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ZDF: Alle sehen das Hakenkreuz, nur „Aspekte“ nicht


23 Jul

Der russische Opernsänger Evgeny Nikitin darf wegen eines Fernsehbeitrags im ZDF-Kulturmagazin „Aspekte“ nicht den „fliegenden Holländer“ bei den Bayreuther Richard-Wagner-Festspielen singen. In dem Film waren Archivbilder zu sehen, die ihn mit nacktem Oberkörper als Schlagzeuger einer russischen Punkband zeigen. Die rechte Brust bedeckt dabei ein gigantisches, mit Ornamenten versehenes Hakenkreuz.

Foto: Screenshot

Ein gigantisches Hakenkreuz? So groß war es wohl nicht, denn die Aspekte-Reporter vom ZDF haben es offenbar nicht als solches wahrgenommen. So wird in dem folgenden Interviewausschnitt Sänger Nikitin zwar auf seine Tatoos allgemein angesprochen, nicht aber aufs Hakenkreuz.

Das tätowierte Hakenkreuz hat Nikitin mittlerweile längst mit einem anderen Motiv überstechen lassen und als „Jugendsünde“ bezeichnet — in dem ZDF-Beitrag spricht er allerdings noch von „guten verrückten Sachen“. Ob es sich dennoch um ein Mal handelt, das für die Bayreuther Festspielveranstalter eher ein Schand- als ein Mahnmal darstellt und dessentwegen der Sänger von der Bühne verbannt gehört, muss man wohl auf dem Grünen Hügel selbst entscheiden. Dass gerade in Jugendsubkulturen wie dem Punk das Hakenkreuz als provozierendes Symbol diente, das gerade nicht als rechtsextremistische Äußerung verstanden werden durfte, davon spricht immerhin ein FAZ-Artikel:

Dass Punk-Ikonen wie Siouxsie von der Band „Siouxsie and the Banshees“ oder Sid Vicious eine Zeitlang Hakenkreuz-Armbinden trugen, bedeutete nicht, dass sie sich Rechtsextremismus oder gar die Ideologie der Nazis auf die Fahnen geschrieben hatten. Nein, das Hakenkreuz war einfach als naive Provokation gedacht. Wichtig war der Effekt, den es auf brave Bürger hatte. Das Hakenkreuz verbreitete Angst und Abscheu, und genau darauf hatte man es abgesehen.

Selbst als Statement, das nur um der Provokation willen getan wird, ist ein Hakenkreuz ziemlich dämlich und spricht für die anzunehmende Naivität der Provokateure. Naivität darf man aber auch den ZDF-Journalisten unterstellen. Nicht nur, dass der Aspekte-Beitrag auch handwerklich schlecht gemacht ist: Wenn Nikitin davon spricht, dass man als Rockmusiker ohne Tatoos einfach nicht „serious“ sei, meint er damit nicht „seriös“, wie das ZDF übersetzt, sondern „nicht ernstzunehmen“. In seiner Bilderarmut, die in Ermangelung von Probenbildern aus dem Festspielhaus tatsächlich ärmlich daher kommt und nichtssagende Bilder eines durchs triste Bayreuth spazierenden Opernsängers mit Kauzenpulli präsentiert, ist der Film so banal, dass es schon verwundert, wie Kulturjournalisten gerade jener Nachfrage entsagten, die ihren Beitrag zum „scoop“ hätte machen können. So bleibt, dass „aspekte“ irgendwie für große Aufregung gesorgt hat, ohne dass das Kulturmagazin es selbst so richtig mitbekommen hätte.

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