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Abhöraffäre: Altbundeskanzler meets Kafka


05 Nov

Bundesarchiv_B_145_Bild-F048646-0033,_Dortmund,_SPD-Parteitag,_Helmut_SchmidtAltbundeskanzler Helmut Schmidt genießt in der Bundesrepublik Deutschland allerhöchstes Ansehen: Eine Universität und ein Journalistenpreis sind nach ihm benannt, er steht im Ruf, auszusprechen, „was andere oft nicht zu denken wagen“. Dafür hat er ein ideales Forum, denn schon seit 1983 ist er Mitherausgeber der Wochenzeitung Die Zeit. In der äußert der Tabakpropagandist Schmidt sich gerne hin und wieder „auf eine Zigarette“ oder gibt mehr oder weniger staatstragende Kommentare von sich.

So auch in der jüngsten Zeit-Ausgabe zur Abhöraffäre. Da gibt der ehemalige Bundesverteidigungsminister, Hamburger Innensenator sowie Bundeskanzler Einschätzungen zum besten, die gerade in Anbetracht der imposanten Ämter, die er in seiner Karriere innehatte, stutzig machen. Er bezeichnet Geheimdienste nämlich insgesamt als „überflüssige Dienste“. Schon als junger MdB habe Schmidt den BND und dessen Gründer Reinhard Gehlen kennengelernt und dabei gewisse Vorurteile gegen die Organisation gebildet:

Später wurde ich in Hamburg Innensenator und damit zugleich Chef des Verfassungsschutzes in der Hansestadt. In dieser Zeit wurde aus meinem Vorurteil gegenüber den Geheimdiensten ein endgültiges Urteil.

Er habe sich auch in seiner Zeit als Bundeskanzler nicht um den Geheimdienst geschert:

Deshalb habe ich mir später als Regierungschef niemals einen Bericht des BND vorlegen lassen.

Doch wenn Helmut Schmidt als Chef der Exekutive und ausführendes Organ der Staatsgewalt die Dienste seiner Zuträger BND nicht goutierte und nicht in Anspruch nahm, warum hat er seine politische Macht dann nicht genutzt und diese offensichtlich völlig nutzlose staatliche Organisationseinheit abgeschafft? Schmidt schreibt in dem Zeit-Artikel noch etwas Bemerkenswertes. Er äußert nämlich den Verdacht, dass die Dossiers seines eigenen Geheimdienstes gar nicht auf objektiven Erkenntnissen, sondern auf den privaten politischen Ansichten von dessen Mitarbeitern beruhe – ein beunruhigender Gedanke:

Ich wusste, die Einschätzung des Geheimdienstes beruhte zum Teil auf dem Abhören von Telefonen, manchmal auf Indizien und oft auf Eindrücken, die stark gefärbt waren durch die politische Präferenz des Berichtenden.

Wes Geistes diese politischen Präferenzen gewesen sein werden, kann jeder erahnen, der weiß, dass der BND-Gründer Gehlen vormals SS-Mann war, seine Mitarbeiter aus seiner ehemaligen Kameradschaft rekrutierte und etwa den Kriegsverbrechern Eichmann und Brunner zur Flucht verhalf und damit der gerechten Strafverfolgung entzog.

Ein Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland hat also eine staatliche Organisation erhalten, die offenbar nur l’art pour l’art betrieb, dabei aber illegal vorging („Jedermann weiß, dass die Auslandsgeheimdienste in aller Welt Dinge treiben, die nach dem dort geltenden Gesetz verboten sind“), vermutlich verfassungsfeindlich war und ausschließlich nutzlose Papiere erstellte, die nur der Förderung der eigenen (rechtslastigen) politischen Ansichten diente. Kurzum: Ein deutscher Kanzler hat zugesehen, wie unter seiner Regierung ein kafkaesker „zweiter Staat“ sich bildete, der ja auch im Rahmen der NSU-Ermittlungen vom Ausland sehr kritisch registriert wurde. Wenn Helmut Schmidt diese Bekenntnisse ernst meint, muss er sich fragen lassen, ob er gegen seinen Amtseid verstoßen hat, in dem er gelobte, Schaden von der Bundesrepublik abzuhalten. Und sein Plädoyer für mehr Gelassenheit kann man auch lesen als Bestätigung all derjenigen Leute, die heute die Abschaffung solcher Dienste fordern.

 

 

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Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter