Wer es mit einer Neuerscheinung auf eine Bestsellerliste bringen möchte, sollte als Autor männlichen Geschlechts sein, er besser nicht aus Deutschland kommen und seinem Werk einen Titel geben, der aus höchstens drei Wörtern besteht. Zu diesem Ergebnis kommt eine statistische Auswertung von Bestsellerlisten der vergangenen fünfzehn Jahre, die Prof. Dr. Hektor Haarkötter im Rahmen eines literatur- und medienwissenschaftlichen Forschungsprojekts an der Universität Stuttgart durchgeführt hat. Untersucht wurden Belletristikbestsellerlisten des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL zwischen 2003 und 2012 sowie die Top-100-Bestsellerlisten aus dem „Amazon Bestseller-Archiv“ zwischen 1998 und 2013. Die Bestseller-Liste des SPIEGEL enthält die zwanzig meistverkauften Buchtitel, wie sie das Fachmagazin BUCHREPORT durch elektronische Abfrage der Warenwirtschaftssysteme von über 500 ausgewählten Buchhändlern ermittelt. Die Amazon-Bestenliste basiert auf den Verkaufszahlen des Onlinehändlers. Hier wurden zusätzlich die Kundenbewertungen miterhoben, um Aufschluss darüber zu erhalten, inwieweit die Bewertungen anderer Leser zu Kaufentscheidungen führen können. Die Amazonliste unterscheidet, anders als der SPIEGEL, nicht nach Belletristik und Sachbuch. Insgesamt wurden über 3.600 Positionen in 19 Kategorien ausgewertet. Neben Titel und Untertitel wurde unter anderem nach Namen und Herkunft des Autors, eventueller Doppelautorschaft, Buchpreis, Verlag, Seitenzahl und Sprache gefragt. Nach dieser Erhebung wurden im Untersuchungszeitraum von den 20 meistverkauften Büchern mehr als sechzig Prozent von Männern verfasst und nur 39 Prozent von Frauen. Doppelautorenschaften spielen bei Bestsellern keine Rolle. Ein Blick auf die Top 100-Liste verschärft dieses Bild sogar noch. Danach gab es Jahre, in denen es nur 18 Prozent der von Frauen verfassten Titel auf die Bestenliste geschafft haben.
Deutsche Bestseller-Autoren? Eine Minderheit
Auch was die Nationalität der Bestsellerautoren angeht, ist das statistische Bild eindeutig: Von den 3.141 Autoren, die es im Untersuchungszeitraum unter die zwanzig meistverkauften Bücher geschafft haben, kamen nur 29 Prozent aus Deutschland. In der Top 100-Liste hielten sogar nur 27 Prozent deutsche Autoren Einzug. Den Löwenanteil machten englischsprachige Autoren mit 43 Prozent. Dabei stammten 29 Prozent der Bestsellerautoren auf dem deutschen Buchmarkt aus den USA und 14 Prozent aus Großbritannien. Wie sollte der Titel eines Bestsellers beschaffen sein? Statistisch wäre zu raten, einen Titel zu wählen, der aus maximal drei Wörtern besteht. 57 Prozent der Titel, die es unter die besten Drei geschafft haben, zählten bis zu höchstens drei Wörtern, zum Beispiel „Bis(s) zur Mittagsstunde“, „Tausend strahlende Sonnen“ oder „Neue Vahr Süd“. Ein-Wort-Titel nehmen dabei auch insgesamt den ersten Platz ein, mehr als ein Viertel aller Bestseller hat Titel, die nur aus einem Wort bestehen, zum Beispiel „Verachtung“, „Schoßgebete“ oder „Tintenherz“. An zweiter Position finden sich Zwei-Wort-Titel wie „Der Anschlag“ oder „Der Schwarm“. Titel mit neun Wörtern wie „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ sind auf der Bestsellerliste die große Ausnahme.
Transmediale Wirkung
Der Preis scheint bei der Platzierung auf der Bestsellerliste für die Käufer durchaus eine Rolle zu spielen. Umgekehrt scheinen die Verlage die Platzierung nicht nutzen zu können, um die Preise in ihrem Interesse nach oben verändern zu können. Der Durchschnittspreis der Top 100-Bücher liegt bei 13,40 Euro und hat sich in 15 Jahren nur um 1,22 Euro erhöht. Insgesamt haben Büchern im unteren bis mittleren Preisbereich den größten Anteil in allen Jahrgängen. Bücher auf Listenplatz 1 der SPIEGEL-Bestsellerliste weisen sogar im Durchschnitt den niedrigsten Preis aller Bestseller auf.
Die Kaufentscheidung für ein bestimmtes Buch hängt selbstredend nicht ausschließlich von Autor oder Titel ab. Was die Statistik aber untermauert, sind anderweitige Annahmen über die Buchmarktentwicklung, denenzufolge dieser Markt sich einerseits ständig weiter internationalisiert und andererseits in starkem Maße transmedial inszeniert wird. Die Internationalisierung wird durch den hohen Anteil nichtdeutscher Autoren und Titel auf den deutschen Bestsellerlisten belegt. Die Transmedialisierung zeigt sich auch in dem hohen Anteil von Titeln, die gleichzeitig durch Film- oder Gaming-Auswertungen Marktpräsenz aufweisen. So sind die am häufigsten in den Bestseller-Titeln der vergangenen Jahre vorkommenden Hauptwörter „Potter“, „Panem“ und „Tribute“.
Bestsellerforschung ist ein in der Literaturwissenschaft nach wie vor unterentwickeltes Arbeitsfeld, was einerseits methodische Gründe und andererseits auch mit gewissen kulturellen Vorurteilen gegenüber der „Ware“ Buch zu tun hat. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein ging man davon aus, dass vor allem die literarische „Qualität“ für Kaufentscheidungen ausschlaggebend ist. Es war der der Frankfurter Schule nahestehende Soziologe Siegfried Kracauer, der in den 1920er Jahren darauf hinwies, dass der Buchverkauf mehr mit den sozialen Verhältnissen der Leser als mit dem Inhalt eines Werkes zu tun haben könnte. Die SPIEGEL-Bestsellerliste gibt es erst seit 1961. Seit unter dem Schlagwort „Digital Humanities“ auch in den Geisteswissenschaften vermehrt quantitative Methoden zum Einsatz kommen, werden auch Bestseller zum Forschungsobjekt der Literaturwissenschaft, die sich auf diese Weise zur Kommunikations- und Medienwissenschaft hin öffnet.