Ernährungs-Bolschewismus

04 Aug

Ach, wenn man doch Wörter essen könnte: ich nähme dann ein halbes Hänchen, und zwar von jenem Han, der hinter jedem hanebüchenen Unsinn steckt. Einen solchen hat in der aktuellen Ausgabe die Wochenzeitung Die Zeit verzapft. Es gibt, nach dem Fall der Mauer, dem Tod von Jacques Derrida und dem Ende von Dallas ja praktisch keine Ideologien mehr, deren Verfechtung oder Bestreitung der Rede wert wären. Einzig der Ernährungs-Bolschewismus ist übrig geblieben, der in einer vorgeblich „gesunden Ernährung“ die letztliche Befreiung der Arbeiter- und Verbraucherschaft wähnt, mit starkem Geschütz auf die natürlichen Feinde als da wären gesättigte Fettsäuren, rechtsdrehende Joghurts und Weißmehl jeden Typs feuert und mit Kritik und Selbstkritik auf jeden Rückfall in alte Ernährungsgewohnheiten wie etwa Sattwerden und Genießen reagiert. Was nicht schmeckt, ist gesund, und diese Apothekerweisheit muss auch in der Vollwertküche der Ernährungsbolschewisten gelten. So auch in der Zeit, deren Beitrag zum Ernährungskampf bezeichnenderweise mit „Süße Bomben“ überschrieben ist und die sich mit dem Zuckeranteil in verschiedenen Lebensmitteln auseinandersetzt. Siehe da, Cola hat also einen hohen Zuckeranteil, Kakao, Gummibärchen und Waffelschnitten desgleichen. Wen diese Erkenntnisse überraschen, der darf wenigstens sich glücklich schätzen, das Zeitalter der Ideologien hinter sich gelassen zu haben. Denn Ideologien zeichnet es aus, das stets Altbekannte, die eigenen Glaubensgewissheiten immer wieder herzubeten. Und passt etwas nicht ins Bild, wird es hineingestutzt. Diesesmal das „Milchbrötchen“.

Zeitgrafik

Es enthält nämlich, oh Schreck, praktisch keinen Zucker, jedenfalls viel weniger als z.B. ein Apfel. Da das nicht ins Bild passt, schiebt man den Satz hinterher:

Kein Brotersatz, meist relativ nährstoffarmes Weißmehl

Nährstoffarmes Weißmehl? Man kann von Weißmehl allerhand behaupten, u.a. dass es das gar nicht gibt, weil es ein nur von Ernährungsbolschewiken benutzter Kampfbegriff als Gegensatz zu „Vollkornmehl“ ist (Mehl wird in Deutschland in verschiedenen Typenklassen definiert, und weiß ist im übrigen auch Vollkornweizenmehl, außer es wird Farbstoff oder karamelisierter Zucker hinzugefügt, was in Vollkornbäckereien gerne geschieht) — jedenfalls eines kann man sicher nicht behaupten: Es sei nährstoffarm. Im Gegenteil ist Mehl geradezu die Definition von Nährstoff. 30 Prozent des gesamten Protein-Bedarfs und sogar 64 Prozent des Kohlehydratbedarfs der Bevölkerung wird damit gedeckt. Es enthält übrigens auch deutlich mehr Ballaststoffe als etwa ein Apfel. Anders wären auch die 134 kcal, die auch die Zeit dem Milchbrötchen konzediert, gar nicht zu erreichen. So kommt es auch, dass Kuchen eines der besten Lebensmittel ist, die wir überhaupt herstellen können. Denn in Kuchen kommen nicht nur nach einem alten Kinderlied Eier, Zucker, Butter und Mehl und damit die Hauptbestandteile von dem, was wir überhaupt Ernährung und damit Nährwert nennen: Proteine, Kohlehydrate und Fett. Wie sagte der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer, Autor des „Lexikons der populären Ernährungsirrtümer“: „Essen soll satt machen und nicht gesund“. Mögen andere also weiterhin ihrem Klassenmampf fröhnen, ich beiße herzhaft in mein Milchbrötchen. Ach ja, und dazu ein halbes Hänchen.

Wissen in Bildern | Wissen | ZEIT ONLINE

Chefkoch.de: Weißmehl ungesund?

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"Sportschau" bekommt neue Studiodekoration

03 Aug

Erst kürzlich mokierte sich einer der obersten ARD-Journalisten über die neue Studiotechnik der ZDF-Nachrichten. Jetzt schlägt das Imperium zurück:

Die Sendung biete damit das „erste kinetische Studio der Fernsehgeschichte“, sagte Redaktionsleiter und WDR-Sportchef Steffen Simon. Normalerweise entstehe Bewegung im Fernsehen, wenn sich Moderator oder Kamera bewegten. „Bei uns bewegt sich die Studiodekoration“, so Simon.

Dieser Effekt ist auch mit einer Sprengladung zu haben: Dann fliegt einem alles um die Ohren.

„Sportschau“ bekommt neue Studiodekoration

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Wochenendschicht beim Stadtanzeiger

03 Aug

Wer am Wochenende arbeiten muss, ist schlecht gelaunt, unwillig oder bei den Kollegen so unbeliebt, dass man ihn während der Woche einfach nicht ertragen kann. So sieht dann auch die Montagsausgabe des Kölner Stadtanzeigers aus. Dabei antwortete schon Karl Kraus auf den Einwand, es handle sich doch bloß um Tippfehler, sinngemäß, wer schludrig im Schreiben sei, der sei auch schludrig im Denken. So ist beispielsweise zu lesen:

Zusatzeinkünften können aber auch Durchschnittsrentner steuerpflichtig werden.

Man sollte Rentner besser behandeln. Dann könnte man auch die richtigen Leute in Rente schicken.

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Immermehrismus stirbt aus

30 Jul

Immer mehr Frauen bleiben kinderlos, ist im Onlineauftritt der Zeit zu lesen. Das lässt einen ja hoffnungsfroh werden, dass der Immermehrismus mit seinen Benutzern irgendwann zur Gänze ausstirbt. Denn wenn immer mehr immer weniger Kinder kriegen, dann bleibt auch für den letzten Blödsinn keiner, der ihn mehr machen kann. Immerhin.

Familien: Immer mehr Frauen in Deutschland kinderlos | ZEIT ONLINE

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ARD Tagesschau hält sich selbst für verzichtbar

23 Jul

„Erkenne dich selbst!“ Laut den alten Griechen die Urdisziplin der Philosophie. Und so philosophisch hat auch Dr. Kai Griffke, Chef der ARD-Tagesschau, im Tagesschau-Blog über die Inhalte seiner Sendung meditiert. Anlass für ihn war das sogenannte Sommerloch. Das veranlasst ihn zu folgenden Äußerungen:

Natürlich gab auch heute wieder die Weltlage soviel her, dass man ohne aufzufallen eine Viertelstunde Tagesschau achtbar füllen konnte. Aber wenn wir ehrlich sind, hätte man jedes, ja wirklich jedes unserer heutigen Themen auch lassen können. Alles reine Kann-man-machen-Nummern. Bei unserem kleinen Schleswig-Holstein-Schwerpunkt hatte man ein schweres Déja-vu, in Nachterstedt gab’s auch keinen neuen Stand, Arnie Schwarzeneggers Pleite-Haushalt schon sehr abseitig, so dass Mathe-Olympiade und Sport fast schon die härtesten Brocken in der Sendung waren.

Seinem Berliner Kollegen Ullrich Deppendorf hat dieser Eintrag übrigens gar nicht gut gefallen. Er antwortete in einem Kommentar zu diesem Beitrag, dann hätte doch die Berliner Hauptstadtstudio-Besatzung früher nach Hause gehen können. Auch ihm sei gewünscht: „Erkenne dich selbst!“

Tagesschau-Blog: Streit ums Sommerloch

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Welt: Doppelter Wedeking

23 Jul

Was will uns die Tageszeitung “Die Welt” nur mit folgendem Passus sagen:

Nach fast 18 Jahren beim Sportwagenbauer Porsche räumt Wendelin Wiedeking den Posten. Der Abgang wird beiden mit einem goldenen Handschlag versüßt.

Der Abgang wird “beiden” versüßt? Welche beiden? Der Wendelin und der Wedeking? Und gibt es für die beiden dann die doppelte Abfindung? Oder ist geteilte Süße halbe Süße? Manche Tageszeitungen schmerzen nicht erst im Abgang …

Porsche-Chef geht: Zum Abschied erhält Wiedeking Lob vom Gegner – Nachrichten Wirtschaft – WELT ONLINE

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Orwell mit Orwell bekämpfen

22 Jul

Ausgerechnet die Romane „Animal Farm“ und „1984“ hat der Online-Buchhändler Amazon aus seinem Sortiment befördert. Erst nachträglich sei dem weltweit größten Internetversender aufgefallen, dass der Verlag, von dem Amazon die Onlinerechte erworben hatte, gar nicht im Besitz ebenderselben gewesen sei. Dass Amazon das eigene Sortiment um zwei besonders einflussreiche Titel verkleinern muss, möchte man noch als hausgemachtes Unglück abtun. Allerdings hat der Onlinehändler mittels der Synchronisationsfunktion bereits verkaufte Online-Versionen seiner Kunden von deren digitalen Lesegeräten, den sog. Kindles, wieder entfernt. Die Süddeutsche kommentiert das:

Neben der Tatsache, dass die Nacht-und-Nebel-Aktion für Amazon extrem peinlich ist und das Unternehmen jetzt geduldig Big-Brother-Witze über Wirklichkeit gewordene Orwell-Utopien und Blog-Hasstiraden über sich ergehen lassen muss, ist die Angelegenheit auch rechtlich bedenklich. Denn eigentlich erwirbt jeder Kunde beim Kauf eines E-Books im Kindle Store ein unbegrenztes Nutzungsrecht. Prekär auch die Frage, warum Amazon offensichtlich nicht überprüft hat, ob der Anbieter der Texte auch die Rechte an ihnen besitzt. Das Vertrauen in die Seriosität des Unternehmens ist beschädigt, denn wer möchte schon, dass sein Buchhändler – und so fühlt es sich an – nachts um drei im Wohnzimmer steht und die gekauften Bücher wieder mitnimmt.

Amazon entfernt George Orwell aus seinem E-Book-Laden – sueddeutsche.de

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TV14: Werben ohne Werbung

21 Jul

logo_301x155 tv14  Nah am Verbraucher, das heißt für viele Medienunternehmen, nah an den Geldbörsen jener zu sein, die man selbst schon zur Kasse gebeten hat. Der Medienverbraucher ist ein von Medien Verbrauchter, wie ein gewisser Buchautor mal geschrieben hat. Im Falle der Fernsehprogrammzeitschrift TV14 aus dem Hamburger Bauer-Verlag (“Bravo”, “Neue Revue”) ist der Hang zur Geldbörse schon fast klinisch. In der Ausgabe 15/2009 werden Technik-Tipps und Kaufempfehlungen gegeben (Handys, Laptops etc.), garniert mit den Bewertungen von der unabhängigen Stiftung Warentest. Doch schon in der Vorwoche (Heft 14/2009) wurde den Lesern als Kunden gesagt, wo sie die Produkte kaufen sollten. Dort erschien nämlich ein mit keinem Deut als Werbung gekennzeichneter Artikel über die expert AG, eine Vereinigung von Elektrohändlern. O-Ton:

Sie alle vereint Topberatung, perfekter Service (TV-Geräte werden geliefert, angeschlossen und feinjustiert)sowie absolut günstige Preise.

Vielleicht sollte die Bauer Media Group ihre Einstellung zur journalistischen Ethik mal feinjustieren.

TV14.de – Startseite

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Intimrasur messerscharf bei der Zeit teil 2

19 Jul

Alte Soße in der Hose: Da hat die Zeit mal ein Thema, das im Biederbereich hanseatischer Verkorkstheit wohl als provokant gelten soll, da löst es sich auch schon wieder in Luft auf: Statistisch ist die in der Zeit kolportierte Zahl, nach der fast 70 Prozent der Männer intimrasiert seien, nicht haltbar.

Selbst der Leipziger Psychologe Brähler wartete noch im vergangenen November mit Zahlen auf, die um einiges spektakulärer geraten waren als sein jetziges Ergebnis. Damals hieß es, unter Studenten enthaarten sich bereits 88 Prozent der Frauen und 67 Prozent der Männer die Intimzone. Die Nachricht geht seither durch die Medien. Freilich wurden damals nur rund 300 Studenten an der Uni-Klinik befragt. Die neue Umfrage dagegen lieferte erstmals repräsentative Resultate von 2512 Testpersonen – und prompt sank bei den jungen Männern die Intimrasur-Quote von knapp 70 auf etwas über 20 Prozent. Wie kann das sein? "Das wissen wir nicht", sagt achselzuckend Brähler, ein vielbeschäftigter Mann, der gerade, wie er sagt, "23 Forschungsprojekte zugleich" laufen hat. Gleichwohl bleiben die alten Zahlen in der Welt.

Man fragt sich: Was ist mit den Männern an der Uniklinik Leipzig los? Finanziert werden solche Studien laut Spiegel Online von Firmen wie Gillette, Philips oder Wilkinson, allesamt messerscharfe Rasiererhersteller, die mit der nackten Scham so viel verdienen, dass sie sich nicht groß schämen werden.

Körperkultur – Spiegel Online

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Politik-PR statt Journalismus

19 Jul

Parteitage in Nürnberg haben eine gewisse Tradition, an die jetzt die CSU offenbar sich anschließen will, weswegen sie ihr aktuelles Großtreffen ausgerechnet dort abhält. Politikentleert wie diese Art von Schauveranstaltung ist regelmäßig auch die Berichterstattung darüber. Der Journalismus ist gemeinsam mit der Politik ins postpolitische Zeitalter eingetreten. Dient der Politjournalismus in den sogenannt seriösen Medien noch als Ausweis einer nurmehr homoöpathisch vorhandenen Qualität, sieht er seinem häßlichen Geschwisterkind, der Politik-PR, zum Velwechsern ähnlich. Die Polit-Talkshows im öffentlich-rechtlichen Fernsehen verhalten sich ja ohnehin wie jede Eva zu ihrem Adam, da beide das gleiche Feigenblatt sich vor die Scham halten: Nur ein Paradies ist das nicht.

Unversehens blitzt eine überkommene Art von Journalismus nur auf, wenn Parteitagsstrategien und durchschaubare Kommunikationstaktiken plötzlich nicht mehr aufgehen: Wird ein Parteivorsitzender vom blökenden Wahl- und Deligiertenvolk abgestraft, kann selbst das mundzahmste Medium nicht anders, als dem Volk aufs Maul zu schauen und der Politprominenz auf ebenselbes zu hauen. So entsteht auf einmal doch noch politischer Journalismus, auch wenn man das unbedingt vermeiden wollte.

Horst Seehofer: Dämpfer dank Verjüngungskur – Bundestagswahl – FOCUS Online

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Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter