Wie sensationell ist EHEC wirklich?

07 Jun

Und noch mal EHEC: Die bakterielle Erkrankung scheint so sensationell, dass Tageszeitungen sogar Live-Ticker einrichten zu müssen glauben. Doch ist sie das wirklich? Wie neu ist denn dieses coli-Bakterium und die damit verbundene Krankheit? Der Internetdienst Statista.de (der mit dem Wirtschaftsmagazin brand.eins verbändelt ist) hat dazu die Statistik des Robert Koch Instituts veröffentlicht. Die Statistik erfasst EHEC-Fälle seit dem Jahr 2002. Offensichtlich ist, dass die Erkrankung nicht neu ist und auch die Zahl der Fälle im laufenden Jahr nicht das Niveau der Vorjahre überdeutlich überstiege. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass das laufende Jahr eben noch nicht beendet ist und bei einer epidemischen Ausbreitung der Krankheit die Fallzahlen doch noch signifikant über denen der Vorjahre liegen könnten. Außerdem ist zu erwähnen, dass die Zahl der Todesopfer durch die Krankheit (bislang 10) über denen der Vorjahre liegt, wo die Krankheit offenbar abgeschwächt auftrat. Doch von solcherart Differenzierungen ist in der Berichterstattung der deutschen Tagespresse auffällig wenig zu lesen. Dafür beglückt uns das österreichische Magazin Profil mit folgender Schlagzeile:

EHEC-Erreger ist tödlicher als seine Vorgänger

Tödlicher als tödlich: Das bringt nur die Presse fertig.

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EHEC-Live-Ticker: Der Keim gibt den Takt an

06 Jun

Der Liveticker ist, wenn man so will, die genuine Hervorbringung des Onlinejournalismus. Zwar kennen auch Fernsehnachrichtenkanäle wie n-tv oder N24 durchlaufende („scrollende“) Nachrichtenbänder, und bei Wirtschaftsprogrammen wie Bloomberg-TV ist der Live-Ticker quasi Lebensprinzip. Aber zu publikumswirksamer Reife hat es der Live-Ticker erst im Internet gebracht. Der Live-Ticker ist es, der Sportereignisse und Atomkatastrophen miteinander verbindet. In der dem Journalismus eigenen Sucht, eilig zu sein, soll die einkommende Nachricht möglichst ohne jede Zeitverzögerung, also „live“, auf den Monitoren der Online-User landen.

Die Verbreitung von Live-Tickern auf Internet-Newsportalen kann mit Fug‘ und Recht selbst als viral bezeichnet werden. Dennoch nimmt es wunder, dass ausgerechnet der neuerdings vor allem in Norddeutschland grassierende EHEC-Keim zum Gegenstand der Live-Berichterstattung wird. Denn das Wesen der Live-Berichterstattung ist doch, dass ständig in Bewegung befindliche Ereignisse aktualisiert werden, während im Falle einer Krankheit das hauptsächliche Ereignis darin besteht, dass kranke Menschen unter Quarantäne in Krankenhausbetten liegen. Und spätestens seit Gontscharows Roman „Oblomow“ wissen wir, dass Im-Bett-Liegen keine dramatische Handlung ist. Und dass ausgerechnet über einen tödlichen Keim „live“, also lebendig, berichtet wird, hat auch seine ganz eigene Ironie.

Immerhin bringen uns die EHEC-Liveticker so schöne Notizen wie die des Hamburger Abendblattes:

Darmkeim: Lage im Norden spitzt sich zu

Die Tageszeitung Die Welt weiß „live“ zu berichten:

SPD fordert eigenen Krisenstab für Darmkeim

Unüberbietbar allerdings die Überschrift von oe24.at:

Todes-Keim: Das erste Opfer spricht

So kann Journalismus selbst Tote wieder zum Leben erwecken. Alle anderen lachen sich tot.

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Facebook: Was bringt der Like-Button?

05 Jun

Der Social Media-Dienst Facebook hat Zahlenmaterial darüber veröffentlicht, wie sich der Verkehr auf einer Website durch den „Like“-(„Gefällt mir“)-Button steigern lässt. Das klingt sehr imposant, nämlich so:

  • Social-Media-Paradebeispiel Levi’s erzielte eine 40 prozentige Traffic-Steigerung von Facebook, nachdem im April 2010 der Like-Button auf den Unternehmens-Plattformen implementiert wurde.
  • Im Durchschnitt steigert eine Facebook-Integration den „Referral Traffic“ um 300 Prozent.
  • User, die sich etwa via Facebook auf der Huffington Post einloggen, sehen sich im Mittel 22 Prozent mehr Content an und bleiben acht Minuten länger auf der Website.

Der Suchmaschinenexperte Danny Sullivan vom Internetdienst Search Engine Land hat sich diese, von Facebook selbst veröffentlichten Zahlen, mal genauer angesehen:

Zunächst wurde Search Engine Land übermittelt, der Jeans-Hersteller hätte stolze 40 Prozent totale Traffic-Steigerung durch die Implementierung des Like-Buttons erzielt. Dieser Wert muss sofort bei jedem Skepsis erzeugen, der sich über die Funktionalität des Like-Buttons und über Optimierungsprozesse von Traffic im Klaren ist. Die Recherche Sullivans ergab, dass diese Steigerung des Traffics „lediglich“ im Mai 2010 von Facebook auf Levi’s-Plattformen erzielt wurde. Da dieser Facebook-Traffic zuvor aber lediglich bei 1 Prozent lag, macht das die Steigerung dennoch bemerkenswert.

Eine bemerkenswerte Steigerung von 1% auf 1,4%! Nicht erst in Zeiten des Onlinejournalismus muss man immer auf der Hut sein, wenn Journalisten mit Prozentzahlen operieren. Erst die Vergleichszahl macht deutlich, wie wenig aussagekräftig die angeblich imposante Steigerung eigentlich ist. Das darf andererseits nicht darüber hinwegtäuschen, dass gerade journalistische Websites vom „Gefällt mir“-Button wirklich profitieren können:

Im Fall der News-Portale von NBC, der Washington Post und der Huffington Post ist Facebooks Sozialkomponente enorm wichtig. So ist das Social Network im Nachrichten-Sektor mittlerweile der zweitwichtigste Traffic-Bringer, hinter Google. Besonders Informationsplattformen können also von einer überlegten Social-Strategie profitieren. Dabei hat sich der Like-Button in der dynamischen Verteilung von Content als nützliches Tool erwiesen.

Der Like-Button ist also auch hier nur ein Werkzeug, um die Aufmerksamkeit fürs eigene Angebot zu steigern. Eine eigene Facebook-Präsenz und aktive Teilnahme in der Social Community sind andere Möglichkeiten, um den Dienst Facebook journalistisch zu nutzen.

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Wer Flashmob sät, wird Mob ernten

04 Jun

Unfälle begleiten das Leben, sind aber bislang hauptsächlich aus dem Straßenverkehr oder in Haushaltssituationen bekannt (NB: Dass die staatliche Finanzsituation als „Haushaltsunfall“ von wortspielaffinen Journalisten  bezeichnet würde, ist vermutlich nur eine Frage der Zeit). Jetzt gibt es „Unfälle“ auch im Web 2.0, was der Metapher von der Daten-Autobahn weiter Futter gibt: Vom „Facebook-Unfall“ ist die Rede, weil ein 15-jähriges Hamburger Mädel zum Geburtstag auf Facebook gleich die gesamte Netz-Community eingeladen hat. Verunfallt sei sie, weil es mutmaßlich unabsichtlich geschah. Der Unfall wird gleichzeitig auch als „Party“ bezeichnet, für manche aber auch für eine „Panne“ gehalten. 14.000 Facebook-Nutzer sollen sich nach Meinung einiger Journalisten für das Fest angemeldet haben, andere gehen von 15.000 Festgästen aus, oder waren es doch, wie das gleiche Blatt vermeldet, 16.ooo Leute? Oder unter Umständen, wie eine Zeitung der gleichen Verlagsgruppe meint, nur 7.000? Egal, gekommen sind dann jedenfalls hunderte. Oder eventuell auch tausend. Oder, wie ein Nachrichtensender weiß, 1.500 Geburtstagsgäste. Nein, pardon, es müssen 1.600 Gäste gewesen sein, verlautbart eine andere Zeitung. Die Party fand übrigens in Wahrheit gar nicht statt, da sie zuvor abgesagt worden ist, wie mancherorts zu lesen ist. Die dennoch kamen, taten es auf die prosaischste Weise: „Sie kamen mit Bussen und Bahnen, mit dem Auto und zu Fuß“, ist irgendwo zu lesen. Auch über den weiteren Verlauf der Festivität ist verschiedenes bekannt geworden: Einige melden, dass von den hundert bis 1.600 Gästen zuerst „friedlich gefeiert“ worden sei. Andere berichten, es „ging vor Thessas Haus ordentlich die Post ab“. Die F.A.Z. weiß von „Ausschreitungen“ und kolportiert: „Es flogen Steine, Flaschen und Feuerwerkskörper. Partygäste nahmen Vorgärten auseinander, Zäune wurden niedergetrampelt“. Wurden nun „bengalische Feuer“ gezündet oder, wie das Hamburger Abendblatt weiß, „Steine und Böller“ geschmissen? Am Ende kam es gar, wie heute.at meldet, zu „Verwüstungen ihres Elternhauses“. Und auch Spiegel Online weiß zu berichten, dass es zu „Festnahmen und Verwüstungen rund um das Elternhaus“ gekommen sei, wobei noch zu klären wäre, ob es im Rahmen der „Festnahmen rund um das Elternhaus“ zu handschellenbewehrten Zwangsabführungen von Stiefmütterchen und Azaleen gekommen ist.

Der 16. Geburtstag: „Das war und ist traditionell ein wichtiges Datum im Leben eines Teenagers“, philosophiert das Hamburger Abendblatt und dichtet weiter: „Das Szenario ist fast so alt wie Facebook selbst: Ein angehendes Geburtstagskind plant eine Party …“ So alt wie Facebook selbst: Das sind dann ja schon stramme sechs Jahre, also beinahe biblisch.

Was immer sich dort in Hamburg ereignet haben mag: Zeitungsleser und Online-Newsportalleser werden es nie erfahren. Denn offenkundig war keiner derjenigen Journalisten, die darüber geschrieben haben, selbst vor Ort und hat sich ein Bild gemacht. Es ist eine Berichterstattung vom Hörensagen und vom Abschreiben, sie lebt von eigenem Dazutun, dichterischer Ausschmückung, Übertreibung und reicht bis zu grober Fälschung. Ein Unfall fürwahr, aber keiner auf Facebook, sondern einer im deutschen Blätterwald. Wer Flashmob sät, wird Mob ernten: Aber nicht den feiernden, sondern den schreibenden.

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Fernsehfriedhof: Der Anrufsender 9Live lässt’s nicht mehr klingeln

04 Jun

9live_bilderraten__1385812p“Kein Schwein ruft mehr an”, titelt geistreich die heutige tageszeitung (taz) zum Ende des Anrufsenders 9live, der seit vergangenen Mittwoch zwar immer noch auf Sendung ist, seines Hauptsendeinhalts  aber verlustig gegangen ist, nämlich der Veranstaltung unsäglicher Anrufspielchen, die menschlichen Geist und Portemonnaie gleichermaßen beleidigten. Fernsehgeschichte hat 9live dennoch geschrieben: Es handelte sich um den ersten privaten Fernsehsender Deutschlands, der seinen Erfolg nicht mehr an Einschaltquoten maß, sondern an Anruferzahlen. Denn mit denen verdiente der Sender sein Geld, wie quotenmeter.de drastisch darstellt:

Um diese möglichst hoch zu halten, entwickelten die Verantwortlichen immer neue Spiele, Bilderrätsel und Aufgaben, die es für die Zuschauer zu lösen gab. Dabei standen stets zwei Varianten besonders im Fokus: Entweder war die Frage sehr einfach, aber die Durchstellung eines Kandidaten dauerte ewig oder die Aufgabe war schier unlösbar, weil es zu viele mögliche Antworten oder einen unklaren Lösungsweg gab. Nicht zuletzt wegen diesen Methoden stand der Sender fast pausenlos in der Kritik. Betrug, Erschleichen von Telefongebühren, unzulässiges Antreiben der Anrufer und vieles mehr wurde den Machern vorgeworfen, die immer wieder mit konzeptionellen Änderungen und Warnhinweisen gegenzusteuern versuchten.

“Transaktionsfernsehen” nannten das seine Macher. Gemeint können damit auch die Banktransaktionen der Einspielergebnisse auf die Bankkonten der Eigentümer sein. Denn erfolgreich war der Sender durchaus, jedenfalls kommerziell. Über Jahre war das Programm die Cashcow der ProSieben-Sat1-Gruppe.  Dass 9live allerdings aus “tm3” hervorgegangen ist – der erste ausgewiesene reine “Frauensender”, der mit durchaus avantgardistischen Elementen Zielgruppenfernsehen machen wollte – demonstriert nachhaltig, wie schnell man im deutschen Fernsehen wie tief sinken kann (man erinnere sich nur an das traurige Schicksal von “Vox”). Die Welt stellt dar, welchen Lauf die geschäftliche Entwicklung endlich nahm:

Seit der Verschärfung der Regeln für TV-Gewinnspiele wuchs die Zahl der Verfahren, während die Umsätze des Senders schrumpften – allein im ersten Quartal 2011 gingen sie um gut ein Drittel auf 9,2 Millionen Euro zurück.

Seit vergangenem Mittwoch hat es sich ausgeklingelt. Fortan zeigt 9live brave und biedere Serien in Wiederholung. Die taz wundert sich:

Jetzt hat der Sender seinen "Live-Betrieb", so die Umschreibung für die schlichtmoderierten Zock-Formate, eingestellt. Seit Mittwoch spielt 9Live brave TV-Konserven aus dem Konzernarchiv und macht damit zum ersten Mal so etwas wie – Programm.

9Live jetzt ohne Telefongewinnspiele: Kein Schwein ruft mehr an – taz.de

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Der Untergang der „Titanic“

01 Jun

Es ist schon wahr, was der fränkische Dichter Jean Paul Richter einst schrieb: „Es ist viel schwieriger, keinen Witz zu machen, als einen“. Aber im Falle des ehemaligen Satiremagazins „Titanic“ aus Frankfurt/Main ist schon dramatisch, zu welchen Aberrationen eine um den Witz nur bemühte Redaktion fähig ist. Ich jedenfalls habe mir kürzlich nach sehr langer Zeit wieder einmal eine Ausgabe dieses selbsterklärt „endgültigen Satiremagazins“ gekauft (standesgemäß am Bahnhofskiosk), und was soll ich sagen: Ich fand nichts zu lachen, auch nichts zu schmunzeln, und selbst ein beharrlich müdes Lächeln zauberte das Blatt mir nur widerstrebend ins Gesicht. Wäre nicht (auf der vorvorletzten) Seite das fiktive Interview mit Grünen-Ministerpräsident Kretschmann im Stile der christlichen Zeitschrift Chrismon, Kauf und Lektüre wären völlig vergebens gewesen. Die Humorkritik von „Hans Menz“ war gewohnt subtil und hatte stellenweise die alte Souveränität (wiewohl zu fragen ist, wer sich nach dem Dahinscheiden von Robert Gernhard dieses Pseudonyms bedient). Der Rest erinnerte eher an den fiktiven Humor der Zeitschrift Eulenspiegel oder, die Älteren werden es noch kennen, des Magazins Kowalski und war, um ein Wortspiel zu bemühen, „end-gültig“.

Wie einfach dagegen Humor sein kann, beweist die Realität in Gestalt des ZDF-Morgenmagazins. Da moderiert die nur leicht überschätzt Dunja Hayali zusammen mit einer Zeit-Redakteurin die Presseschau und hält dazu ein Tageszeitungstitelblatt nach dem anderen in die Kamera. Dann kommt sie zum gestrigen Urteils-Spruch in Sachen Vergewaltigungsprozess des Wettermoderators Jörg Kachelmann und sagt die beeindruckenden Worte:

Das können wir auch noch mal kurz reinhalten …

Humor kann so einfach sein. Ich jedenfalls habe laut gelacht.

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Europäisches Journalismus-Observatorium: Journalisten mogeln im WWW

30 Mai

Das Europäische Journalisten-Observatorium (EJO) hat sich in einer international-vergleichenden Studie mit der Frage beschäftigt, wie europäische Medien ihr Publikum online an redaktionellen Prozessen teilhaben lassen. Tatsächlich haben Redaktionen mittlerweile einige Transparenz-Instrumente eingeführt:

Jedoch überwiegen Instrumente, die schnell zu installieren und ohne großen Betreuungsaufwand zu pflegen sind – Kommentarfunktionen und Links zu sozialen Netzwerken werden inzwischen von fast allen untersuchten Medien angeboten, ebenso stellen sich die Redaktionsmitglieder mit Foto vor. Instrumente, die den Redaktionen mehr Engagement und insbesondere einen echten Dialog mit dem Publikum abverlangen, sind jedoch Mangelware – nur selten leisten sich europäische Medien Ombudsleute, Leserbeiräte oder installieren gar einen „Button“, so dass Nutzer per Mausklick Fehler in journalistischen Texten markieren können. Fazit: Viele europäische Medien setzen offenbar vor allem aus Marketing-Gründen Transparenz-Instrumente ein, die dem Publikum eher die Illusion von Teilhabe an journalistischen Prozessen geben denn tatsächlich Dialog ermöglichen.

 

Den überaus beliebten “Daumen hoch” von Facebook lässt sich praktisch keine Redaktion entgehen: Das Transparenzwerkzeug wird hier, so ist zu vermuten, als Marketing-Werkzeug zur billigen crossmedialen Werbung missbraucht. Aufwändigere Maßnahmen wie einen Ombudsmann oder einen, arbeitsintensiven, Redaktionsblog leisten sich dagegen nur wenige Medienhäuser. Einen Leserbeirat haben in ganz Europa gar nur zwei Redaktionen: Der öffentlich-rechtliche Sender RTÈ aus Irland und die deutsche Bildzeitung: Deren “Leserbeirat” scheint allerdings auch eher ein wohlfeiles Werbeorgan zu sein.

Deutlich wird auch, dass insbesondere jene Transparenzinstrumente genutzt werden, die eher kostengünstig und ohne großen Betreuungsaufwand installiert werden können – aufwändigere Angebote etablieren die untersuchten Medien nur vereinzelt.

Außerdem fehlen den Forschern vom EJO Webcasts von Redaktionssitzungen, Crowdsourcing, sprich: Einbindung von Lesern bei der Recherche sowie die Publikation eines redaktionellen Ethik-Kodexes. Das Europäische Journalismus-Observatorium ist ein Medienforschungsinstitut an der Universität der italienischen Schweiz im Tessin. Das EJO beobachtet Trends im Journalismus und in der Medienbranche und vergleicht Journalismus-Kulturen in Europa und den USA.

Mogelpackung im WWW? « EJO – European Journalism Observatory

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Wenn gute Nachrichten schlechte werden

30 Mai

Manchmal sind auch gute Nachrichten eben schlechte (oder: schlecht geschriebene). Zum Beispiel diese Meldung in der Süddeutschen Zeitung:

Deutsche rauchen immer weniger Zigaretten

Was das eigentlich bedeuten soll, kann auch dieser neuerliche Fall von Immermehrismus nicht sagen: Wenn die Deutschen wirklich „immer“ weniger rauchen, werden sie dann irgendwann zu Minus-Rauchern? Oder heißt „immer weniger“ soviel wie „manchmal mehr“ oder „selten alles“? Wir werden es nie erfahren.

P.S.: Ich weiß, „eigentlich“ soll man ja eigentlich auch nicht schreiben. Adorno, „Jargon der Eigentlichkeit“ und so …

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Ein Desaster namens PR-Desaster

28 Mai

Castle_Romeo/WikimediaUngern gibt man Journalisten vorbehaltlos recht, aber in diesem Fall ist das Desaster, das Tom Hillenbrand auf Spiegel Online beschreibt, ein echtes: Das Desaster namens “PR-Desaster”:

Wenn im Golf von Mexiko eine BP-Ölplattform absäuft, ist das nicht nur eine Umweltsauerei, schlampige Ingenieursarbeit oder Managementversagen. Es ist vor allem, da sind sich „Süddeutsche“, „Welt“ und SPIEGEL ONLINE einig, ein „PR-Desaster“. Auch der Playstation-Datenklau bei Sony „entwickelt sich“, schreibt etwa „Zeit Online“ zu einem, na klar, „PR-Desaster“. Selbst bei epochalen Katastrophen wie Fukushima wird ausführlichst diskutiert, ob die Presseabteilung des Energiekonzerns Tepco nach der multiplen Kernschmelze und dem wochenlangen Verschwinden von Konzernchef Masataka Shimizu eigentlich einen ordentlichen Job gemacht hat. Als ob das irgendjemanden interessieren würde.

Jedoch, ein PR-Desaster im eigentlichen Sinne des Wortes wäre es ja nur dann, wenn die Pressestellen versagt oder die PR-Beauftragten Mist gebaut hätten. Das ist in den zitierten wie den vielen anderen Fällen aber zumeist nicht der Fall:

Das PR-Desaster ist neuerdings überall, obwohl die meisten Katastrophen weder durch Öffentlichkeitsarbeit ausgelöst noch gelöst werden. Der amerikanische Krisenberater Eric Dezenhall bringt es am Beispiel BP auf den Punkt: „Alle taten so, als ob das eine PR-Krise wäre. Aber die war nie der Kern.“ Kern des Problems war vielmehr ein sprudelndes Leck, 1500 Meter unter dem Meer.

Noch eine andere irrige Annahme steht hinter der Redeweise vom “PR-Desaster”: Nämlich, dass eine “gute” PR alles heilen könne. Deswegen gibt es heute eine erkleckliche Anzahl von PR-Agenturen, die sich auf “Krisen-PR” spezialisiert haben: Wenn die Krise erst mal da ist, wird ein Kommunikationprofi gerufen, der das Schlimmste verhüten soll – dabei ist das Schlimmste längst eingetreten. Die überwiegende Anzahl von Desastern, die sich ereignen, bedürfen keiner PR, sondern der Abhilfe. Oder gar der Prävention, damit es zum Desaster gar nicht mehr kommt.

Nur wenn PR-Agenturen den Dienst versagen;  wenn sie Botschaften noch schlimmer machen, als sie eh schon sind; wenn sie zur schlechten Tat noch den schlechten Sound beifügen; dann darf mit Fug’ und Recht von einem PR-Desaster gesprochen werden. Spiegel Online führt hier die völlig mißlungene PR-Aktion von Facebook gegen Konkurrenten Google an:

Die von dem Social Network beauftragte PR-Agentur Burson-Marsteller brachte das Kunststück fertig, ihren Kunden ausnehmend schlecht zu beraten und ihm eine verdeckte Schmutzkampagne gegen den Konkurrenten Google aufzuschwatzen. Als die Sache dann aufgrund stümperhafter Durchführung aufflog und alle Beteiligten ihr Gesicht verloren, patzte Burson auch noch beim Krisenmanagement und zensierte seine eigene Facebook-Seite. Das ist endlich mal ein PR-Desaster, das den Namen auch verdient.

Fukushima dagegen (oder Brent Spar, oder der Niedergang der FDP, oder das Ozonloch, oder oder oder) sind keine PR-Desaster, sondern wirkliche. Sie brauchen keine PR, und klammheimlich träumen wir von einer Welt ohne all diese PR-Lümmel, die meinen, jede Katastrophe durch ein bisschen Lug’ und Trug, durch Manipulation und im Zweifel ein bisschen Bestechung heilen zu können. Die PR ist das Desaster, helfen kann sie dabei nicht.

Unwort „PR-Desaster“: Eine Katastrophe, diese Kommunikation – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Wirtschaft

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Wie Google News mal beinahe eine Airline zum Absturz brachte

27 Mai

Wenn heute Zeitungen über ihren eigenen Niedergang klagen, dann hat es vielleicht auch mit Google News zu tun. Der schnelle Zugriff auf die aktuelle Nachrichtenlage wird heute gerne über diesen Nachrichten-Suchdienst erledigt. Google stellt übrigens keine eigenen Texte ins Netz und hat auch keine journalistische Redaktion, sondern nur einen Algorithmus, der aus frei zugänglichen Internetseiten von Zeitungen und Nachrichtendiensten eine Auswahl errechnet und etwa alle 10 Minuten aktualisiert. Es existiert auch eine Archivsuche, mit der etwa in älteren Ausgaben von New York Times und Washington Post recherchiert werden kann. Doch genau deswegen kam es im Jahr 2008 zu einem folgenschweren Zwischenfall, der beinahe die amerikanische Fluggesellschaft United Airlines zum Absturz gebracht hätte, wie auf Wikipedia nachzulesen ist:

Am Sonntag dem 7. September 2008 indexierten die Computer von Google News einen Artikel aus dem Jahr 2002 von der Internetseite der Zeitung Sun-Sentinel, einer Schwesterseite der Chicago Tribune, die den Artikel eigentlich publizierte. Die Überschrift des Artikels lautete „United Airlines Files for Bankruptcy“. Die Seite beinhaltete keine Angabe zum Datum der Veröffentlichung. Nach Angaben der New York Times schickte am darauf folgenden Montagmorgen der Informationsdienstleistner Income Security Advisors, dem Nachrichtendienst Bloomberg verschiedene Artikel über Bankrott-Meldungen. Darunter wahrscheinlich auch der Artikel über die United Airlines aus dem Jahr 2002. Bloomberg übernahm die Meldung und veröffentlichte sie. Binnen weniger Minuten brach der Aktienkurs der Fluggesellschaft ein und verlor mehr als 1 Milliarde US-Dollar an Wert. Der Handel der Aktie wurde daraufhin vorübergehend ausgesetzt. Der Eintrag war nicht auf der Startseite von Google News verlinkt, konnte aber durch die Suchfunktion gefunden werden.

Google rechtfertigte sich laut einem Artikel der New York Times damit, dass sie ja nichts dafür könnten, wenn eine Zeitung einen Artikel mit keinem oder einem falschen Datum versehe. Ein Artikel der  Süddeutschen Zeitung sieht allerdings auch noch andere Kritikpunkte:

Dabei sehen Kritiker eine der Gefahren für den Journalismus bei Google. Der Konzern ziehe den Großteil der Werbegelder im Internet ab, produziere aber selbst keine Inhalte. Dessen ungeachtet setzen selbst Medienkritiker Hoffnungen auf Google: Seit die Unabhängigkeit der New York Times wieder und wieder durch Börsenspekulanten und Konkurrenten angegriffen wird, wird Google als möglicher Retter genannt: Wäre es nicht angebracht, dass die Stiftung von Google die Zeitung kauft und als gemeinnütziges Projekt weiter führt? Google ist angeblich nicht interessiert, Inhalte zu besitzen.

Aber es geht den Google-Kritikern nicht nur um Inhalte. Besäße der Internetsuchdienst eine echte Redaktion mit echten Journalisten, dann hätte der Fehler auffallen müssen: Ein schöner Beleg für die in der Journalismusforschung gerne angeführte „Gatekeeper“-Funktion von Journalisten. Es gibt auch noch eine, ebenfalls von der SZ angeführte, Pointe der ganzen Geschichte:

Die Ironie der Geschichte, die kein Mensch aktualisiert, redigiert und auf der Website veröffentlicht hat, ist laut Wall Street Journal die, dass anschließend die Aktie von United an der Börse teilweise auch ohne Zutun von Menschen verkauft wurde – Computerprogramme stoßen verlustreiche Aktien angeblich von alleine ab. Die Enthüllung und ihre Konsequenz – alles lief vollautomatisch.

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Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter