Posts Tagged ‘Jauch’

NZZ: Jauch muss entlassen werden


23 Mrz
vaoufakis_stinkefinger

Screenshot: Youtube

„Das Land der Griechen mit der Seele suchend“ — Goethes frommer Wunsch wird im Land der Dichter und Denker auf absehbare Zeit nicht in Erfüllung gehen. Im deutsch-griechischen Verhältnis sind, jedenfalls im Feld des Journalismus, gerade andere Körperteile angesagt. Ein ausgestreckter Mittelfinger spielt dabei eine besondere Rolle: „Muss die Geschichte des Stinkefingers in großen Teilen umgeschrieben werden?“ fragt der Berliner Tagesspiegel.

Das „Stinkefinger“-Video, das den griechischen Finanzminister in der ARD-Talkshow „Günther Jauch“  mit der vulgären Geste zeigte, hat das ein oder andere Nachspiel. Denn selbst wenn das gute Stück Video sich nicht, wie selbst Medienkritiker wie Stefan Niggemeier meinten, als „Fuckfinger-Fake“ des Comedians Jan Böhmermann herausstellte, stellt es doch  auf offenbar boshafte Weise die nonverbale Äußerung des griechischen Politikers in einen Zusammenhang, in den es weder verbal noch nonverbal gehört. „Dass Varoufakis’ Finger echt ist, macht ihn nicht weniger falsch“, bonmotisierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Die Neue Züricher Zeitung fordert nun die Entlassung Jauchs. Sein Umgang mit Varoufakis‘ Finger sei „übelster Kampagnenjournalismus“:

Zwar ist es echt (auch wenn eine Satiresendung im ZDF anderes behauptete). Aber Varoufakis’ obszöne Geste reflektiert nicht seine Meinung über Deutschland. Das kann jeder nachvollziehen, der sich im Internet die komplette Aufnahme ansieht. Auch Starjournalist Jauch hätte das tun können und müssen. Sein Beitrag ist darum kein Coup, sondern übelster Kampagnenjournalismus, der das verkorkste Verhältnis zwischen Berlin und Athen zusätzlich belastet. Die ARD sollte darum Jauch vor die Tür setzen, weil er gegen fundamentale journalistische Standards verstossen hat.

Die Forderung beruht auf zwei Missverständnissen: Zum einen, dass Jauch selbst die Entscheidung getroffen habe, den Finger-Video in genau dieser Weise in seiner Sendung zu präsentieren. Das nämlich überbewertet die Rolle, die ein Moderator gerade in einer öffentlich-rechtlichen Talksendung hat. Hinter dem Gesprächsleiter, der im Zweifel nur ein sprechender Kleiderbügel ist (was seit den Zeiten von Sabine Christiansen als Ahnherrin des Genres als ausgemacht gelten darf), steht eine Armada von Redakteuren, Chefredakteuren, Programmgruppenleitern, Wellenchefs, Programmdirektoren und was der Hierarchiestufen mehr sind, die in Zeiten von lean management nur noch öffentlich-rechtliche Sender sich leisten können. Die Forderung nach dem Abtritt Jauchs kommt damit dem Verlangen nach einer Nacht der langen Messer in den Führungsetagen der ARD gleich, was vielleicht nicht das Schlechteste wäre.

Das andere Missverständnis beruht darin, Jauch überhaupt für einen Journalisten zu halten. In Wahrheit ist er Unterhaltungskünstler, der für die ARD einen Journalisten darstellt. Aber das Primat der Unterhaltsamkeit, das er mit seiner Quizshow auf RTL ja seit Jahren offensiv nach außen trägt, hat auch für seine ARD-Talksendung Geltung. Und so ist auch die Vorführung des Finger-Films zu sehen: Es trägt zur Unterhaltsamkeit einer ansonsten staubtrockenen Sendung bei, und nur darum geht es. Dass die ARD mit einem solchen Konzept im politjournalistischen Zusammenhang sich ihr eigenes „Ground Zero“ bereiten könnte, wurde an gleicher Stelle schon vor geraumer Zeit vorausgesagt.

focus_stinkefingerIm übrigen sollten deutsche Journalisten Zurückhaltung üben, wenn sie griechischen Politikern Vorhaltungen machen möchten. In dieser Auseinandersetzung ist richtig, was bei keiner Schulhofstreiterei falsch ist, nämlich zu fragen, wer angefangen hat. Und angefangen hat eindeutig der deutsche Journalist: Es war schließlich das Magazin Focus, das 2010 den Griechen den „Stinkefinger“ gezeigt hat. Der Kampagnenjournalismus nahm da seinen Anfang und fand seinen Höhepunkt in der wochenlangen Schlammschlacht, die die Bildzeitung für ordnungsgemäße Berichterstattung hält.

Wer muss also nun entlassen werden? Alle deutschen Journalisten? Die Mitarbeiter von Hubert Burda, Axel Springer und der ARD? Oder die Zuschauer und Leser, die sich auf solcherart inkriminierenden Journalismus einlassen? Ähnlich wie, frei nach Brecht, die alte DDR-Regierung sich kein neues Volk wählen konnte, können wir uns keinen anderen Journalismus wählen — wir haben nur den einen. Aber der könnte seinen Job besser machen.

Postdemokratie: Raab, Jauch und der Politjournalismus


16 Feb

Raab meets Stoiber, Quelle: Wikimedia (M)

Es war der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, der den TV-Entertainer Stefan Raab als (Mit-)Moderator des sog. Kanzlerduells, also des Fernsehinterviews mit den beiden KanzlerkandidatInnen von CDU und SPD, ins Spiel gebracht hat. Schon das hätte einen skeptisch machen müssen. Denn um Partizipation, größere Politikakzeptanz oder einen Rückgang der Politikverdrossenheit kann es ja Edmund Stoiber oder seiner Partei, der CSU, nicht gehen. Im Gegenteil sind es Stoiber und die CSU gewesen, die ganz wesentlich zu Politikverdrossenheit und einem Niedergang von Partizipationsmöglichkeiten beigetragen haben. Der Freistaat Bayern ist das einzige Bundesland, in dem Studierende an Hochschulen keine hochschulpolitische Vertretung haben, Allgemeine Studierendenausschüsse sind per Gesetz verboten. Demokraten gerieren sich hier gerne mal als Quasi-Regenten, die Christsozialen als Staatspartei. Edmund Stoiber selbst hat als Kanzlerkandidat der CDU/CSU vor acht Jahren eine Einladung in Raabs Sendung kategorisch abgelehnt. Nimmt man Stoiber diese Begründung für seinen Vorstoß nicht ab, fragt man sich, was dann dahinter stecken könnte.

Nun, was anderes als das, für das sein Name und der seiner Partei steht: eine Depolitisierung der Politik, oder um es mit dem britischen Politologen Colin Crouch zu sagen: Post-Demokratie. Die Entpolitisierung gerade des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ist ja ein Vorgang, der die Zuschauer und Gebührenzahler schon seit Jahrzehnten begleitet und an dem gerade die großen Volksparteien ganz wesentlich beteiligt waren und sind. Jüngstes Beispiel ist die Ersetzung kritischen dokumentarischen Fernsehprogramms durch ein beliebiges Talksshowdurcheinander in der ARD, in dem ausgewiesene Fähigkeiten als Politikjournalist ganz offensichtlich das letzte Qualifikationsmerkmal sind, um Moderator oder Moderatorin dieser Sendungen zu werden: Dort treffen wir eine Sportjournalistin (Will), eine ehemalige Jugendjournalistin (Maischberger), einen Lokaljournalisten (Plasberg) und einen Boulevardjournalisten und Gameshowmoderator (Jauch). Der Politjournalist, der zuletzt wagte, Spitzenkandidaten kritische Fragen zu stellen, war der ehemalige ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender, und genau aus diesem Grund ist er der ehemalige.

Mit Raab glaubt nun ein Stoiber, einen gefunden zu haben, der noch willfähriger und unpolitischer fragen wird als die öffentlich-rechtlichen Angestellten, die ihm und seinen Politikerkollegen sonst zunicken. Er könnte die Rechnung allerdings ohne den Metzgerssohn gemacht haben:

„Ich habe mir gestern bei YouTube nochmal Teile des letzten Kanzlerduells angeschaut. Schon in den ersten zehn Minuten gab es den Versuch eines Pointenfeuerwerks seitens der Moderatoren“, wird Raab auf Spiegel Online zitiert. „Wenn, dann kehrt mit mir die Seriosität zurück!“

 

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter