Posts Tagged ‘Datenpanne’

Wahlprognosen: Die Wirklichkeit ist immer besser als die Presse


11 Mai

Wahlkampfzeiten sind die Zeiten von Wahlprognosen, und die sind bei Journalisten besonders beliebt. Das Problem ist nur: Meistens stimmen sie nicht. Hier ist die Wahlprognose, die “Yougov” im Auftrag des Kölner Stadtanzeigers für die Landtagswahlen NRW am kommenden Sonntag, den 13.05., erstellt hat:

Wahlprognose NRW

Am interessantesten an diesem Umfrageergebnis sind nicht etwa die Zahlen- und Prozentwerte, sondern die Einschränkungen, die Yougov zwar auf seiner Website macht, die der Kölner Stadtanzeiger aber unlautererweise nicht mitveröffentlicht. Dort heißt es:

Für die Studie wurden von YouGov insgesamt 1.038 wahlberechtigten Bürger in NRW in dem Zeitraum vom 20.04.2012 bis zum 29.04.2012 befragt. Die Fehlertoleranz liegt zwischen 1,4 Prozentpunkten (bei einem Anteilswert von 5%) und 3,1 Prozentpunkten (bei einem Anteilswert von 50%). Die Daten wurden mittels Online-Befragung erhoben. Die Ergebnisse sind politisch gewichtet und repräsentativ für die wahlberechtigte Bevölkerung in NRW ab 18 Jahren.

Vergessen hat Yougov noch anzufügen, dass solche Umfrageergebnis nur eine Wahrscheinlichkeit von ca. 90% haben. Denn die 1.038 Befragten werden nach dem Zufalls- oder Lotterieprinzip ausgesucht. Das bedeutet, es könnte zufällig sein, dass man ausgerechnet 1.038 CDU-Anhänger (oder andere Minderheiten) erwischt. Und eine Fehlertoleranz von 3,1 Prozentpunkten besagt nichts anderes, als dass die SPD genauso gut nur 33,9% und die CDU ebenso gut 33,1 % haben könnte. Mit diesen Werten sähe das Umfrageergebnis aber dem Wahlergebnis der letzten NRW-Wahlen verflixt ähnlich:

Quelle: Wikipedia

Wie kommt’s? Wahlen folgen, wie auch andere prognostizierbare Ereignisse (z.B. das Wetter) der Regel der Persistenz: Die Wahrscheinlichkeit, dass es dieses Mal genauso ausgeht wie das letzte Mal, ist ziemlich hoch. Beim Wetter liegt die Wahrscheinlichkeit, dass es heute so wird, wie es gestern war, in Mitteleuropa bei 70%. Die großräumige 3-Tages-Prognose des Deutschen Wetterdienstes kommt auch nur auf unwesentlich bessere 74% (kleinräumig erreichen Wettervorhersagen für den nächsten Tag allerdings bis zu gute 90%).

Auch in der Politik und bei Wahlentscheidungen ist das Beharrungsvermögen enorm. Man könnte das “politische Persistenz” nennen.  Deswegen war es für alle Leute, die sich gerne mit Statistik beschäftigen, nicht so überraschend, dass die FDP bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein wieder den Einzug in den Landtag schaffte. Viel überraschender war, dass wochenlang die Umfrageinstitute etwas Anderes behaupteten. Überraschend war auch nicht, dass Renate Künast von den Grünen bei den letzten Bürgerschaftswahlen in Berlin nicht Regierende Bürgermeisterin geworden ist, sondern vielmehr, dass die Wahlforscher das wochen- und monatelang vorher behaupteten. So war bei news.de zu lesen:

Eine Grüne kann Geschichte schreiben: Renate Künast könnte die erste Regierende Bürgermeisterin der Ökopartei werden. Die Berliner trauen ihr das Kunststück im Umfragehoch zu.

Für Presse und Fernsehen ist das schön, denn sie haben gleich zweimal etwas, mit dem sie Spalten und Sendezeiten füllen können. Zuerst das scheinbar so überraschende Umfrageergebnis und anschließend die völlig unerwartete Kehrtwende das Wahlvolks, wenn dann wirklich der Wahlsonntag gekommen ist. Nur dass daran weder etwas überraschend noch unerwartet ist …

Wie gehen die Prognosefirmen wie Infas, Forschungsgruppe Wahlen u.a. damit um? Sie tun das, was auch “Yougov” frank und frei zugibt: “Die Ergebnisse sind politisch gewichtet”. Veröffentlicht werden also gar nicht die Zahlen der echten Umfragen, die mit Menschen am Telefon, in Fußgängerzonen oder im Internet gemacht wurden. Die Institute rechnen sich die Ergebnisse nach selbstgewählten Kriterien zurecht. Und wenn sie schlau sind, orientieren sie sich dabei an den Wahlergebnissen der letzten Wahlen. Auf die sog. Sonntagsfrage antworten die Leute auf der Straße nämlich offenbar regelmäßig anders, als sie dann tatsächlich in der Wahlkabine entscheiden.

Wenn doch einmal etwas wirklich Ungewöhnliches passiert, wie z.B. dass ausgerechnet in Baden-Württemberg der erste grüne Ministerpräsident gewählt wird, sehen die Wahlforscher meist alt aus. Interessanterweise ist der unvorhersehbaren BaWü-Wahl ein ebenso unvorhergesehenes Wetterereignis vorangegangen, nämlich ein Tsunami in Japan, der das Kernkraftwerk Fukushima zerstört hat. Wahlen und Wetter haben offenbar wirklich  so einige Gemeinsamkeiten.

Röttgen abgeschlagen hinter Kraft – Kölner Stadt-Anzeiger

Die Volkszählung übertreibt wieder einmal


08 Jun

Volkszählung kurios: Wie der Trierer Volksfreund berichtet, übertreiben die statistischen Landesämter deutlich in ihrem eisernen Willen, die Daten von Millionen Bundesbürgern auszuspähen. Nicht genug, dass die Auserwählten und alle Hausbesitzer verpflichtet sind, sich an dem Zensus zu beteiligen: Das Ausfüllen kann, wie im Fall einer Familie aus der Eifel, in richtig viel Arbeit ausarten:

Damit hat Elke Daleiden beim besten Willen nicht gerechnet. „Ich war total verdutzt, als ich die Päckchen geöffnet hab’“, erzählt die in Speicher lebende Hausbesitzerin. Denn statt eines dünnen Zensus-Briefs vom Statistischen Landesamt in Bad Ems erhielt sie vier dicke Pakete – mit insgesamt 224 Fragebögen für die Gebäude- und Wohnungszählung. Für fast jedes Haus in der Speicherer Ringstraße. Nur nicht für die Objekte, die ihr tatsächlich gehören.

Selbst eine so offensichtliche Datenpanne kann aus den Betroffenen richtiggehend Benachteiligte machen.

Auf der Zensus-Seite im Internet steht: „Sofern Ihnen mehrere Fragebogen für ein und dasselbe Gebäude oder Wohnung zugestellt wurden, bitten wir Sie um folgendes Vorgehen: Senden Sie trotzdem alle Fragebogen zu diesem Objekt zurück.“Bei 224 Bögen würde das jede Menge Zeit beanspruchen.

Das Landesamt wollte ihr aber entgegenkommen und forderte sie auf, lediglich die Fragebögen zu den Häusern in ihrem Eigentum einzuschicken. Doch das ging eben auch nicht: Für ihre eigenen Objekte hatte sie ja ausgerechnet gar keine Fragebögen erhalten.

Causa Kachelmann: Der "Prozess des Jahres"?


07 Sep

Der „Prozess des Jahrhunderts“ — bleibt für mich immer noch der „Process“ von Franz Kafka. Was aber, bitte, ist der „Prozess des Jahres“, den wechselweise alle Sumpfblätter dieser Republik konstatieren?

www.bild.de/BILD/news/2010/09/…/landgericht-mannheim-ticker.html

www.stern.de/…/der-fall-kachelmann-startschuss-fuer-den-prozess-des-jahres-1599969.html

www.bz-berlin.de/…/um-9-uhr-tritt-kachelmann-heute-vor-seinen-richter-article969803.html

Ist der Strafprozess, der Montag in Mannheim gegen einen TV-bekannten Wettermoderator begann, juristisch wegbereitend? Hat er für irgendeinen Menschen außer den Prozessbeteiligten weitergehende Auswirkungen? Gar einen gesellschaftlichen oder politischen Effekt? Wohl kaum. Einzig der Umstand, dass eine bekannte deutsche Frauenrechtlerin ihr Werbeengagement für Deutschlands heruntergekommenstes Blatt mittels einer mutmaßlichen Vergewaltigung ausdehnt, ist notabel. Aber es handelt sich dabei nicht um den Prozess, sondern um die Presseposse des Jahres. Einst hat man mal Skribenten den Prozess gemacht, wenn sie unhinterfragt irgenwelchen Unsinn abschrieben. Dass auch im Unsinn der Sinn steckt, geht in der Gesamtschau boulevardesker Medienerzeugnisse beinahe unter.

Das Pöbliversum der „Bunten“

Titelblatt_Bunte_2010 Wer sich über die boulevardesken Erscheinungen, über die Hirnverbranntheit all der „Brisant!“, „Prominent!“, „Blizz“, „Gala“ etc. echauffiert, der sollte nicht vergessen, dass es auch noch viel schlimmer geht, und dass das Schlimme einen Namen hat: Die „Bunte“. „Leidenschaft für Menschen“ untertitelt sich das Magazin selbst, dabei die Wörter „Leidenschaft“ und „Menschen“ in unerträglicher Art besudelnd. Als hässliches Entlein geboren, hat die Illustrierte auch nach ihrer Umwidmung vom Gossenhauer zum „People-Magazin“ sich nie in einen Schwan verwandelt. Und das englische Wort „People“ kann seine etymologische Verwandtschaft mit dem vulgären „Pöbel“ auch nicht verhehlen, wobei im Bunte-Pöbliversum nicht die Leserschaft, sondern die abgebildete Pseudo-Haute-Volée als solchen sich begreifen darf. Kein herangezoomtes Paparazzi-Foto ist zu schlecht, um nicht für viel Geld in gröbster Körnung in der Pöbelpoblikation pobliziert zu werden. Kein illegal ergattertes Oben-ohne-Foto ist ohne genug, kein tief ausgeschnittener Ausschnitt zu tief, um mit der Niedrigkeit der Beweggründe der „Bunte“-Macher mithalten zu können, die in an Verquastheit kaum zu überbietender moralischer Reziprozität mit jedem hingeschmierten Wort den Bildinhalt zu konterkarieren versuchen:

Salma war noch nie die Stilkönigin unter den Hollywood-Schauspielerinnen, aber dieses Outfit ist nun wirklich der Knaller – es quillt. Sie hätte das Lederjäckchen ruhig drei Nummern größer wählen können!

Wenn die „Bunte“ in der Causa Kachelmann eine vorgebliche „Ex-Geliebte“ nach der anderen einvernimmt, bekennt sie sich nicht so sehr zu ihrer „Leidenschaft für Menschen“, als zu eben jener für den Sudel, der am eigenen Medien-Kotflügel hängen bleibt. Leiden müssen nur die anderen. Zum Beispiel jene Politiker, denen die „Bunte“ von einer Detektivagentur nachstellen und auflauern ließ, um jenen schmierigen Fischzug im Privatleben im nachhinein als „investigativen Journalismus“ auszugeben. Einsicht und Scham ist solchen Leuten, allen voran der aktuellen Chefredakteurin Patricia Riekel, unbekannt. Sie, die ihren eigenen Berusethos mit den Worten „Wir sind ja kein Streichelzoo“ umschreibt, lässt sich zitieren mit:

Wir beschäftigen uns mit den Schicksalen der anderen, weil wir daraus lernen wollen.

Die „Bunte“ als Organ der Volkserziehung? Die Probe aufs Exempel wäre ein journalistischer Pisa-Test, bei dem die „Bunte“-Redaktion mitsamt ihrer Chefredakteurin vermutlich in ähnliche Schieflage geriete wie der gleichnamige Turm. Wer den guten alten Klatsch-Reporter zum „Society-Experten“ geadelt hat, muss selbst einen an der Klatsche haben. Wo man einer Illustrierten wie der „Gala“ in all ihrer Dümmlichkeit noch postpubertären Charme nachsagen kann, dem „Goldenen Blatt“ seine grenzenlos naive Attitüde und selbst die „Bildzeitung“ bei einigen als „surreales Kunstwerk“ (Enzensberger) durchgeht, da bietet die „Bunte“ nur barocke Fülle, nämlich eine Fülle von Trostlosigkeit. Wessen Konterfei einmal in der „Bunten“ auftaucht, der ist dem Untergang geweiht, wenn er nicht ohnehin schon zu den Untoten dieser Republik zählt. So geschah es etwa dem Politiker-Darsteller Rudolf Scharping, der sich erst von der „Bunten“ beim Bade ablichten ließ und dann baden ging. Nein, wessen Foto in der „Bunten“ erscheint, der kann sich gleich erschießen. Oder den Fotografen.

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