Endlich Ruhe: Smartphone-freie Zonen

16 Jan
Always On (Bild: Stefan Bayer/Pixelio)

Always On (Bild: Stefan Bayer/Pixelio)

Unter dem Titel „Orte zum Abschalten: Die fünf schönsten Funklöcher“ präsentiert die Onlineredaktion der Süddeutschen Zeitung fünf Plätze in Europa, die für Mobilfunker, Smartphonejunkies und Telefonabhängige die Hölle sein müssen. Die Reporter stellen zum Beispiel den Reichmannshausen in der Großgemeinde Schonungen in Unterfranken vor. Dort …

haben sie eigentlich alles: einen Autobahnanschluss, acht Kindergärten, elf Kirchen, mehr als 100 Vereine und Verbände, außerdem so viel Wald wie nirgendwo sonst in der Region – und ein großes Funkloch. In mehreren Ortsteilen gibt es keinen Empfang. Das idyllische Reichmannshausen und seine 484 Einwohner hat es besonders hart getroffen: Hier können die Menschen nur per Festnetz telefonieren. Internet oder Handyempfang gibt es nicht (außer sehr schwach auf vereinzelten Balkongeländern und Fensterbrettern). Der Grund: Reichmannshausen liegt in einer Senke. Um hier vollen Empfang zu haben, müssten gleich mehrere Sendemasten aufgestellt werden. Das lohnt sich für Mobilfunkanbieter nicht, die sich gerne damit rühmen, 99 Prozent der deutschen Bevölkerung zu versorgen.

Nun, das kennt man ja von Mobilfunkbetreibern wie Vodafone & Co., dass sie mehr versprechen, als sie halten. Die Reichmannshausener haben sogar schon demonstriert, um endlich auch auf Straßen und Wegen telefonisch erreichbar zu sein, doch es half nicht.

Funklöcher im Kaffeehaus und im Brandenburger Tor

Während in Unterfranken die Funkstille unfreiwillig ist, wird im Wiener Kaffeehaus Sperl ganz absichtsvoll nicht mit Handys herumgespielt. „Bitte kein Handy“ steht auf einem Schild mit goldenem Rahmen. Ähnliches ist aus den funkfreien Wägen und Abteilen der ICE-Flotte der Deutschen Bahn bekannt.

Dazu ist man blöderweise darauf angewiesen, dass die werten Mitfahrer das rot durchgestrichene Handy-Symbol an der Abteiltür erstens sehen, zweitens verstehen und drittens respektieren. Da muss also viel zusammenkommen. Die Bahn hat deshalb noch ein „Psst“-Symbol nachgelegt, das Geschäftsleute indes auch gern so interpretieren, dass Kinder nicht schreien, sie aber jederzeit mit der Firma telefonieren dürfen („Sagen Sie Herrn Wagner, ich bin gegen 17 Uhr in Darmstadt“).

Im Brandenburger Tor, also dem Wahrzeichen und Zentrum der Hauptstadt Berlin, gibt es sogar einen „Raum der Stille“: „Treten Sie ein, hier dürfen Sie schweigen“, steht auf einer Tafel am Eingang. Der Raum wurde vor zwanzig Jahren nach dem Vorbild des Meditationsraums im UN-Gebäude in New York eingerichtet. Bis zu 300 Besucher aller Länder und Religionen schweigen hier jeden Tag gemeinsam.

Schließlich führen die SZ-Reporter noch den Nordpol als Funkloch an. Ruhebedürftige Menschen lassen sich eigens auf Schiffstouren hoch in den Norden fahren, um das zu erleben — wenn auch der ein oder andere nach drei Tagen zum Funkoffizier kommt und fragt, ob er nicht doch mal nach Hause telefonieren dürfe.

Handnutzung im Urlaub und in der Schule

So ganz neu ist die Sehnsucht nach den handyfreien Zonen nicht. Schon im Jahr 2011 hatte SchweizTourismus einen Aufenthalt für 10 Personen auf einer Schweizer Berghütte ganz ohne Internet und Handyempfang verlost. Über 13.000 Interessierten hatten sich daraufhin gemeldet. An vielen gemeinbildenden Schulen ist die Benutzung von Handys und Smartphones während des Unterrichts und häufig auch auf dem Schulhof verboten. Die Schüler wehren sich allerdings teilweise dagegen — mit ihren Mitteln: In Freiburg am deutsch-französischen Gymnasium haben sie aus Protest mit ihren Handys einen Flashmob veranstaltet:

Aus Protest gegen das Handyverbot in ihrer Schule haben die Schüler des Deutsch-Französischen Gymnasiums in Oberau am Mittwoch einen Flashmob veranstaltet. In der Pause trafen sie sich im Foyer und begannen auf ein Zeichen hin zu telefonieren – und genau das ist hier untersagt.

Smartphones am Arbeitsplatz

Die Arbeitswelt liegt nicht prinzipiell im Funkloch: In vielen Jobs ist die Verwendung von Mobiltelefonen Alltag, zum Beispiel bei Arbeitern auf Montage. Außerdem können Arbeitgeber mit der Masche „bring your own device“ viel Geld sparen, indem Arbeitnehmer ihre privaten Endgeräte auch dienstlich nutzen und der Chef nicht extra Smartphones anschaffen und zur Verfügung stellen muss. Allerdings können Arbeitgeber die Handynutzung während der Arbeitszeit auch sehr restriktiv auslegen: Ein striktes Handyverbot am Arbeitsplatz wurde bereits im September 2009 vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz für rechtmäßig erklärt (6 TaBV 33/09).

Der selbsterklärte „Zukunftsforscher“ Matthias Horx sieht schon ein generelles Smartphone-Verbot in der Öffentlichkeit. Bei der gegenwärtigen Durchdringung des Alltags mit digitaler Technik erwartet er für die Zukunft eine „Kultur der Störung“:

Wir realisieren allmählich, dass wir in einer Kultur der Störung leben, in der wir zunehmend abgelenkt, unkonzentriert, fahrig und nervös, ja geradezu asozial werden. In wenigen Jahren wird das Suchtverhalten mit den elektronischen Medien so sanktioniert sein wie das Rauchen. Man wird dann als ungebildet und charakterschwach gelten, wenn man auf sein Smartphone starrt. Und an vielen Orten wird die Nutzung elektronischer Geräte verboten sein.

Einige haben bereits Hilfe zur Selbsthilfe betrieben: Padre Michele Madonna von der Gemeinde Santa Maria di Montesanto in Neapel war vom Handygeklingel während der Heiligen Messe so entnervt, dass er kurzerhand einen Störsender für Handys installiert hat. Jetzt hat nur noch Gottes Wort das Wort, und der Rest ist Schweigen.

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