Posts Tagged ‘Günter Grass’

Grass setzt weitere „Duftmarken“


27 Apr

www.steidlville.comGünter Grass hat’s schon wieder getan: Er lässt sich das Dichten einfach nicht verbieten! Diesmal hat er “Duftmarken” gesetzt. Sein Göttinger Verleger, Gerhard Steidl, kam nämlich auf die Idee, ein Parfüm herstellen zu lassen, das nach nichts anderem als nach Büchern und Papier duftet.

Für den 61-Jährigen ist das Büchermachen ein sinnliches Erlebnis. „Der Geruch eines frischen Buchs ist betörend wie ein Rauschmittel“, sagt Steidl. „Ja, dieser Duft ist dein Parfüm“, bemerkt der US-Fotograf Robert Frank in einem Dokumentarfilm über Steidl, als ihn der Verleger an einem neuen Bildband schnuppern lässt. Wegen dieser Szene regte das britische Lifestyle-Magazin „Wallpaper“ das gemeinsame Projekt an.

www.steidlville.comUnd weil in der Göttinger Provinz nicht viel los ist (der Verfasser dieser Zeilen spricht aus Erfahrung), wurde fürs Produktdesign kein geringerer als Karl Lagerfeld angeworben und fürs Werbetextchen auf der Packung war Günter Grass zuständig. Er steht damit in durchaus ehrenwerter Tradition: der Dichter Frank Wedekind stand einst als Werbechef bei Julius Maggi unter Vertrag. Kostprobe:

»Vater, mein Vater! Ich werd nicht Soldat! Dieweil man bei der Infanterie nicht Maggi-Suppe hat!« – »Söhnchen, mein Söhnchen! Kommst Du erst zu den Truppen, So isst man dort auch längst nur Maggis Fleischkonservensuppen.«

Das Duftdesign besorgte der Berliner Parfümeur Geza Schön. Nun hat der Duft der Bücher wirklich etwas. Der Verfasser dieser Zeilen gibt zu, selbst Schnüffler zu sein und seine Buchschätze durchaus auch zu beschnuppern. Doch wenn wir ehrlich sind: Das Wort, das dieses Geruchserlebnis am besten beschreibt, ist am ehesten “muffig”. Der Göttinger Verleger veranlasste darum auch den Duftkreateur, noch Moschus und Osmanthus unters Odeur zu mixen zwecks des Wohlgeruchs. Ach, ginge das doch auch bei Lyrik!

Designmesse in Mailand – Parfüm mit Bücherduft – Karl Lagerfeld gestaltete Flakon – Aus aller Welt – Hamburger Abendblatt

Grass-Gedicht: Kein Literatur-, sondern ein Presse-Skandal


09 Apr

Quelle: WikimediaWas hat die Feuilleton-Redaktion der Süddeutschen Zeitung sich eigentlich dabei gedacht, als sie am vergangenen Mittwoch Günter Grass’ Gedicht “Was gesagt werden muss” veröffentlicht hat? Wir werden es nicht erfahren, weil sie es uns nicht mitteilt. Die italienische Tageszeitung La Repubblica, die den Text zeitgleich ebenfalls veröffentlichte, hat ihn mit einer zwei-seitigen kritischen Auseinandersetzung begleitet. In der SZ: Fehlanzeige. Dort erschien das skandalumwitterte Gedicht kommentarlos. Erst am folgenden Tag, nachdem jene “heilige Scheiße” über den deutschen Literaturnobelpreisträger hereingebrochen ist, die im aktuellen Social-Media-Jargon als “shitstorm” bezeichnet wird, sah sich Feuilleton-Chef Thomas Steinfeld veranlasst, sich zu dem Text zu äußern:

In der Sache wird man Günter Grass an vielen Punkten widersprechen. Bis zu einem israelischen „Erstschlag“, also zu einem initialen Angriff der Israelis mit Atomwaffen, reichen bislang selbst die schwärzesten politischen Phantasien nicht, ebenso wenig scheint ein „Auslöschen“ des iranischen Volks (Günter Grass wird dieses Wort gewählt haben, weil darin der Holocaust anklingt) anzustehen.

Wenn der SZ-Mann widersprechen will, warum veröffentlicht er dann? Wenn er für halt- und nutzlos hält, was Grass hier als lyrische Empfindsamkeit tarnt, warum lässt er es dann unkommentiert auf breitem Raum in seiner Zeitung erscheinen? Darauf hätte man gerne Antworten. Solange die ausbleiben, darf man spekulieren: Dass hier eine Redaktion einen “scoop” witterte, dass man die eigenen Auflage- und Verkaufszahlen gerne mit allem fördert, und sei es auch Antisemitismus und Holocaust. Eine Grass’sche Behauptung widerlegt die SZ durch die schlichte Veröffentlichung des Pamphlets: Dass es in Deutschland irgendwelche Sprech- oder Publikationsverbote gäbe. Und schon allein diese Position von Grass (wenn auch sonst keine), sollte einen doch wundern machen: die Inanspruchnahme eines vorgeblichen Denk- und Sprechverbots (O-Ton Grass: “Das allgemeine Verschweigen dieses Tatbestandes”), insbesondere was Kritik am Staat Israel angeht. Denn ein solches “Verbot” wird doch quer durch die bundesrepublikanische Debatten-Geschichte widerlegt. Im Gegenteil ist Israel-Kritik einer der Allgemeinplätze in der deutschen Öffentlichkeit, und in ihr verbinden sich auf fatale Weise die Positionen der rechts- wie der linksextremen, von der NPD bis zur RAF. Grass’ Behauptung ist also eine rein rhetorische, und diese Rhetorik teilt er traurigerweise mit den Sarrazins und Schönhubers dieses Landes, die regelmäßig vermeintliche Mehrheitsmeinungen mit angeblichen Sprechverboten garnieren (“man wird doch wohl noch sagen dürfen …”).

Ich möchte mich hier ausdrücklich den Worten des geschätzten Schriftstellers Joachim Helfer anschließen, der zur Causa Grass und im besonderen zur veröffentlichten Meinung des Journalisten Jakob Augstein schrieb:

Der Frieden zwischen Israel und dem Iran wird nicht durch Israels Nuklearwaffen bedroht, und zwar einfach deshalb nicht, weil es nie die Waffen sind, die den Frieden bedrohen, sondern die Menschen und ihre Handlungen und Absichten. Nicht dass es Atomwaffen gibt bedroht den Weltfrieden; vielmehr spricht vieles dafür, dass ihre Existenz es ist, die uns in Europa seit 1945 einigermaßen in Frieden hat leben lassen. Den Frieden bedroht, wer Andere bedroht, und wer die legitimen Rechte Anderer in Abrede stellt. Israel stellt keines der Rechte des Iran in Abrede; Iran bestreitet im Gegenzug das Existenzrecht Israels. Das, und nur das, bedroht den Frieden in der Region. Kein Staat der Welt kann es hinnehmen, dass einerseits seine schiere Existenz vernichtet werden soll, und dass andererseits diejenigen, die das verlangen, sich die dafür tauglichen Mittel, nämlich die Atombombe, besorgen. (…) Es geht Ihnen, pünktlich zu Pessach, um die Verhetzung der Juden als Wurzel des Übels in der Welt. Sie ekeln mich an.

SZ-Feuilletonchef Steinfeld kritisiert in seinem Text (der interessanterweise auf der Grass-Themenseite bei SZ-Online nicht zu finden ist) die Grass’sche Durchsichtigkeit und den Rückzug auf ein lyrisches Ich:

Gewiss, der Ton der sich in Gewissensqualen marternden Unschuld, den Günter Grass in seinem Gedicht „Was gesagt werden muss“ anschlägt, der ganze, so sorgfältig inszenierte Schmerzensschrei eines geschundenen Liebhabers des Weltfriedens hat etwas Gekünsteltes.

Er ist ebenso illusorisch wie der Gedanke, man könne in Gestalt von Gedichten – mit oder ohne Mandat – über die Weltpolitik verfügen. Und allzu durchsichtig ist die Funktion, die hier der lyrischen Form übertragen wird: Sie dient dazu, den Schriftsteller der Kritik zu entziehen. Indem er sich – scheinbar – nach innen wendet und sein Innerstes nach außen kehrt, in dem er, vor und anstatt einer politischen Auseinandersetzung, als lyrische Empfindsamkeit auftritt, will er einen Standpunkt über allen anderen einnehmen und sich unangreifbar machen. An der Empfindsamkeit sollen alle Einwände zugrunde gehen.

Man könnte auch sagen: Mehr fällt Steinfeld dazu nicht ein?! Nein, mehr darf ihm nicht einfallen, denn würde er zu dem Grass-Gedicht deutlichere Worte schreiben, würde er die Veröffentlichungspraxis seiner eigenen Redaktion als das diffamieren, was sie ist: Bigotterie. Es handelt sich beim Grass-Gedicht “Was gesagt werden muss” nicht um einen Literatur-, sondern um einen Presseskandal.

Dichten und meinen – Kultur – sueddeutsche.de

Geburtenrate: Zeitungsleser sterben aus


03 Aug

Baby_diving Wikimedia105 mal gibt die Google-News-Suche Treffer heraus: Thema ist die Geburtenrate, alarmierender Tenor ist “die Deutschen sterben aus”. Von Günter Grass (“Kopfgeburten”) bis Thilo Sarrazin (“Deutschland schafft sich ab”) ist das Thema einmal von links bis rechts durchdekliniert worden. Aber wenn die deutsche Presse sich darüber hermacht, kann man sicher gehen, dass nicht nur der Volkskörper, sondern auch die deutsche Sprache bedroht ist. Das Bieler Tagblatt beispielsweise schreibt:

In Deutschland leben immer weniger Kinder. Zwischen 2000 und 2010 sank die Zahl um gut zwei Millionen auf 13,1 Millionen und wird nach Angaben des Statistischen Bundesamtes weiter abnehmen.

Aus dem “Immermehrismus” wird bei der Gelegenheit der “Immerwenigerismus”. Noch doller treibt es die Markenpost. Sie titelt:

Immer weniger Kinder im kinderärmsten Land Europas

Wirklich? Wenn Deutschland eh schon das “kinderärmste Land Europas ” ist, wie können dann noch “immer weniger” Kinder geboren werden? Eigentlich müsste es doch heißen: “Immer noch die wenigsten Kinder im kinderärmsten Land”. Am wildesten treibt es allerdings der Focus. Er schreibt:

Immer weniger Deutsche wollen Kinder

Mal abgesehen, dass dies keine statistische, sondern eine psychologische Prognose ist (was weiß die Statistik schon, was die Leute “wollen”) – es müsste doch wohl heißen: “Deutsche bekommen immer weniger Kinder”. Oder vielleicht: “Deutsche und Kinder werden immer weniger”. Oder vielleicht: “Immer weniger Kinder wollen zu den Deutschen”. Eines ist jedenfalls sicher: Die Zeitungsleser werden unweigerlich aussterben. Aber das muss keine demographischen Gründe haben.

Bieler Tagblatt online

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter