Wikipedia: Geburtstag eines Kuriositätenkabinetts

15 Jan

Das Wochenblatt Die Zeit in gewohnter Bescheidenheit bezeichnete die Onlineenzyklopädie als nicht weniger als “das größte gemeinsam geschaffene Werk der Menschheit”. Andere bewerten die Mitmachenzyklopädie, die nun ihren 10. Geburtstag feiern darf, deutlich kritischer: Die Süddeutsche Zeitung spricht vom “Brockhaus des Halbwissens” (14.08.2004) und sogar Wikipedia-Mitbegründer Jimmy Wales bezeichnet einige Artikel als nahezu “unlesbaren Mist”. Das Wissenschaftsmagazin Nature hatte die Onlineenzyklopädie in einem Vergleichstest evaluiert:

Das Magazin unterzog die Wikipedia einem exemplarischen Review: 42 Artikel aus der Wikipedia und der Encyclopaedia Britannica zu verschiedenen Wissenschaftsbereichen wurden von Experten geprüft. Das Ergebnis: In beiden Quellen wurden jeweils vier schwerwiegende Fehler entdeckt – ein überraschender Gleichstand.

Dass das Referenzwerk ebenfalls Fehler aufweist, erlaubt allerdings nicht den Umkehrschluss auf die Qualität von Wikipedia. Zumal der Test auch ergab:

In der B-Note, den Faktenfehlern, Auslassungen und missverständlichen Formulierungen, musste sich das knapp fünf Jahre alte Online-Projekt dem altehrwürdigen Konkurrenten geschlagen geben: 162 solcher Fehler fanden sich bei Wikipedia und 123 bei der Encyclopaedia Britannica.

Auch die Hymne vom kooperativen Werk, die nicht nur von der Zeit angestimmt wird, zählt mehr zur Selbstapotheose von Wikipedia. Tatsächlich ist der Zahl der aktiven Mitwirkenden, wie Telepolis nachgerechnet hat, relativ klein:

Der Anteil der Nutzer, der tatsächlich an der Wikipedia mitarbeitet, ist jedoch verschwindend gering – lediglich 1.000 Nutzer schreiben und editieren regelmäßig aktiv Artikel. Der technokratische Nukleus der deutschen Wikipedia besteht sogar aus gerade einmal 300 Nutzern, die sich Administratoren nennen dürfen. Noch nie entschieden so wenige über das Wissen so vieler. Für 82 Millionen Deutsche stellt die Wikipedia eine Instanz des Wissens dar. Waren die Stalin-Noten ernst gemeint? Wie sicher ist Atomkraft? Was ist eigentlich Soziale Marktwirtschaft? In all diesen Fragen ist die Wikipedia für viele Deutsche die erste Anlaufstelle. Sie verwaltet nicht nur Wissen, sie entscheidet auch, welches Wissen relevant ist, was zitierfähig ist und was nicht. Doch wer ist "die Wikipedia"? Wenn es um Entscheidungen geht, zählen nicht die Leser, sondern die Administratoren – vom Ideal einer Mitmachenzyklopädie ist die Wikipedia weiter entfernt denn je.

Und auch über den Typus Mensch, der sich da zum Verwalter des Wissens vom Schlage Wikipedia aufschwingt, hat Telepolis spekuliert:

Die Herren der Wikipedia sind größtenteils jung, männlich und technikaffin – kurz "nerdig". Für einen solchen Nerd ist jede Nebenfigur in Star Wars relevant, während andere Themen in seinem Paralleluniversum gar nicht vorkommen. Ein Admin muss auch keine Qualifikation nachweisen, er verlässt sich – eine Web-2.0-Unsitte – auf Quellen, die möglichst offen im Netz verfügbar sind. So kann es vorkommen, dass ein junger Informatiker einem Geschichtsprofessor kurz und schmissig erklärt, dass dessen mühevoll eingestellter Beitrag irrelevant sei. Der Kern der Wikipedia gleicht vielmehr einem technokratischen System. Wenn sich solche Systeme etablieren, kristallisiert sich immer der gleiche Menschentypus heraus, der sich an die Spitze dieser Systeme stellt. In den erlauchten Kreis der Administratoren wird man natürlich nur aufgenommen, wenn man immer brav im systemischen Mainstream schwimmt und sich nicht durch kontroverse Kritik hervortut.

Lösch-Schlachten rund um umstrittene oder einfach unliebsame Artikel werden regelmäßig aufgrund fragwürdiger selbstgesetzter “Relevanzkriterien” geführt. “Relevanz oder Firlefanz” fragte nicht nur die Netzeitung, als der Streit darum eskalierte, welche Einträge eigentlich in Wikipedia erscheinen dürfen und welche nicht. Eine reale Existenz scheint jedenfalls kein Kriterium für Relevanz zu sein:

Die (…) zur Löschung vorgeschlagenen superschweren Elemente Ununennium, Unbinilium, Unbibium, Unbipentium, Untrinilium undsoweiter haben allesamt ihre Löschanträge überlebt. Obwohl es sie noch gar nicht gibt, da sie erst durch Kernfusion synthetisiert werden müssten, was jedoch noch nicht geschehen ist.

Eine große Zahl gelöschter Artikel ist übrigens dennoch für die Netzwelt nicht verloren. Die Website deletionpedia.com hat mehr als 60.000 gelöschte Artikel versammelt. Andererseits mutet es nicht nur dem unbefangenen Leser oder User, sondern offenbar auch den Wikipedia-Machern selbst zum Teil kurios an, was sich alles an fabulösen Einträgen in der Online-Enzyklopädie findet. Man hat ein eigenes Kuriositätenkabinett geschaffen, das die eigenartigsten – und so ist anzufügen: fragwürdigsten – Lemmata versammelt. Verwundert reibt man sich die Augen, wenn man etwa einen Eintrag wie den über das Stichwort “Absurdistan” liest: Wie in rekursiver Selbstanwendung würde der Artikel selbst in sich aufgenommen gehören. Für den Literaturwissenschaftler ist beispielsweise auch der Eintrag über Günter Grass’ epochalen Roman Die Blechtrommel äußerst schmerzhaft. Dort liest sich, auf dem sprachlichen Niveau eines Realschüleraufsatzes jüngeren Jahrgangs, folgender inhaltlicher wie philologischer wie sprachlicher Unsinn:

Der Wahrheitsgehalt von Oskars Geschichten erscheint oft zweifelhaft. Zunächst ist er zum Zeitpunkt, an dem sein Bericht 1952 beginnt, Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt und als solcher möglicherweise verrückt und demnach nicht sehr vertrauenswürdig.

Und so lautete der vollständige (!) Artikel zum Stichwort “Nordsee” auf Wikipedia.de im Jahr 2001:

Die Nordsee ist ein Mehr, ein teil der Atlant, zwischen Grossbritannien, Skandinavien, und Friesland. Siehe auch Kattegatt, die Niederlanden, Deutschland.

Kurios ist übrigens nicht nur den Inhalt von Wikipedia, sondern auch der Ursprung des Weblexikons. Wikipedia-Gründer Jimmy Wales betrieb den Onlinedienst bomis.com, der insbesondere für seine pornographischen Inhalte bekannt war. Mit dem dort verdienten Geld und den Webressourcen von bomis gründete Wales erst die Nupedia, aus der später die Wikipedia hervorging. Die Geburt des Wissens aus dem Geiste der Pornographie: Auch die Mär von der angeblichen Werbefreiheit von Wikipedia hält einer Überprüfung nicht unbedingt stand. Der Webdienst wikipedia-watch weist daraufhin, dass die Inhalte von Wikipedia sehr häufig auf Websites zu finden sind, die insbesondere Googles Advertising unterliegen: Die größte Onlineenzyklopädie könnte auf diese Weise zum größten Produzenten von Web- und Werbemüll, kurz: “spam”, werden. Happy birthday!

Wikipedia:Kuriositätenkabinett – Wikipedia

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Apropos Facebook

11 Jan

Im Eintrag über den Onlinedienst Facebook bei Wikipedia fand ich unter „Sonstiges“ folgenden Eintrag:

Wie andere soziale Netzwerke steht auch Facebook im Verdacht, von Arbeitgebern verwendet zu werden, um Angestellte zu überwachen. Bestätigt werden diese Eindrücke durch einen Fall im November 2008 aus der Schweiz, wo eine krankgeschriebene Versicherungsangestellte ihre Stelle verlor, weil der Arbeitgeber ihre Aktivität auf Facebook verfolgen konnte, während der Frau offiziell Bettruhe verordnet war.[84] Fälle, in denen Arbeitnehmer die Stelle verloren, weil sie sich auf Facebook abschätzig über ihre Arbeitgeber geäußert haben, sind aus Australien bekannt.[85] Im März 2010 wurde ein Fall aus der Region Manchester publik, in dem einer Aushilfskellnerin eines Cafés gekündigt wurde, indem der Arbeitgeber die Kündigung unter Angabe des Kündigungsgrundes auf der Pinnwand der 16-Jährigen veröffentlichte.[86]

Unter der Adresse quitfacebookday.com sollen sich übrigens schon mehr als 38.000 Unterzeichner gefunden haben, die wegen der Verstöße gegen Persönlichkeitsrechte gemeinsam die Internetplatform verlassen wollen.

Facebook – Wikipedia

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Kölner Stadtanzeiger und die Geschichte des Internet

10 Jan

Was meint eigentlich der Autor, wenn er im Magazin des Kölner Stadtanzeigers anlässlich einer Filmkritik zu Tarantinos Erstlingswerk Reservoir Dogs schreibt:

„1992, als die Internet-Propaganda noch nicht ihr heutiges Level erreicht hatte und Facebook ein unbekanntes Doppelwort war …“

1992 konnte das Internet noch gar kein Propaganda-Level erreichen, denn 1992 gab es das Internet, jedenfalls in seiner heute bekannten Art als Massenmedium, noch gar nicht. Der erste populäre Web-Browser, Mosaic, kam erst 1993 auf den Markt und läutete den Siegeszug des neuen Mediums ein. Aber beim Kölner Stadtanzeiger gehen die Uhren eben anders.

Internet – Wikipedia, the free encyclopedia

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Sterbende Medien: Nachruf auf MTV

07 Jan

MTV ist von uns gegangen. Der Musikspartensender, der immer irgendwie mehr sein wollte, als nur das, verdrückt sich aus dem frei empfangbaren Fernsehprogramm, und niemand verdrückt ob dieses Ereignisses eine Träne. Es ist ein stiller Abgang, was für einen lärmigen Musiksender doch auch bemerkenswert ist. Umso verwirrender ist die Eloge, die auf Zeit Online über das Ableben des Zappelkanals zu lesen ist:

Die Marke MTV ist eng verbunden mit dem Aufstieg der „kreativen Klasse„, in der Ökonom Richard Florida heute die treibende Kraft der Gesellschaft sieht: Musiker, Künstler, Designer, Programmierer. Der Popsender war ihr Leitmedium, inspirierend, stimulierend und irgendwie auch politisch richtig. Wer in den Achtzigern und Neunzigern den Nachmittag mit MTV verbrachte, trat hinterher auf die Straße und fühlte sich großartig, angefüllt mit den Nachzuckungen jenes Kribbelns, das die Halbstarken in den Fünfzigern spürten, der Kitzel der Veränderung. MTV zapfte den Geist von Trendsportarten und Street Art an und bediente sich junger Talente, die mit günstig hergestellten Animationsclips die Identität des Senders prägten.

Nein, so war es denn entschieden doch nicht. Rebellion war doch wohl nie die Synapse, auf der sich eine zum Megaplayer aufgeblähte Musikindustrie und eine völlig entpolitisierte Jugend trafen. Der reine kommerzielle Mainstream war es, und wer irgendwie einen eigenen Musikgeschmack entwickelt hat, der ließ MTV immer schon links liegen. Was MTV in der Gesellschaft bewirkt und womöglich auch eine Zeit lang durchgesetzt hat, das waren höchst fragwürdige New-Wave-Frisuren, bescheuert anmutende Leggings (in der Öffentlichkeit!) und der nicht ganz unbeachtliche Umstand, dass hinter all dem Exhibitionismus, der Inszenierung und dem Rumgehopse zu akrobatisch anmutenden „Tanz“-Schritten das Eigentliche, nämlich die Musik, völlig in den Hintergrund geriet. Der gesamte Rest war Marketing und Selbstapotheose, bis hin zur angeblich genuinen Videoästhetik, mit der man die Fernsehlandschaft befruchtet habe. Nein, nein, und nochmals nein: Living Camera, 360-Grad-Schwenks und wilde Schnitte, die auf filmischen Anschluss verzichteten, gab es schon lange vor MTV, bei Michael Ballhaus und bei vielen anderen. Was MTV daraus gemacht hat, war lediglich Kinderprogramm unter Kostendruck, bei dem die Ästhetik dadurch bestimmt war, dass man kein Geld für einen richtigen Kameramann hatte. Das setzte sich später bei VIVA fort und endete schließlich im Horror der Anrufsendungen und Klingeltönemassaker. Die Zeit schreibt:

Doch in den letzten Jahren waren auf Druck der Aktionäre nach und nach die Nischensendungen aus dem Programm verschwunden, der Sender degenerierte zu einer endlosen Aneinanderreihung von lärmenden Ankündigungen, Klingeltönen und Billigserien.

Die schlechtesten Musikvideos aller Zeiten

Die Website Inthe00s.com hat in der Zwischenzeit die Internetcommunity abstimmen lassen und die 25 schlechtesten Musikvideos ermittelt, die je auf MTV gezeigt wurden. Hier sind sie:

25. Spin Doctors „Two Princes“ (1993)
24. Hammer „Too Legit To Quit“ (1991)
23. Wilson Phillips „Hold On“ (1990)
22. Chumbawamba „Tubthumping“ (1998)
21. Billy Squier „Rock Me Tonight“ (1984)
20. 4 Non Blondes „What’s Up“ (1993)
19. Motley Crue „Without You“ (1989)
18. Snow „Informer“ (1993)
17. Paula Abdul „Rush Rush“ (1991)
16. Warrant „Heaven“ (1989) Good song, bad video
15. Crash Test Dummies „Mmm Mmm Mmm Mmm“ (1994) good song, OK video
14. Aqua „Barbie Girl“ (1997)
13. Journey „Separate Ways“ (1983)
12. Winger „Seventeen“ (1988) OK song, cheesy video
11. Wham! „Wake Me Up Before You Go Go“ (1984) OK song, bad video
10. Debbie Gibson „Electric Youth“ (1989)
9. Vanilla Ice „Ice, Ice, Baby“ (1990)
8. Milli Vanilli „Girl You Know It’s True“ (1989)
7. Gerardo „Rico Suave“ (1991)
6. Daryl Hall & John Oates „Maneater“ (1982) good song, OK video
5. Los Del Rio „Macarena“ (1996)
4. Nelson „After The Rain“ (1990)
3. Eddie Murphy featuring Michael Jackson „Whatzupwitu“ (1993)
2. Chunky A „Owww!“ (1993)
1. Don Johnson „Heartbeat“ (1986)

Nein, ich werde MTV nicht vermissen.

Bezahlsender MTV: Fast Forward im Zeitgeistarchiv | Kultur | ZEIT ONLINE

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Sex-Software: Internet schafft sich ab

04 Jan

thrixxx_3dsexvillaWährend Thilo Sarrazin noch murrt, dass Deutschland sich abschaffe, weil die volksdeutsche Geburtenrate nicht mit den Vermehrungsraten minderwertigen, sprich: ausländischen Genmaterials mithalte, ist, von der Öffentlichkeit unbemerkt, die gerade erst so jugendfroh gestartete Internet-Community dabei, sich selbst wieder abzuschaffen. Den Schluss jedenfalls muss nötigenfalls ziehen, wer die prognostizierbare Geburtenrate der Internetjunkies, Nerds und Web 2.0-Süchtigen mit der Tatsache über den Kamm schert, dass Sex im Internet sich nicht mehr mit Spermatausch und Befruchtung abgibt, sondern sich in die Eindimensionalität einer 3-D-Applikation verflüchtigt:

Die beiden Games 3D Luder und der Nachfolger 3D Sexvilla dürften so ziemlich die besten interaktiven Sexspiele überhaupt sein – die realistischen Grafiken werden Dich verblüffen ! Die geilen Luder sind zu allem bereit und stehen Dir jederzeit zur Verfügung – erlebe virtuellen Sex wie nie zuvor!

Wozu noch fummeln, wenn man applizieren kann. Wozu noch Betten in Kornfeldern, wo es doch Pixel und Polygone gibt, mit denen man es sich gemütlich machen kann. Gesünder ist es auch: Die Luder wollen keine Zigarette danach!

Du kannst mit der 3D Sexvilla Software heiße Girls in 3D verführen. Und zwar in allen erdenklichen Positionen und Sexualpraktiken ! Mit der Software hast Du die Möglichkeit, es den virtuellen 3D Girls so richtig zu besorgen: Die Frauen reagieren in Echtzeit auf jede Stimulation, die Du machst – unglaublich realitätsnah !

Der Freier, der jetzt User heißt, muss nicht mal mehr Computermäuse oder andere Hilfsmittel zur Hand nehmen, um sich digital zu befriedigen. Es reicht eine Technologie namens „Kinect“, die Softwaregigant Microsoft entwickelt hat:

Spieler können damit anstatt mittels herkömmlicher Gamepads allein durch Körperbewegungen die Software bedienen.

Die Spielekritiker des Fachblatts Chip sehen die Softwareentwicklung offenbar ziemlich unkritisch. Jedenfalls versprechen sie auf ihrer Website zum Thema „aufregende Screenshots aus der 3D Sexvilla“. Aufregend ist allerdings maximal die schlechte Qualität der graphischen Abbildungen. Aber schon Thilo Sarrazin verwies ja auf den Zusammenhang von zügellosem Geschlechtsleben und mangelndem Intelligenzquotienten. Wer seine intellektuellen Bedürfnisse so heruntergeschraubt hat, der wird auch seine Ansprüche an künstlerische Gestaltung nicht zu hoch hängen.

Sex-Spiele für Kinect: 3D-Sexvilla-Macher sind dran – News – CHIP Online

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Anschläge in Ägypten: Papst ist gegen Feigheit

03 Jan

In Alexandria in Ägypten ist ein Anschlag auf eine koptische Kirche verübt worden. Im medialen Nachhall dieses Ereignisses zitiert der Kölner Stadtanzeiger auch das Oberhaupt der katholischen Kirche:

Das Attentat hat auch weltweit Bestürzung und Empörung ausgelöst. Papst Benedikt XVI. verurteilte den Anschlag als „feige Geste des Todes“.

Wie sehr man sich auch eine Nachfrage wünscht: Journalisten, die des Kölner Stadtanzeigers zumal, tun einem nicht den Gefallen. Denn was ist eigentlich mit einer „feigen Geste“ gemeint? Wäre der Anschlag eher gerechtfertigt gewesen, wenn er mutig ausgeführt worden wäre? Darf man, nach Ansicht des christlichen Führers aus Rom, Menschen in den Tod schicken, solange es nicht feige, sondern extravagant, offensichtlich, öffentlich und beherzt geschieht? Was hier spricht, ist nicht die christliche Stimme der Moral, sondern der Lanzer der 2. Weltkriegs, der alles rechtfertigt, solange nur die eigene Landserehre nicht verletzt wird. Moralisch denkenden Menschen wird da eher schwindlig.

Kopten fürchten Anschläge – Kölner Stadt-Anzeiger

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iPhone 4 verschläft das neue Jahr

01 Jan

Wem das “Prosit Neujahr”-Getue und das Absingen sentimentaler Weltschmerzlieder an Sylvester eh ein Grauen ist, der konnte dem zum Jahreswechsel 2011 als Besitzer eines IPhone der Firma Apple auf bequeme Art entgehen: Das Gewese um das Apple-Handy konnte einem ohnehin gehörig auf den Wecker gehen, da ist es doch eine gute Nachricht, dass der Wecker dieses Geräts aus Softwaregründen ausgerechnet zum Jahreswechsel den Dienst versagte:

Der Wecker des Apple-Handys iPhone hat das neue Jahr verschlafen: Im Support-Forum des Herstellers häufen sich die Beschwerden von iPhone-Nutzern, bei denen heute Morgen die Weckfunktion des Handys versagte. Auch über den Kurzmitteilungsdienst Twitter berichteten etliche Nutzer von der ausgefallenen Weckfunktion des Handys.

Die Abhilfe, die gewiefte Nerds bereit hielten, scheint dabei wenig tröstlich:

Stumm blieben die Geräte nur dann, wenn die Nutzer im Menü des iPhone einen einmaligen Weckton eingestellt hatten. Wer dagegen die gewünschte Weckzeit mit dem Zusatz "an einem anderen Wochentag wiederholen" versehen hatte, wurde von seinem Handy pünktlich aus dem Schlaf geholt.

Wie man, bitte, Sylvester an einem anderen Wochtentag wiederholen könne, kann einem wohl nur die entsprechende IPhone-App schlüssig erklären.

iPhone 4 verschläft durch Wecker-Fehler das neue Jahr – teltarif.de News

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Nicht nur zur Weihnachtszeit: Vergewaltigungen im Fernsehen

21 Dez

Die zur Zeit erfolgreichste Fernsehserie im türkischen Fernsehen heißt „Fatmagül’ün Sucu Ne?“ die seit dem 16. September 2010 im türkischen Privatsender Kanal D immer donnerstags zur besten Sendezeit um 20:00 Uhr zu sehen ist. Womit „Was ist Fatmagüls Verbrechen?“ punktet und fast ein Drittel aller türkischen Fernsehzuschauer vor der Mattscheibe vereint, ist: eine Vergewaltigung. Karen Krüger schreibt dazu in der F.A.Z.:

Ein Drittel aller türkischen Zuschauer versammelte sich am Abend des 16. Septembers vor dem Fernseher und schaute zu, wie drei Männer eine junge Frau namens Fatmagül vergewaltigen. Die Szene dauerte ganze vier Minuten. Sie ist seitdem tausendfach im Internet abgespielt worden. Die türkischen Kommentare lesen sich, als sei die vergewaltigte Fatmagül die Königin von Porncity.

Die Geschichte handelt von einem Mädchen vom Lande, Fatmagül, das von drei reichen Schnöseln aus Istanbul und einem Einfaltspinsel vom Lande namens Kerim drangsaliert wird. Nach der Gewalttat, die nicht nur in der Serie selbst, sondern auch in Programmtrailern rund um die Uhr den türkischen Fernsehzuschauern serviert wird, soll Kerim, der selbst zu betrunken für eine Vergewaltigung war, das Mädchen heiraten. Fatmagül wird gezwungen zu sagen, sie habe die Tat inszeniert, um ihre Affäre mit Kerim zu vertuschen. Dabei liebt sie in Wahrheit einen anderen, den Fischer Mustafa.

Die Story geht zurück auf den gleichnamigen Roman des Schriftstellers Vedat Türkali, der 1986 mit Hülya Avsar in der Hauptrolle bereits einmal verfilmt wurde. Roman und Film haben die gleiche Stoßrichtung, nämlich dass in der türkischen Gesellschaft im Falle von Vergewaltigungen die Schuld häufig beim Opfer gesucht wird. Doch von diesem Impetus blieb nicht mehr viel übrig, nachdem der Privatsender Kanal D sich des Stoffs angenommen hat. Die Kritikerin Karen Krüger:

Wären die Produzenten der Romanvorlage gefolgt, dann zeigte die Serie, wie Fatmagül, die Unschuldigste von allen, die Beschuldigte wird. Statt dessen rücken sie immer wieder Fatmagüls Vergewaltigung in den Mittelpunkt. Und befriedigen damit jene Machomentalität, die Türkali in Frage stellte und die bis heute in Frage zu stellen ist, denn Fatmagüls gibt es zu Tausenden in der Türkei. Laut einer Studie des türkischen Instituts für Sexualgesundheit haben vierzig Prozent der türkischen Frauen schon einmal Gewalt erfahren, zwanzig Prozent von ihnen sexuelle.

Was aus dem einst kritischen Anliegen der literarischen Vorlage geworden ist, erahnt man, wenn man liest, dass es mittlerweile  in Istanbul Unterwäsche zu kaufen gibt, auf denen der Titel der Serie zu lesen ist. Es soll Fatmagül-Sexpuppen geben, mit denen man zu Hause die Vergewaltigung nachspielen kann. Auch soll ein Online-Spiel existieren, bei dem die User eine Comic-Fatmagül ausziehen können. Kürzlich gar habe ein Kabarettist Fatmagüls Vergewaltigung nachgespielt: Die Täter wurden dabei als Sportler dargestellt, der Kabarettist kommentierte deren „Treffer“. Und zu unguter Letzt soll ein Computerspiel mit dem Titel „Lauf, Fatmagül, lauf!“ erschienen sein, bei dem der Spieler Fatmagül darstellt und fünf Männern entwischen soll: „Packt einer der Verfolger das Mädchen, dann fängt sie an zu schreien – Spiel zu Ende, nächster Level nicht erreicht“. Im Internet  findet sich die Vergewaltigungssequenz inzwischen auf hunderten von Seiten, allein bei Youtube haben sich mehr als dreißigtausend Nutzer das Video angesehen.

Die Fernsehserie „Fatmagül’ün Sucu Ne?“ ist aber nur der Endpunkt einer Entwicklung gewalttätiger Sexualisierung des türkischen TV-Programms:

Zappt man in der Türkei durch das abendliche Fernsehprogramm, dann begegnen einem unweigerlich Frauen, die von einem Mann geschlagen werden; die von einem Mann ans Bett gefesselt worden sind; die weinen, während sich ein Mann mit lustverzerrtem Gesicht über sie beugt. Meistens sagt er unsinnige Sätze wie: „Wehr Dich nicht, ich liebe Dich“ oder „Wehr Dich nicht, gleich gefällt es auch Dir“. Das türkische Fernsehen zeigt oft und gerne Gewalt, vor allem zeigt es Gewalt gegen Frauen. Die Einschaltquoten verraten, dass die Zuschauer nichts dagegen haben. Im Gegenteil: Was sie da sehen, gefällt.

Auch wenn die Diagnose deutlich auf türkischen Machismo gepaart mit islamischer Vorgestrigkeit hindeutet, eignet sich das Beispiel „Fatmagül’ün Sucu Ne?“  nicht für den vielzitierten Kampf der Kulturen. Denn im Fernsehen anderer Länder und auch Deutschlands sieht es nicht so viel anders aus.

Nicht nur das türkische Fernsehen vergewaltigt

Manchmal wirken die Fernsehleute sogar bei der Vergewaltigung mit: Wie bei Spiegel Online zu lesen war, hat der bolivianische Sender Red Uno eine Vergewaltigung im Fernsehen gezeigt und so für landesweite Proteste gesorgt. Eine Pressevereinigung erhebt schwere Vorwürfe: Nur um eine exklusive Story zu bekommen, hätten die beteiligten Journalisten dem Opfer nicht geholfen.

Das deutsche Fernsehen vergewaltigt noch nicht selbst, aber es guckt auch gerne zu dabei. Denn die Sexualisierung des TV-Programms, und zwar des fiktionalen wie des non-fiktionalen, ist soweit fortgeschritten, dass Vergewaltigungen unter den Programmmachern zu den gesellschaftlich akzeptierten Sexualpraktiken zu zählen scheinen, mit denen man Quote machen kann.

Mit dem Film „Die Frau des Heimkehrers“ versuchte die ARD bereits im Jahr 2008, Vergewaltigungen in den Kernbereich öffentlich-rechtlichen Programmauftrags zu integrieren und dem Familienunterhaltungsprogramm (Sendetermin: freitags um 20:15 Uhr) einzuverleiben. Man darf wohl als Substrat dieses Streifens nehmen, womit die Bild-Zeitung dessen Inhalt sehr zupackend beschrieben hat:

„Sie schreit, heult, wehrt sich, als er wie ein Tier über sie herfällt: ihr eigener Ehemann! Er zerreißt ihr die Bluse, schmeißt sie aufs Bett – und demütigt seine Frau zutiefst …“

Wer hier noch von Spiel-Film redet, muss selbst durchs Fernsehen schon traumatisiert sein und verdrängt haben, was Friedrich Schiller einst übers Spiel sagte, nämlich dass der Mensch überhaupt nur Mensch sei,  wo er spiele. Die im Fernsehen vorgeführten Vergewaltigungen sind aber der Ernstfall, wie Hauptdarstellerin Christine Neubauer wiederum der Bild-Zeitung zu Protokoll gibt:

„In dem Moment ist nichts mehr gespielt! Da denke ich nicht mehr: ,Wie sieht das jetzt für die Kamera aus?‘ Was zählt, ist das Gefühl für das, was geschieht. Ich erlebe dann alles, als wenn es real passiert!“

Diese Vergewaltigung wurde im Mai 2010 in der ARD wiederholt. Mit schönem Programmerfolg.

Auch das Aktenzeichen xy des ZDF übt mit Entsetzen Scherz und bemüht Vergewaltigungen für diese pikante Art der Zuschauerbindung. In der Sendung vom 05.01.2010 bekommt der Zuschauer folgendes zu sehen:

Der 18. Januar 2009, ein Sonntag: Gegen 10 Uhr, die Kirchenglocken läuten, macht sich die junge Mutter in Hostedde auf den Weg zum Bäcker. An der Derner Bahnstraße greift ein unbekannter Mann die 30-Jährige an. Mit gezogenem Messer drängt er sie in einen roten VW-Polo älteren Baujahrs. Dann fährt er los. Auf einem Parkplatz nahe des Dortmunder Hauptfriedhofs vergewaltigt er die junge Frau mehrere Male. Danach fährt der Täter sein Opfer zurück nach Hostedde und lässt es frei. Das schwere Trauma der 30-Jährigen wird erst auf der Polizeiwache deutlich. Bei ihrer Vernehmung kollabiert die junge Frau.

Man sieht die Szene förmlich vor Augen, auch deswegen, weil man an diese Form schlecht inszenierter Dokusoaps aus dem schmierigen Bereich längst gewöhnt ist. Natürlich werden Redaktion und der ausstrahlende Sender behaupten, dass die Ausstrahlung ja nur der Verbrechensbekämpfung diene und darum im Interesse des Gewaltopfers sei. Aber Dreistigkeiten dieser Art behauptet das ZDF seit 30 Jahren, wenn man Aktenzeichen xy kritisiert, und das macht es nicht besser. Denn das Fernsehen dient nie irgendwelchen Opfern (dazu wäre es auch nach den eigenen Programmgrundsätzen gar nicht berechtigt), sondern nur sich selbst und der eigenen Zuschauerquote. Und da mit „Sex sells“ alleine eben in Zeiten überhaupt nichts mehr zu verkaufen ist, wo das Wort „Porno“ unter Jugendlichen zum Ausdruck positiver Emphase dient, muss auch das ZDF eine Schippe drauf legen und die härtere Gangart wählen. Mit dem Zweiten vergewaltigt sich’s besser …

ARD-Tatort-Vergewaltigungen sind die schönsten

Höhepunkt in dieser Reihe fernsehprogrammatischer Tiefpunkte ist der jüngste ARD-Tatort aus München vom vergangenen Sonntag: „Nie wieder frei sein“, die Geschichte einer Vergewaltigung mit anschließender Justizposse. Dass die ARD sich vermutlich für mutig hält, womöglich sogar für ein bisschen frivol, weil der Film um 20:15 Uhr mit der Entblätterung des Vergewaltigungsopfers beginnt, obwohl es doch nur abgefeimt ist, gehört zu den erwartbaren Bigotterien von Programmverantwortlichen, denen die Geschmacksgrenzen verrutscht sind. Hätte dieser Film wirklich ein Lehrstück zum Thema „Recht ist nicht Gerechtigkeit“ sein sollen, wie die Ankündigung des veranstaltenden Bayerischen Rundfunks suggeriert, dann hätte man den Drehbuchautor doch wenigstens eines der im Fernsehen so häufig angeführten „Coachings“ mit einem Rechtsexperten angedeihen lassen können. Allein was diese Folge an juristischem Nonsens verbreitet, lässt einen am staatsbürgerlichen Unverständnis der Mitbürger nicht mehr Wunder nehmen. Das Königlich-bayerische Amtsgericht jedenfalls wies mehr prozessrechtlichen Sachverstand auf als diese Produktion. Aber darum ging es ja auch nicht. Es ging um den „thrill“, den Vergewaltigungen offenbar neuerdings im Fernsehen auslösen, seit man bei ARD und ZDF gerne auch wieder Zuschauer diesseits der Potenzgrenze gewinnen möchte. Und dass aus dem Spiel längst Ernst geworden ist, zeigt auch der Umstand, dass die beiden Hauptdarsteller Nemec und Wachtveitl auch nach beinahe 20 Jahren als Serienkommissare und trotz oft großartiger Sidekicks mit hervorragenden mimetischen Fähigkeiten immer noch kein Quäntchen Schauspielerei gelernt haben. Aber das verspielt sich, Hauptsache, das Vergewaltigungsopfer macht seine Sache gut. Und der traumatisierte Zustand der Zuschauerschaft bis weit in die Kritikerzunft hinein beweist sich auch darin, dass ausgerechnet die Internetseite „evangelisch.de“  den Vergewaltigungs-Tatort zum „TV-Tipp des Tages“ erkoren hat:

Gerade die ersten Bilder wie auch die unverblümte drastische Wortwahl während des Prozesses lassen den ausgezeichneten Film aus Jugendschutzperspektive allerdings mindestens grenzwertig erscheinen. Und das Ende der emotional so plausiblen Geschichte wirkt etwas konstruiert. Davon abgesehen: ein herausragender „Tatort“.

Und die Filmkritiker von der Boulevardpresse stellen der vergewaltigten Schauspielerin Anna Maria Sturm (28) auch nicht die naheliegende Frage nach den etwaigen sexuellen Nöten der ARD-Programmverantwortlichen selbst, sondern danach, wie es denn so gewesen sei, nackt vor der Kamera: „Eine echte Herausforderung“, lässt die Schauspielerin durch ihre Agentin ausrichten. Immerhin lässt die Jungschauspielerin durchschimmern, dass sie genau weiß, was sie von der Lüsternheit ihrer Vertragspartner bei der ARD zu halten hat:

Sicherheitshalber hatte Anna Maria vertraglich geregelt, dass nicht zu viel Intimes zu sehen war.

Nota bene: Da ist das öffentlich-rechtliche Fernsehen angekommen, dass, wer sich ihm beruflich nähert, sich einen Kernbestand an Intimität schon vertraglich zusichern lassen muss. Wen wundert’s da noch, dass ein Thema wie der Strafprozess gegen einen mutmaßlichen Vergewaltiger, den ARD-Wetterjournalisten Jörg Kachelmann, auf den fruchtbaren Boden „zeitgemäßer“ journalistischer Aufarbeitung fällt: Als Sensationsposse. Und wenn die ARD sich hier auch, anders als andere Medien, eine Zurückhaltung auferlegt, weil sie gegenüber dem Schweizer Wettermann noch zu einem Gefühl fähig ist, dass sie für sich selbst längst abgeschrieben hat, nämlich Scham,  kann sie doch das Mausen nicht lassen, eine ganze lange „Anne Will“-Sendung lang: „Justiz-Alltag oder Promi-Pranger?“wird am 02.08.2010 in der ARD gefragt. Man belässt es aber bei der Frage. „Ein Urteil oder eine Antwort auf die Frage des Abends liefert Wills Fernsehgericht nicht“, konstatiert auch die Süddeutsche Zeitung. Denn dass Journalisten Fragen stellen, um Antworten zu erhalten, diese Zeiten sind auch in der ARD passé. Hauptsache, man hat darüber geredet. Über die Vergewaltigung. Aufklärung für Abgeklärte.

Küssen verboten im türkischen TV

Zurück zur türkischen Erfolgsserie „Fatmagül’ün Sucu Ne?“  Türkische Frauenorganisationen und Kolumnisten haben kritisiert, dass „Was ist Fatmagüls Verbrechen?“ die Vergewaltigung legitimiere. Sie forderten, die Serie einzustellen, blieben aber bisher erfolglos. Die Fernsehaufsichtsbehörde sieht Handlungsbedarf woanders:

Im Mai verwarnte sie einen Fernsehsender wegen einer Parfümwerbung, in der eine sich auf einer Yacht im Bikini sonnende Frau einen Mann in Badehose küsst. Das sei obszön, urteilte die Behörde und erinnerte daran, dass nichts gesendet werden darf, was die mentale Entwicklung von Minderjährigen beeinträchtigt – Vergewaltigung gehört offenbar nicht dazu. (F.A.Z.)

Der „Kampf der Kulturen“ schmilzt hier zusammen auf mikroskopisch kleine Unterschiede in der Grenzziehung medialer Freizügigkeiten. Man erinnere sich nur an die Aufregungen über den ersten schwulen Fernsehkuss in der Lindenstraße. Die türkische Frauen- und Familienministerin Selma Aliye ist berühmt geworden durch ihre Aussage, Homosexualität sei eine Krankheit. Nun hat sie in der Türkei das Küssen in Fernsehserien als unmoralisch kritisiert. In Sachen Bigotterie kann sie es mit deutschen Fernsehprogrammatikern aufnehmen. Gefragt nach ihrer Lieblingssendung, soll die AKP-Ministerin geantwortet haben: „Tal der Wölfe“. Das ist jene ultranationalistische Serie, in der in jeder Folge die Fäuste fliegen. Und in der auch vergewaltigt wird.

Türkische Fernsehserie: Wehr dich nicht, gleich macht es dir Spaß – Fernsehen – Feuilleton – FAZ.NET

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Wie IBM einmal über nichts informieren wollte

20 Dez

IBM_Zeitung_leer Weihnachten vor 20 Jahren: Computer mussten damals noch „IBM-kompatibel“ heißen, wenn sie etwas taugen sollten. Die amerikanische Hightech-Schmiede war die unangefochtene Nummer 1 im PC-Business und definierte die Standards. 30.000 Menschen beschäftige die Firma damals allein in Deutschland. Und sie alle sollten auch im Jahr 1990 einen Weihnachtsgruß erhalten, und zwar in Gestalt der IBM-Mitarbeiterzeitschrift Report. Die Weihnachtsüberraschung ist geglückt: Die Umschlagseite verkündete  nämlich „We are informing ourselves to death“, und darauf folgten — 12 leere Seiten. Die letzte Seite wünschte knapp ein frohes Weihnachtsfest und bot allen Mitarbeitern an, einen von IBM gesponserten Vortrag des Medientheoretikers Neil Postman bei der Gesellschaft für Informatik per PROFS als E-Mail zu schicken.

Auf der letzen Seite notierte die Redaktion, was der IBM-Report im abgelaufenen Jahr alles veröffentlicht hatte. Vierhundertachtundneunzig Seiten mit einhundertneununddreißig längeren Artikeln, dreihundertdreiundsiebzig Kurzberichten und kleineren Meldungen, dreitausendsechshundertvierzig Personalnachrichten und eintausendeinhundertvierzig Kleinanzeigen kamen so zusammen. Eine Informationsflut im Sinne von Neil Postman, der damals an seinem Buch Das Technopol arbeitete. Die Weihnachtsgrüße von IBM an die Belegschaft werden von einem bekannten Goethe-Zitat begleitet: „Man sollte jeden Tag versuchen, ein kleines Lied zu hören, ein gutes Gedicht zu lesen, ein schönes Bild anzuschauen, und, wenn es möglich ist, ein paar vernünftige Worte zu sprechen.“

Die Interpretation der gerade für ein Informationsunternehmen äußerst ungewöhnlichen Weihnachtspost lag auf der Hand. Bei Heise online ist dazu zu lesen:

Die leeren Seiten sollten an die Informationsüberflutung, an die Informationsverschmutzung erinnern. Der Informationshahn wurde zugedreht, um daran zu erinnern, dass viele IBM-Mitarbeiter beim Informationskonsum teure Arbeitszeit vergeuden. Der „Information Worker“ war 1990 noch in weiter Ferne, der Rohstoff Information wurde eher als Informationsmüll definiert.

Die leere Jahresend-Ausgabe des Report löste unter den Mitarbeiten eine heftige und langanhaltende Diskussion über Sinn und vor allem Unsinn von Informationen im sogenannten Informationszeitalter aus.

Wie geht man mit Informationen um, wie kann man Filter setzen, wann leitet man Informationen weiter, warum ist es albern, wenn Mails ausgedruckt werden: Diese und etliche interne Fragen mehr beschäfigten die Redaktion mehrere Monate lang. „Bei mir gehen so viele PROFS-Mails ein, dass ich bei bestimmten Absendern nur noch auf die Löschtaste drücke“, schrieb ein Mitarbeiter. Ein anderer erzählte, wie er den Berg unerledigter Mails liegen lässt, um an einem Tag in Monat eine große Löschaktion zu starten. „Man riskiert, auf dringende Anfragen nicht mehr erreichbar zu sein.“

Spitzfindige Kritiker aus dem Haus IBM schrieben der Redaktion übrigens, dass die Ausgabe mit den 12 leeren Seiten den Umweltschutzrichtlinien des eigenen Unternehmens widerspräche. Ein Jahr früher hatte der Konzern in Deutschland verfügt, nur Recycling-Papier zu verwenden. Für die leeren Seiten soll die Mitarbeiterzeitung mehrfach ausgezeichnet worden sein.

heise online – Vor 20 Jahren: Unfeierliche Weihnachtsgrüße von IBM

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Afghanistan: Eine Fernsehkulisse

13 Dez

Wer sich noch fragte, was deutsche Truppen eigentlich in Afghanistan zu suchen haben, der kann es, neun Jahre nach dem militärischen Einmarsch, endlich erfahren. Die Zeit schreibt:

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ist nach Afghanistan gereist, um in der Vorweihnachtszeit die dort stationierten Bundeswehrsoldaten zu besuchen. Seine Frau Stephanie begleitet ihn. Auch die Ministerpräsidenten Niedersachsens und Sachsen-Anhalts, David McAllister und Wolfgang Böhmer (beide CDU) sind mitgereist.

Aber nicht, dass hier ein offenbar CDU-naher Terror-Tourismus für Flugbewegungen über Zentralasien sorgt, ist das Bemerkenswerte. Sondern eine Nebenbemerkung, die auch der seriösen Wochenzeitung aus Hamburg nur eine Zeile wert ist:

Ebenso der Journalist Johannes B. Kerner, der mit dem Verteidigungsminister und mit Soldaten eine Talkshow aufzeichnen will.

Die Welt kann das Intrikate an dieser Meldung in einer noch kürzeren Formulierung vertuschen:

Auch ein Showmaster ist dabei.

Mit Kerner kuscheln am Hindukusch? Und das unter Beteiligung deutscher Politiker, die sich nicht zu schade sind, auf diese Weise zur Quotenrettung eines der unnötigsten Formate im deutschen Fernsehen beizutragen? So dass, wenn der Privatsender Sat 1 schon keine Gebührengelder vereinnahmen darf, wenigstens mit Steuergeldern zum Senderfinanzausgleich beigetragen wird? Das erinnert doch allzu sehr an den amerikanischen Kinofilm Wag the dog, nur mit umgekehrten Vorzeichen: Im Film lässt ein US-Präsident, der einen Sex-Skandal durchzustehen hat, von Fernsehleuten einen virtuellen Krieg inszenieren, um sich als Held darzustellen. Mit Kerner in Afghanistan erhält ein echter Krieg seine nachträgliche Daseinsberechtigung dadurch, dass Politiker, die nicht einmal zum Sexskandal taugen (Guttenberg!), als billige Komparsen Schützenhilfe fürs einzig Echte leisten, nämlich das Fernsehen. Und was ist eigentlich mit unseren Qualitätszeitungen los, die das Ungeheuerliche an diesem Ereignis reportieren, als handle es sich um einen x-beliebigen Schönheitswettbewerb in Winsen an der Luhe? Wer bis jetzt noch dachte, in Afghanistan würden humanitäre Hilfe geleistet und die Menschenrechte gesichert, der sieht sich ausgerechnet durch Johannes B. Kerner eines Besseren belehrt: Kein Kriegseinsatz kann so real sein, dass er nicht als Fernsehkulisse noch schöner würde.

Afghanistan: Ehepaar Guttenberg besucht Feldlager Kundus | Politik | ZEIT ONLINE

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Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter