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Genies nach Maßgabe des deutschen Journalismus


16 Okt

Dass Journalisten sich zwar gerne als Mitglieder der offenbar begehrenswerten Gruppe der bundesdeutschen Intelligenzija sehen, andererseits aber genau dazu nicht im mindesten zählen, wird immer dann besonders deutlich, wenn sie sich mit eben jener beschäftigen, sprich: den Versuch unternehmen, intelligente Menschen zum Thema zu machen. Besonders gerne misslingt dieser Versuch in der Wochenzeitung „Die Zeit“, die Woche für Woche wieder daran scheitert, sich einen intellektuellen Anstrich zu geben. In dieser Woche titelt man in großen roten Buchstaben „10 Genies die unser Leben verändert haben“ (übrigens: diese „wir“- und „unser“-Sagerei ist nicht zu kleinsten Teilen enervierend in diesem Blatt). Wer sind also diese „Genies“ nach Maßgabe der Zeit-Redakteure?

Steve Jobs
Miuccia Prada
Carl Djerassi
Karl und Theo Albrecht
Howard Schulz
Ingvar Kamprad
Joanne K. Rowling
Jamie Oliver
Mark Zuckerberg

Dass man in seligem Gedenken dem jüngst verstorbenen Computerhersteller Steve Jobs ein „Genie“ hinterher ruft — meinetwegen. Aber der Rest der Liste, so voluntaristisch sie ist, gibt doch zu denken, so wenig gibt sie zu denken: Ein Möbelschreiner, zwei Lebensmittelhändler, eine Kinderbuchautorin, ein Koch? Howard Schulz ist Gründer der Kaffeehaus-Kette Starbucks: Ein Genie? Das kann wohl allen Ernstes nur behaupten, wer noch nie einen Starbucks-Kaffee getrunken hat. Nur zwei Personen auf der Liste haben Bleibendes (?) hervorgebracht, nämlich der Facebook-Programmierer Zuckerberg und der Erfinder der Anti-Baby-Pille Carl Djerassi. Ob sie deswegen gleich „Genies“ sind, wäre immer noch zu diskutieren. Die anderen Namen sind nicht weiters diskutierenswert. Was sie eint, ist einzig der Umstand, es zu viel Geld gebracht zu haben. Das erfüllt nur in der Logik solcher Leute den Genie-Tatbestand, die mit dem Portemonnaie, dem Unterleib oder anderen Ausscheidungsorganen zu denken pflegen, sprich: Hamburger Pfeffersäcke. Intelligent geht anders.

Die Liste erinnert in fataler Weise an einen unsäglichen Artikel, der vor nicht allzu langer Zeit im „Nachrichten“-Magazin „Der Spiegel“ zu lesen war (Heft 34/2011):

Vielosoph to go
Wie wird man zur Instanz im Mediengeschäft? Am Aufstieg Richard David Prechts zur intellektuellen Allzweckwaffe lassen sich zehn Regeln ableiten.

Ausschnitt: Wen der „Spiegel“ für intellektuell hält

Richard David Precht (den ich im übrigen durchaus schätze) hat ein paar populärwissenschaftliche Bücher veröffentlicht, die kommerziell recht erfolgreich waren. Das alleine aber macht ihn weder zum Philosoph, noch zum „Vielosoph“ oder sonstwie einer Geistesgröße (anderes dagegen vielleicht schon, aber dahin gelangt der Spiegel-Artikel erst gar nicht). Der „Spiegel“ selbst bot und bietet dem Autor Precht daraufhin seine wertvollen Seiten für das an, was Spiegel-Redakteure für einen „Essay“ halten, um sich dann über die Medienpräsenz ihres eigenen Autors zu echauffieren. In seligen Zeiten, in denen ein ordentliches Fremdwort unter Intellektuellen noch etwas wert war, nannte man ein solches Verhalten bigott. Eine Leserbriefschreiberin brachte es, ebenfalls im „Spiegel“ (36/2011) auf den Punkt:

Bei Ihrem flott-witzig-bissigen Rundumschlag kriegen alle ihr Fett weg – man fragt sich am Ende nur, was das soll. Erst bieten Sie den typischen Mediengesichtern große Plattformen, um dann über sie herzuziehen?

Bemerkenswert am Spiegel-Elaborat war auch die großflächige Abbildung, die offenbar all jene versammelte, die die Redaktion des Magazins für intellektuell satisfaktionsfähig hält. Aber neben wem muss sich da ein intellektuelles Schwergewicht wie Jürgen Habermas abbilden lassen: Ein Fußballlehrer, eine Bischöfin, ein Talkshow-Moderator und ein Teilzeit-reaktionärer Fernsehphilosoph. Deutschland hat wirklich einige Geistesgrößen zu bieten. Gescheite, unglaublich belesene Leute, die aus ihrem enormen Wissensschatz unter Anwendung der Gesetze der Logik (und machmal auch unter Umgehung derselben) zu brillanten Schlüssen kommen. Die „Zeit“- und „Spiegel“-Redakteure könnten vermutlich lebenslänglich suchen, sie würden diese echten „Genies“ nicht finden. Lebenslänglich, das heißt „bei uns“ ja bekanntlich 15 Jahre. Aber anschließend sollte der deutsche Journalismus dringend in intellektuelle Sicherungsverwahrung.

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Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter