende Bürgermeisterin geworden ist, sondern vielmehr, dass die Wahlforscher das wochen- und monatelang vorher behaupteten. So war bei news.de zu lesen:

Eine Grüne kann Geschichte schreiben: Renate Künast könnte die erste Regierende Bürgermeisterin der Ökopartei werden. Die Berliner trauen ihr das Kunststück im Umfragehoch zu.

Für Presse und Fernsehen ist das schön, denn sie haben gleich zweimal etwas, mit dem sie Spalten und Sendezeiten füllen können. Zuerst das scheinbar so überraschende Umfrageergebnis und anschließend die völlig unerwartete Kehrtwende das Wahlvolks, wenn dann wirklich der Wahlsonntag gekommen ist. Nur dass daran weder etwas überraschend noch unerwartet ist …

Wie gehen die Prognosefirmen wie Infas, Forschungsgruppe Wahlen u.a. damit um? Sie tun das, was auch “Yougov” frank und frei zugibt: “Die Ergebnisse sind politisch gewichtet”. Veröffentlicht werden also gar nicht die Zahlen der echten Umfragen, die mit Menschen am Telefon, in Fußgängerzonen oder im Internet gemacht wurden. Die Institute rechnen sich die Ergebnisse nach selbstgewählten Kriterien zurecht. Und wenn sie schlau sind, orientieren sie sich dabei an den Wahlergebnissen der letzten Wahlen. Auf die sog. Sonntagsfrage antworten die Leute auf der Straße nämlich offenbar regelmäßig anders, als sie dann tatsächlich in der Wahlkabine entscheiden.

Wenn doch einmal etwas wirklich Ungewöhnliches passiert, wie z.B. dass ausgerechnet in Baden-Württemberg der erste grüne Ministerpräsident gewählt wird, sehen die Wahlforscher meist alt aus. Interessanterweise ist der unvorhersehbaren BaWü-Wahl ein ebenso unvorhergesehenes Wetterereignis vorangegangen, nämlich ein Tsunami in Japan, der das Kernkraftwerk Fukushima zerstört hat. Wahlen und Wetter haben offenbar wirklich  so einige Gemeinsamkeiten.

Röttgen abgeschlagen hinter Kraft – Kölner Stadt-Anzeiger

Tag der Pressefreiheit


03 Mai

Der “Welttag der Pressefreiheit”, den die UN-Vollversammlung im Jahr 1993 auf den 3.Mai gelegt hat, erinnert daran, dass journalistische Berichterstattung und das Veröffentlichen der eigenen Meinung weltweit alles andere als “frei” ist:

Im vergangenen Jahr zählte "Reporter ohne Grenzen" 67 getötete und 1.044 verhaftete Journalisten. Bis Ende April 2012 kamen etwa 20 weitere ums Leben.

Diese drastischen Fälle dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass nicht nur in Kriegs- und Krisengebieten die Pressefreiheit bedroht ist. Auch in Westeuropa ist der Journalismus ständigen Bedrohungen ausgesetzt.  So erinnert Stefan Ruß-Mohl, Experte für die Lage der Pressefreiheit in Italien, daran, dass sich die dortige Lage seit dem Abtritt Silvio Berlusconis keinesfalls gebessert habe.

Journalisten seien Drohungen durch mafiöse Gruppen ausgesetzt. Zudem kämpfe man mit dem Phänomen der "New Media Barons", also reicher Geschäftsleute, die Medienunternehmen aufkauften und sie dann einem Spielzeug gleich nach ihrem Willen formten.

Auch in Deutschland soll die Lage alles andere als rosig sein. Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" stuft die Bundesrepublik im europäischen Mittelfeld der Pressefreiheit ein.

Medienmagazin pro: Journalismus

Duden und Wikipedia: Schweigen im Walde?


25 Apr
Goethe oder Ganghofer?

Merkwürdig, was man zu lesen bekommt, wenn man im Duden Bd. 12 („Zitate und Aussprüche“) das „Schweigen im Walde“ nachschlägt. Dort ist zu lesen (S.474):

Einer der vielen früher oft gelesenen, meist von Liebes- und Gebirgsromantik bestimmten Romane des bayrischen Schriftstellers Ludwig Ganghofer (1855-1920) trägt diesen Titel. Der Roman wurde, wie auch viele andere Ganghoferromane, mehrfach verfilmt. Der Titel hat sich verselbstständigt und ist in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen. (…)

Merkwürdig, denn der locus communis zum schweigenden Walde ist doch nun nicht gerade Ganghofer, sondern derjenige, der ohnehin als größter Zitatelieferant deutscher Zunge herhalten muss: Johann Wolfgang Goethe (die Abbildung zeigt denn auch den Dichterfürsten und nicht den Ganghofer). In seinem immerhin bekanntesten Gedicht „Ein Gleiches“, das gerne auch unter dem Titel „Wandrers Nachtlied“ erwähnt wird, reimte Goethe:

Über allen Gipfeln Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.

Ludwig Ganghofer hat sich hier offenbar selbst schon eines, seinen LeserInnen vermutlich nur zu bekannten Zitates bedient, mit dem er seinen Roman überschrieb. Wie kommt nun die Duden-Redaktion, die ihren Goethe doch nun auch kennen sollte, dazu, das berühmte Zitat dem bajuwarischen Dichter in den Mund zu legen? Ein Verdacht keimt auf: Man hat in der Dudenredaktion bei Wikipedia nachgeschlagen. Denn unter dem dortigen Lemma „Schweigen im Walde“ wird ausschließlich auf die Verfilmungen des Ganghofer-Stoffes, nicht aber aufs Goethe-Original verwiesen. Es könnte natürlich ebenso gut sein, dass die Wikipedianer sich beim Duden kundig gemacht und darum der Fehlinformation aufgesessen wären. Indes, Wikipedia weiß es besser als der Duden. Denn unter dem Artikel „Wandrers Nachtlied“ wird die Genese des wirklichen Gedichts dieses Titels beschrieben, und das lautet nochmals anders:

Wandrers Nachtlied
Der du von dem Himmel bist,
Alle Freud und Schmerzen stillest,
Den, der doppelt elend ist,
Doppelt mit Erquickung füllest;
Ach, ich bin des Treibens müde!
Was soll all die Qual und Lust?
Süßer Friede,
Komm, ach komm in meine Brust!

Goethe-Ausgabe letzter Hand
Goethe-Ausgabe letzter Hand

Fälschlicherweise wird gerne das Gedicht mit dem Anfangsvers „Über allen Gipfeln ist Ruh“ unter dem Titel „Wandrers Nachtlied“ zitiert. Das hat mit einer editorischen Entscheidung bei der Goethe-Gesamtausgabe „letzter Hand“ zu tun: Dort stand das Gedicht mit dem „schweigen im Walde“ nämlich auf der gleichen Seite wie „Wandrers Nachtlied“ und fand sich überschrieben mit „Ein Gleiches“. Pragmatisch wird dieser Titel interpretiert im Sinne von: „Noch ein weiteres Nachtlied des Wanderers“. GermanistInnen und GoethianerInnen hingegen lesen den Titel eher als Verweis auf das Gleichnishafte und auf die Parallelität zwischen Naturerleben und geistigem Erleben.

Intrikat wurde die Frage nach dem „Nachtlied“, als Thilo Sarrazin seine Auffassung vom Untergang des germanischen Abendlandes unter anderem damit begründete, dass in weiten Bevölkerungsteilen Goethes Gedicht „Wandrers Nachtlied“ nicht mehr bekannt sei. In der ARD-Talkshow von Moderator Frank Plasberg danach befragt, sagte Sarrazin aus dem Gedächtnis aber nicht das echte Gedicht, sondern stattdessen „Ein Gleiches“ auf. Dem Duden wie Thilo Sarrazin möchte man entgegenhalten: Wenn du geschweigen hättest …

Der Rechtstaat in Zeiten des ZDF-Morgenmagazins


18 Apr

Der französische Soziologe Pierre Bordieu unterstellte den Redakteuren unserer Fernsehanstalten eine zutiefst kleinbürgerliche Moral. Wie sich die äußert und in welch reaktionären Tiefen diese landen kann, dafür ist heute das ZDF-Morgenmagazin ein Beispiel. Da äußert der Interims-Moderator des “MoMa”: Es sei schon bizarr, es sei keine Tat aufzuklären, kein Täter zu überführen, und trotzdem würde jetzt in Norwegen dem Attentäter Breivik der Prozess gemacht und ihm ein Forum für seine Ansichten geboten.

Was ist daran denn eigentlich bizarr? Jeder “mutmaßliche” Täter hat das Recht auf einen fairen Prozess. Jeder Angeklagte hat das Recht, sich zu vertreten, seine Meinung zu äußern und seine Taten zu rechtfertigen – egal wie wirr seine Ansichten oder wie schlimm seine Taten sind. Im dazugehörigen Beitrag des ZDF darf diese Ansicht gerade mal eine norwegische Interviewpartnerin äußern. Die ZDF-Journalisten möchten in ihren proprietären Ansichten von Rechtstaatlichkeit nicht so weit gehen.

Ulrich Meyer: 20 Jahre Wühljournalismus


03 Apr

ulrich meyerDas war kein Aprilscherz und irgendwie doch: Am 1.April 1992 ging Ulrich Meyer auf Sat1 mit der Sendung “Einspruch” erstmals über den Äther. Seit 20 Jahren hält sich Meyer nun auf dem Schirm und ist eines der wenigen journalistischen Aushängeschilder des Privatfernsehens. Doch nicht mit “Einspruch”, einem krawalligen Talkformat, sondern erst drei Jahre später bekam Meyer das Abo auf Dauersendung. Da war von Datenjournalismus noch gar nicht die Rede, und doch gründete der TV-Journalist  1995 ein Fernsehmagazin,, das im Titel das unerotischste Arbeitsutensil der modernen Bürowelt trägt: die “Akte”.

Vorgeblich handelt es sich bei “Akte” um Verbraucherjournalismus. Doch wes Geistes Kind das Format in Wirklichkeit ist, wird deutlich, wenn man den Untertitel der Sendung kennt: “Reporter kämpfen für Sie!” Das klingt nicht zufällig nach “Bild kämpft für Sie!” Wer sich als Zuschauer auf den Kampf einlässt und sich hilfesuchend an die Akte-Redaktion wendet (Meyer: “Die Zuschaueranfragen sind so massiv wie noch nie zuvor”), der steht auf jeden Fall nicht auf der Gewinnerseite, der ist von vornherein ein Verlierer im großen Medienspiel. Hier ist nicht anwaltlicher, sondern staatsanwaltlicher Journalismus am Werke, wenn es sich überhaupt um Journalismus handelt und nicht nur um seine Simulation. Hier wird nicht recherchiert, sondern gewühlt. Denn im Vordergrund stehen auch bei “Akte” nicht Aufklärung und bürgerschaftliche Beteiligung, sondern Unterhaltung der etwas untergürteligen Art und jene Art TV-journalistischer Selbstinszenierung, deren peinliche “suspense”-Attitüde Alfred Hitchcock noch posthum den Magen herumdreht. “Vieles davon ist reiner Trash”, schreibt darum auch die Süddeutsche Zeitung. Ganz speziell wird es, wenn die Redaktion ein “Spezial” ankündigt wie im aktuellen Beispiel:

Hat die 500-Kilofrau ihren Neffen getötet? Die ganze Geschichte exklusiv als AKTE-Spezial.

Kaum verwunderlich, dass größter Anteilseigner der Produktionsfirma Meta Productions heute die Fa. Endemol ist, hinter der wiederum Silvio Berlusconis Mediaset steht und die größter Hersteller von biederer Fernsehunterhaltung und allerlei TV-Trash ist.

Medien: Ulrich Meyer: 20 Jahre Sat.1 – kein Ende in Sicht – Diverses – FOCUS Online – Nachrichten

Strauss-Kahn: Angeklagt werden oder nicht?


27 Mrz

Strauss-Kahn,_Dominique_(official_portrait_2008)So ist es heute auf der Online-Seite des Kölner Stadtanzeigers zu lesen:

Strauss-Kahn wird angeklagt

Der ehemalige IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn wurde wegen seiner Beteiligung an illegalen Sex-Partys in Lille erneut vernommen und muss mit einer Anklage rechnen. Neben DSK stehen auch ranghohe Polizisten Geschäftsleute im Visier der Justiz.

Aber wie ist es nun: Wird er angeklagt,wie es in der Überschrift heißt? Oder muss er “mit einer Anklage rechnen”, was etwas ganz anderes ist? Hier nimmt die Überschrift den Vorgang vorweg, der im Artikel dann wieder relativiert wird. Der Presse wirft man ja gerne Vorverurteilungen vor. Hier haben wir den Fall einer Vor-Anklage, aber das ist auch nicht viel besser.

Strauss-Kahn wird angeklagt – Kölner Stadt-Anzeiger

Journalist verlässt den Journalismus


14 Feb

Ist es das, was „Postjournalismus“ genannt wird? Richard Peppiatt, Reporter der englischen Boulevardzeitung Daily Star, hat gekündigt, und dies, wie es sich für einen Journalisten gehört: Mit öffentlichem Aplomb. Sein Kündigungsschreiben hat er nämlich der Konkurrenz vom Guardian zugespielt. Darin begründet er seine Kündigung mit dem totalen Verfall der journalistischen Sitten bei seinem Arbeitgeber, wie in einem Interview mit diepresse.de nachzulesen ist:

Die meisten Storys bewegen sich in Grauzonen. Du lügst nicht, aber du sagst auch nicht die Wahrheit. Ich lernte schnell, bestimmte Fakten zu ignorieren, damit die Story den vorgesehenen Ton traf: Drogen und Einwanderung sind schlecht, Strafen müssen härter werden. In der Regel wurde den Reportern ein Thema samt Standpunkt von oben aufgedrückt. Man erhält keine wirklichen Rechercheaufträge, es heißt eher: „Du schreibst jetzt genau dies und jenes.“ Juristisch waren die Artikel nicht angreifbar, aber sie hatten mit Journalismus trotzdem nichts mehr zu tun.

Insbesondere die Behandlung muslimischer Einwanderer in der Boulevardzeitung sei zu größten Teilen tendenziös und politisch motiviert. Regelmäßig würden Geschichten über Moslems in Großbritannien frei erfunden, nur um ihr Ansehen in der Gesellschaft herabzuwürdigen. Wordbulletin.net fasst zusammen:

He said the fabricated stories were mainly related to Muslims, depicting them as a threat to British society. The defamatory stories became more widespread after the bombings in London on June 7, 2005 — often referred to as 7/7 — and the Sept. 11, 2001 attack on the United States.

Auch fernab islamophober Tendenzberichterstattung nahm man es mit der Wahrheit beim Daily Star nicht so genau. Wenn Seiten gefüllt werden mussten, wurden auch beliebige bunte Meldungen erfunden und ins Blatt gerückt:

Dass ich beim „Daily Star“ meist eher Märchen als Wahrheiten berichtete, lernte ich schnell auszublenden (…) Ein Beispiel ist eine Geschichte über das Model Kelly Brook. An dem Tag hatte ich keine Story auf Lager, also behauptete ich, Brook suche einen Hypnosetherapeuten auf, damit dieser ihr helfe, im Bad nicht mehr so lange zu brauchen. Nichts davon stimmte. Aber so lief es eben, die Seite musste gefüllt werden. Am Ende des Tages strich ich dafür einen Bonus ein.

Peppiatt kritisiert auch die britische Medienaufsichtsbehörde (Anm.: Press Complaints Commission), die um solcherlei Umstände wüsste und nichts unternähme. Nachdem seine KÜndigung bekannt geworden ist, soll der Ex-Journalist gar Morddrohungen erhalten haben, Telefon und Emailverkehr sollen überwacht worden sein. Nur eines ist nicht geschehen: Er hat auf sein Kündigungsschreiben nie eine Antwort erhalten.

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter