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Angelina Jolies Brüste als statistisches Problem


14 Mai
Angelina Jolie - vor der OP (Foto: Wikimedia)

Angelina Jolie – vor der OP (Foto: Wikimedia)

Die einmal zur „schönsten Frau der Welt“ gekürte US-Schauspielerin Angelina Jolie hat sich aus Angst vor Brustkrebs beide Brüste amputieren lassen. Diese, von der seriösen New York Times in Form einer Tagebuchaufzeichnung verbreitete, Nachricht hat zu den erwartbaren Kapriolen auch in der deutschen Presse geführt. „Angelina in ihrer mutigsten Rolle“, dichtet Die Welt. Die Berner Zeitung weiß in etwas eigenartiger Grammatik: „Jolie fühlt sich nach der Brustamputation ’nicht weniger Frau‘ als vorher“. Und Spiegel Online hat direkt den Servicebeitrag zum Eingriff: „So funktioniert die Brustamputation“.

Angelina hat also keinen Busen mehr. Und deutsche Journalisten haben offenbar keinen Taschenrechner mehr.  Sonst könnten sie nämlich die Brustkrebswahrscheinlichkeiten richtig berechnen. Eigenartig ist nämlich, was die Journalistenkollegen da unisono (hat da wohl jemand vom anderen abgeschrieben) über die statistischen Aussagen in Sachen Brustkrebsrisiko zu sagen haben. Hier in der Version des Mediendienstes Meedia (Überschrift: „Angelina Jolie jenseits der Klatschspalten“):

In der New York Times schreibt sie, dass sie wegen eines Gen-Defekts mit 87 prozentiger Wahrscheinlichkeit an Brustkrebs erkrankt wäre. Ihre Mutter starb im Alter von 56 Jahren an der Krankheit. Nur bei einer kleinen Minderheit ist dieser spezielle Gen-Defekt die Ursache für Brustkrebs. In diesen Fällen aber besteht eine im Durchschnitt 65-prozentige Wahrscheinlichkeit der Erkrankung …

Journalisten lieben bekanntlich Zahlen. Prozentangaben lieben sie besonders. Nur mit dem Rechnen haben sie es nicht immer so. Wenn Frau Jolie „wegen eines Gen-Defekts mit 87 prozentiger (sic!) Wahrscheinlichkeit an Brustkrebs erkrankt“, dann bedeutet das eine 87-prozentige Wahrscheinlichkeit der Erkrankung. Und keineswegs eine „65-prozentige Wahrscheinlichkeit der Erkrankung“!

Wie kann es zu diesem Fehler kommen? Sehen wir uns das englischsprachige Original aus der New York Times an. Dort heißt es:

My doctors estimated that I had an 87 percent risk of breast cancer and a 50 percent risk of ovarian cancer, although the risk is different in the case of each woman. Only a fraction of breast cancers result from an inherited gene mutation. Those with a defect in BRCA1 have a 65 percent risk of getting it, on average.

Hier wird anders gerechnet: Es ist von einer 65-prozentigen Wahrscheinlichkeit die Rede, wegen des Genfehlers in BRCA1 an Krebs zu erkranken. Wie alle Frauen (auch die ohne diesen Genfehler) gibt es für Angelina Jolie natürlich noch andere Gründe, an Brustkrebs zu erkranken (etwa weil sie Raucherin ist, wegen ihres Alters etc.). Dies summiert ergibt dann die Endwahrscheinlichkeit von 87 Prozent für eine Brustkrebs-Erkrankung. Ob es deswegen angeraten ist, sich vorauseilend die Brüste entfernen zu lassen und wie sich dadurch das allgemeine Krebsrisiko verändert, wird nicht thematisiert.

Hier liegt also ein nahezu 100-prozentiges Beispiel für Statistik-Schwäche vor, das sich durch Kolportage und eine 80-prozentige Copy-and-paste-Neigung im deutschen Journalismus in Windeseile massenhaft verbreitet hat. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass irgend jemand das im nachhinein korrigieren wird? Vermutlich null Prozent.

Riesen-Busen steht gutem Journalismus im Weg


14 Jul

Der Busen ist, neben dem Penis, das beliebteste Körperteil desjenigen Journalismus, dessen Hauptaugenmerk auf der Herabsenkung journalistischer Qualitätsmaßstäbe unter die Gürtellinie liegt. Es verwundert darum nicht, welche Geschichte uns die Münchner „tz“ da oberweit auftischen will:

Das internationale rumänische Nachrichtenportal romaniantimes.at berichtet, dass ihr großer Busen eine  Frau erst kürzlich vor dem Ertrinken bewahrte. Die junge Österreicherin war gerade auf dem Heimweg nach einer durchtanzten Nacht in der kroatischen Partylocation Pula. Nachdem sie etwas zu tief ins Glas geschaut hatte, beschloss die 30-Jährige, sich noch einmal abzukühlen. Sie entledigte sich ihres Bikinioberteils und hüpfte ins Meer. An und für sich wäre das ja keine schlechte Idee.

Keine schlechte Idee auch, die fehlende eigene journalistische Kragenweite durch anderer  Leute Oberweite auszudehnen. Aber lesen wir weiter:

 „Erst nachdem ich schon gesprungen war, habe ich bemerkt, dass ich eigentlich viel zu betrunken und müde zum Schwimmen bin. Ich war kaum noch in der Lage Arme und Beine zu bewegen, geschweige denn noch einmal aus dem Wasser herauszukommen.“ Durch einen Geniestreich hielt sie sich über Wasser. Sie drehte sich um und ließ sich bis zum nächsten Morgen von der Auftriebskraft ihrer Brüste die Küste entlang treiben. Tapfer hielt sie durch und wurde von verdutzten Beamten der Küstenwache geborgen. Auch diese gehen fest davon aus, dass ihre großen Brüste die junge Dame gerettet haben.

Oberwasser durch Oberweite? Auch wenn der Artikel — wie in einem Anflug verschärfter redaktioneller Transparenz unumwunden zugegeben wird — komplett aus der Rumanian Times abgeschrieben ist: Selbst Eigenrecherche hätte ihn nicht besser gemacht. Hier wäre eher etwas weniger Schulschwänzen zu Zeiten des Physikunterrichts ratsam gewesen. Denn dass ein Frauenkörper in Wasser nicht untergeht, hat nichts mit den Brüsten zu tun, sondern mit seinem spezifischen Gewicht. Da der Körper zu überwiegendem Teil aus Wasser besteht, aber durch seine Ausdehnung ein geringeres Verhältnis von Gewicht zu Volumen hat (die sog. Wichte), schwimmt er so oder so an der Wasseroberfläche. Im Meerwasser mit seinem hohen Salzanteil geht das sogar noch einfacher. Und Frauen schwimmen eher oben als Männer wegen ihres anteilig höheren Fettanteils. Ein Busen spielt nur in der Phantasie von Boulevardjournalisten, nicht aber in der Physik dabei eine übergeordnete Rolle.

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter