Archive for the ‘Sprache’ Category

Missbrauch lässt sich steigern


06 Mrz

Missbrauch lässt sich steigern. Der angemessene Umgang damit auch. So ist in der heutigen Ausgabe des Kölner Stadtanzeigers zu lesen:

Katholische Verbände fordern angemesseneren Umgang mit den Opfern

Interessanterweise findet sich die Formulierung in der Online-Ausgabe des Stadtanzeigers nicht. Mit gutem Grund: Was bedeutet ein “angemessenerer Umgang”? Dass der Umgang der Kirche mit den Verbrechen in ihren Reihen bislang schon “angemessen” war und jetzt nur noch ein bisschen “angemessener” werden muss? Nun, das ist selbst für gläubige Menschen unglaublich. Es gibt eben nur angemessen oder unangemessen – und kein weniger oder mehr angemessen. Genau so wie es nicht “ein bisschen missbraucht” gibt, sondern nur missbraucht oder nicht missbraucht. Und eine Organisation wie die katholische Kirche kann auch nicht “ein wenig ekelhaft” sein, sondern einfach nur ekelig.

Erzbistum soll Missbrauch anerkennen – Kölner Stadt-Anzeiger

NOCH NIE


09 Okt

Zum unten angesprochenen „Seitismus“ reiht sich natürlich noch ein anderes Phänomen, mit dem Journalisten ihre Unkenntnis in Stochastik untermauern: Der „Noch-nie-ismus“. Was aber auch alles „noch nie“ stattgefunden hat:

Vizekanzler in spe Westerwelle ist noch nie wirklich angekommen

Kaiser (Linke) oder Wanka (CDU) – noch nie stand die Platzeck-SPD so nah am

Ein Absturz wie noch nie

Herta Müller: „Ich habe noch nie auf einen Preis gewartet“

Der völlige Ausschluss der Möglichkeit, etwas habe nicht vielleicht doch schon irgend wann einmal sich ereignet und nur die eigene Ignoranz, Kleingeistigkeit oder mangelnde Welterfahrung hat es den Journalisten nicht wissen lassen, gehört zu den präpotenten Posen des Journalismus. Dagegen wusste doch schon James Bond, man solle niemals nie sagen, und wer geschwiegen hat, der hat noch immer seine Chancen verbessert, ein Philosoph zu bleiben. Im Werbe-Geraune dagegen kann ein keckes „noch nie“ durchaus Stimmung verbreiten, wie auf einer Website eines Kinobetreibers:

KINO WIE NOCH NIE

Journalismus wie noch nie, das würden wir uns allerdings auch wünschen.

Schlechtester Text seit immer


06 Okt

„Schlechtester Text seit immer“, so überschreibt Dirk Gieselmann von der Fußballzeitung 11 Freunde seinen Text, in dem er sich mit der unscheinbaren Präposition „seit“ beschäftigt. Denn das Wort „seit“ sei der „Knüppel der Fußball-Reporter“.

Weil in den Neunziger Jahren fuchsige Informatikstudenten die »ran«-Datenbank aufgebaut haben, weiß man heute über jedes Ereignis, seit wann es nicht mehr eingetreten ist. Reporter schleppen Leitz-Ordner voller »Seit«-Statistiken in ihre Kabinen und feuern sie in Salven ab: Das war der kürzeste Einwurf seit zweieinhalb Tagen! Schon seit einer Minute kein Tor mehr! Ding seit Bums! Bla seit Bla!  

Die harmlose Präposition hat eigentlich den schlichten Zweck, Zustände in ihrer zeitlichen Abfolge darzustellen. Im Sportjournalismus, aber nicht nur da, wird das Wort indes dazu mißbraucht, unbotmäßig Parallelen und Schlußfolgerungen zu ziehen. Hier wird eine Stochastik bemüht, die lediglich im Trüben stochert, ist doch der Aussagewert von Feststellungen wie „seit 52 Spielen torlos“ oder „bester Zustand seit Jahren“ gering. Womöglich sollte dem „Immermehrismus“ und dem „Abzuwartismus“ eine weitere Kategorie hjinzugefügt werden, der „Seitismus“.

11 FREUNDE – Bundesligen – Wie Statistiken nerven – Schlechtester Text seit immer

Wochenendschicht beim Stadtanzeiger


03 Aug

Wer am Wochenende arbeiten muss, ist schlecht gelaunt, unwillig oder bei den Kollegen so unbeliebt, dass man ihn während der Woche einfach nicht ertragen kann. So sieht dann auch die Montagsausgabe des Kölner Stadtanzeigers aus. Dabei antwortete schon Karl Kraus auf den Einwand, es handle sich doch bloß um Tippfehler, sinngemäß, wer schludrig im Schreiben sei, der sei auch schludrig im Denken. So ist beispielsweise zu lesen:

Zusatzeinkünften können aber auch Durchschnittsrentner steuerpflichtig werden.

Man sollte Rentner besser behandeln. Dann könnte man auch die richtigen Leute in Rente schicken.

Immermehrismus stirbt aus


30 Jul

Immer mehr Frauen bleiben kinderlos, ist im Onlineauftritt der Zeit zu lesen. Das lässt einen ja hoffnungsfroh werden, dass der Immermehrismus mit seinen Benutzern irgendwann zur Gänze ausstirbt. Denn wenn immer mehr immer weniger Kinder kriegen, dann bleibt auch für den letzten Blödsinn keiner, der ihn mehr machen kann. Immerhin.

Familien: Immer mehr Frauen in Deutschland kinderlos | ZEIT ONLINE

Kriegsspiele


12 Jul

Was der Krieg aus Menschen macht, führt Spiegel Online vor:

Der Feind lauert überall, hinter Büschen, Mauern, am Rand der staubigen Piste.

Hier will jemand mit tumber Kriegsprosa den Beweis nicht schuldig bleiben, dass im Kriege erst der Soldat und dann die Sprache stirbt und neben die Kriegsversehrten schnell die Sprachversehrten treten. Und wenn Feinde „überall“ lauern, dann sollten deutsche Soldaten auch „überall“ dabei sein. Schützenhilfe leisten die Heckenschützen des deutschen Journalismus. Zum Totlachen …

Spiegel Online: „Krieg im Kleingedruckten“

Im philologischen Härtetest


07 Jul

„im philologischen Härtetest“, überschreibt die Wochenzeitung Die Zeit einen Artikel, in der ein leibhaftiger „emeritierter Professor für Germanistik“, nämlich Klaus Kanzog, den Siegertext des diesjährigen Bachmann-Wettbewerbs einer „literaturwissenschaftlichen Analyse“ unterziehen darf. Ob der abgedruckte Text wirklich alle Kriterien einer solchen erfüllt, sei dahingestellt. Allerdings verwundert doch, wenn ausgerechnet der Germanistikprofessor von einer „psychiatrischen Diskurspraktik“ spricht. Denn das richtige Substantiv wäre an der Stelle doch „Praxis“ gewesen. Jedoch ist mitunter eine psychiatrische Praxis auch wieder mißverständlich, und der Diskurs kann diese Sinnverstellung schwerlich heilen. Dem Erfinder der Diskurstheorie wiederum, Michel Foucault, würde die psychiatrische Praxis der Diskurse bestimmt sehr gut gefallen.

Bachmann-Preis – Im philologischen Härtetest | ZEIT ONLINE

Deutschlands „beste“ Tageszeitung?


28 Mai

Als „Deutschlands beste Tageszeitung“ wird, besonders unter Journalisten, gerne die Süddeutsche Zeitung aus München bezeichnet. Mich hat diese Klassifizierung immer schon gewundert. Vieles in dieser Zeitung ist an banaler Eitelkeit nicht zu übertreffen. Das „Gutgeschriebene“ an ihren Artikeln häufig nur sprachliche Hilflosigkeit. Und speziell das wochenendliche „Magazin“ kommt über einen spätpubertären Charme oft nicht hinaus.

Was aber Redaktion und Autor dazu bewogen hat, sich in die Niederungen fäkalisierter Gossensprache zu begeben und einen Artikel über einen Speise-Eis-Test der Stiftung Warentest mit „Vanillesch…Eis“ zu überschreiben, das wird wohl auch den Wohlgesonnensten unter ihren Verfechtern ein Rätsel bleiben. Dass der Artikel auch noch unter der mäßig originellen Rubrik „Du bist, was Du isst“ erscheint, gleibt geschmacklich im Rahmen. Die „beste Tageszeitung Deutschlands“ würde anders schreiben. 

Schwein gehabt


03 Mai

Schweinegrippe: Das ist natürlich so ein Umstand, wie gemacht für Journalisten. Ein kurioses Wort, eine tödliche Bedrohung und doch so weit weg (Mexiko), dass man das Spektakel genießen kann wie der Zuschauer am Meeresufer den Schiffbruch. Die Einzelfälle, die sich hierzulande ereignen, halten das Thema am Kochen und erhöhen den Gruselfaktor. Aber jetzt, ojeh, was muss man da bei Spiegel Online lesen:

Allerdings ist in Kanada zum ersten Mal auch eine Infektion bei Schweinen nachgewiesen worden. Die Tiere sollen sich bei einem kranken Bauern angesteckt haben, der zuvor aus Mexiko zurückgekehrt war.

Die Schweinegrippe jetzt auch bei Schweinen? Also, mit Verlaub, das versteht doch kein Schwein.

„Sex, Macht und Politik“


20 Apr

„Sex, Macht und Politik“: So nennt sich ein Weblog von Bettina Röhl auf der Website der Tageszeitung Die Welt. Die Autorin ist Tocher von Ulrike Meinhof. Das ist hier zu erwähnen, weil sie es selbst nicht unterlässt. Da hat jemand sein Lebensthema gefunden: Im Leben von jemand anderem. So muss man wohl feststellen, wenn man etwa ihr Interview mit M. Reich-Ranicki liest, in dem es besonders darum geht, wie Ulrike Meinhof einmal eben denselben interviewte. Lässt schon der Rubrikentitel, der kaum je einhalten kann, was er verspricht, schlimmes vermuten, so kommt es beim Hineinlesen nur noch schlimmer. So ist zu lesen:

Bis in Harald Schmidts Unterschichten hinein ist Literatur ein Begriff geworden, der über Jahrhunderte einer dünnen Schicht des Bildungsbürgertums weitestgehend vorbehalten war.

Was soll der Satz eigentlich sagen? Ist das noch deutsch? Oder ist es schon die Sprache gerade jener „Unterschichten“, deren Literaturbegriff (so sie überhaupt einen hat) schwuppdiwupp schon wieder enteignet wurde, und zwar seit Jahrhunderten von einer dünnen Schicht Bildungsbürger. Und egal ob dünne oder dicke Bildungsbürger, diese Schicht gibt es zwar noch gar nicht jahrundertelang und auch ihr Literaturbegriff ist ein ziemlich junger, aber das kann ja der Autorin schnuppe sein. Was sagen will: Ulrike Meinhof konnte vermutlich besser schreiben.

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter