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Kölner Express: Auch in der Krise


24 Aug

„Zeitungskrise“ ist ja ein Schlagwort, um das man dieser Tage bei Diskussionen über die Zukunft des Journalismus nicht herumkommt. Dabei fokussiert die Diskussion aber deutlich zu stark in Richtung Internet und Onlinejournalismus, als ob allein die medientechnischen Entwicklungen der letzten 20 Jahre und das Aufkommen des World Wide Web die Zeitungen in die Krise gebracht hätten. Dabei werden mindestens zwei Umstände übersehen, respektive ausgeblendet: Erstens gab es schon eine „Zeitungskrise“ lange bevor das Internet seinen Siegeszug antrat  und zweitens sind viele gravierende Probleme der Zeitungen systemimmanent, oder anders gesagt: hausgemacht.

Was den ersten Punkt angeht, sind die Sachlage und auch der Begriff „Zeitungskrise“ oder „Zeitungssterben“ deutlich älter. Man kann sagen: Die Zeitungen begannen zu sterben, als die Bundesrepublik Deutschland gegründet wurde. Praktisch alle deutsche Traditionsblätter sind während oder nach der NS-Zeit untergegangen. Einer kurzen Neugründungsphase nach dem 2. Weltkrieg schloss sich unmittelbar ein erheblicher Konzentrationsprozess an, der bereits in den 1950er Jahren viele Zeitungen „sterben“ ließ. Dieser Prozess beschleunigte sich in den 1960er Jahren sogar noch.

Das Allzeithoch der deutschen Zeitungsauflagen war 1983. Seitdem geht es mit den Auflagenzahlen kontinuierlich bergab — also lange bevor das Internet irgendeine Breitenwirkung erzielte.

Was die zeitungsimmanenten Gründe angeht, muss man nur mal auf ein Titelblatt des Kölner Express aus der vergangenen Woche blicken:

Express_Fischer_08_2014

„Helene Fischer zeigt ihr Sixpack“: Das soll wirklich nicht nur überhaupt ein Thema sein, sondern auch als Schlagzeile für das Titelblatt taugen? Selbst für ein Boulevardblatt wie den Express ist das bemerkenswert bodenlos. Irgendwelche Relevanzkriterien, auch nur die Ansätze des Wissens um Nachrichtenfaktoren und der Funken eines Anscheins, die eigenen Leser ernst nehmen zu wollen, scheint den Redakteurinnen und Redakteuren des Express abhanden gekommen. Wer so schreibt und so titelt, darf sich nicht wundern, wenn er dem Untergang geweiht ist. Auf diese Weise müssen Zeitungen sterben.

Geburtenrate: Zeitungsleser sterben aus


03 Aug

Baby_diving Wikimedia105 mal gibt die Google-News-Suche Treffer heraus: Thema ist die Geburtenrate, alarmierender Tenor ist “die Deutschen sterben aus”. Von Günter Grass (“Kopfgeburten”) bis Thilo Sarrazin (“Deutschland schafft sich ab”) ist das Thema einmal von links bis rechts durchdekliniert worden. Aber wenn die deutsche Presse sich darüber hermacht, kann man sicher gehen, dass nicht nur der Volkskörper, sondern auch die deutsche Sprache bedroht ist. Das Bieler Tagblatt beispielsweise schreibt:

In Deutschland leben immer weniger Kinder. Zwischen 2000 und 2010 sank die Zahl um gut zwei Millionen auf 13,1 Millionen und wird nach Angaben des Statistischen Bundesamtes weiter abnehmen.

Aus dem “Immermehrismus” wird bei der Gelegenheit der “Immerwenigerismus”. Noch doller treibt es die Markenpost. Sie titelt:

Immer weniger Kinder im kinderärmsten Land Europas

Wirklich? Wenn Deutschland eh schon das “kinderärmste Land Europas ” ist, wie können dann noch “immer weniger” Kinder geboren werden? Eigentlich müsste es doch heißen: “Immer noch die wenigsten Kinder im kinderärmsten Land”. Am wildesten treibt es allerdings der Focus. Er schreibt:

Immer weniger Deutsche wollen Kinder

Mal abgesehen, dass dies keine statistische, sondern eine psychologische Prognose ist (was weiß die Statistik schon, was die Leute “wollen”) – es müsste doch wohl heißen: “Deutsche bekommen immer weniger Kinder”. Oder vielleicht: “Deutsche und Kinder werden immer weniger”. Oder vielleicht: “Immer weniger Kinder wollen zu den Deutschen”. Eines ist jedenfalls sicher: Die Zeitungsleser werden unweigerlich aussterben. Aber das muss keine demographischen Gründe haben.

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