Archive for August 11th, 2010

Wie darf man das öffentlich-rechtliche Fernsehen kritisieren?


11 Aug

Dass zum Jubiläumsjahr der ARD, die vor 50 Jahren aus der medialen Taufe gehoben wurde, auch kritische Nachfragen zum Programm evoziert wurden, dürfte eigentlich kaum überraschen. Die Reaktionen der angesprochenen Sender im ARD-Verbund waren zum Teil nervös. Auftakt machte die Bildzeitung mit ihrem „großen ARD-Report„. Untertitel: Skandale, Vetternwirtschaft, Gebühren-Verschwendung. Allerdings war diese Darstellung in dem Boulevardblatt durchaus prätentiös oder, wie Michael Ridder auf epd.medien schrieb:

Es wäre müßig, auf diesen unappetitlichen Mix aus Ressentiments, Halbwahrheiten und aufgewärmten Alt-Skandalen näher einzugehen.

Warum eigentlich nicht näher darauf eingehen? Auch der WDR als größte Sendeanstalt der ARD ging in seinen Stellungnahmen zu der Serie nur auf wirklich strafwürdige Vorwürfe ein. Aber dass Skandale zurückliegen, bedeutet nicht, dass sie nicht Skandale sind. Dass Vorwürfe schon länger im Raume stehen, bedeutet nicht, dass sie ausgeräumt sind. Hier sind öffentlich-rechtliche Sender als öffentliche Unternehmen in einer anderen Pflicht als private, denn die Öffentlichkeit hat ein berechtigtes Interesse. Darum ist es schon verwunderlich, wenn beispielsweise die WDR-Intendantin Monika Piel aus dem Umstand, dass der WDR neben Gebühren- ja auch Werbeeinnahmen habe, schließt, es handle sich bei der von ihr geführten Anstalt quasi um ein privates Unternehmen:

Der WDR ist nicht aus Steuermitteln finanziert – wie die Bundesregierung, sondern ein Medienunternehmen, das zum Teil aus Gebühren und zum Teil aus Werbeeinnahmen finanziert wird. Bei anderen Unternehmen – wie etwa bei BILD – werden die Gehälter der Chefs auch künftig nicht öffentlich bekannt sein.

Die Bezüge nicht zu veröffentlichen, war wohl erwogen, wie man inzwischen weiß, da der WDR die Bezüge seiner leitenden Angestellten auf gesetzlichen Druck hin veröffentlichen musste. Und dass diese Bezüge exorbitant sind, während gleichzeitig die Freien Mitarbeiter des WDR, die über 90 % des Programms herstellen, seit Jahren und Jahrzehnten Reallohneinbußen hinnehmen müssen, ist sehr wohl erklärungsbedürftig. Und was als „Geschäftsbericht 2009“ im Internet veröffentlicht wurde, ist kein ebensolcher, sondern vielmehr eine reichbebilderte Werbe-Selbstdarstellung, die auch nicht die elementaren Informationsbedürfnisse einer interessierten Öffentlichkeit abdeckt. Dass die Produktionsbedingungen bei ARD-Produktionen, die von Freiberuflern und privaten Produktionsfirmen durchgeführt werden, häufig jenseits aller Tarif- und Arbeitsschutzbedingungen sind und hier ein Manchesterismus durchexerziert wird, wie er einem öffentlichen Unternehmen als allerletztes frommt, ist durchaus fragwürdig und wartet noch auf Antwort. Auch die Anfrage der Bildzeitung, warum eigentlich zu den Olympischen Spielen in China neben dem NDR-Intendanten auch zwei Programmdirektoren sowie ein Produktionsdirektor gereist ist, wiewohl doch keiner von ihnen von den Spielen berichtet hat, ist luzide und wartet auf echte Erklärung.

 

FAZ-Streit um öffentlich-rechtliches Internet-Angebot

Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat kritische Notate bezüglich ARD. Anlass ist ein Gutachten, das der frühere Verfassungsrichter Papier erstellt, in welchem er die Frage beantworten sollte, ob die Onlineangebote von ARD und ZDF „presseähnlich“ seien oder nicht. Papiers Urteil war schon recht überraschend, er stellte nämlich fest, dass vielmehr die Presse im Internet ihm sehr rundfunkähnlich erscheine. Das war freilich gar nicht die Frage, die sich stellte, aber sei’s drum. Auch ein solches Gutachten darf kritisiert werden. Und es ist nicht hilfreich, die Kritik, wie ARD-Vorsitzender Peter Boudgoust es getan hat, mit dem Hinweis abzutun, Zeitungen hätten ja „verlegerische Interessen“, die ihrem, „Bemühen um journalistische Wahrhaftigkeit“ im Wege stünden. Ein Totschlagargument: Kein Printmedium dürfte demnach künftig noch das Gebahren öffentlich-rechtlicher Sender kritisieren, da „verlegerische Interessen“ immer im Spiel sein könnten. Aber selbst wenn dem so wäre, bleibt die Kritik bestehen. Denn aus welchen (womöglich unlauteren) Gründen eine Kritik auch geäußert wird, ändern doch diese Gründe nichts am Inhalt der Kritik.

 

Die Zeit: Verblödung durchs Fernsehen

In der Wochenzeitung Die Zeit trumpfte Jens Jessen auf. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk leiste nicht, wofür er Gebühren bekomme, ist die These Jessens, der in Kollegenkreisen schon als „schlechtester Feuilletonchef seit 30 Jahren“ bezeichnet wurde. Tatsächlich steht in seinem Beitrag viel Unsinn und vieles, was mehr auf die Einbildung als die Bildung dieses Autors schließen lässt.

Es ist absurd genug, dass überhaupt die Quote von Nachrichtensendungen gemessen wird.

Was ist daran absurd? Das Fernsehen ist ein Massenmedium, es rechtfertigt seine Existenz ausschließlich dadurch, dass es ein massenhaftes Interesse bespielsweise nach Nachrichteninformation gibt. Eine Nachrichtensendung für eine Minorität ist, jedenfalls auf diesem Kanal, barer Unsinn. Auch einem anderen weitverbreiteten Missverständnis ist herr Jessen aufgesessen, nämlich dass an der Misere des öffentlich-rechtlichen Programms das Privatfernsehen schuld sei.

Wenn es eine Ursache gibt, dann liegt sie in der Konkurrenz der privaten Sender, die den Quotendruck hergestellt hat, der als Mutter aller Missstände gelten kann.

Oh nein, die Tendenzen, die heute bemängelt werden, hat es schon lange gegeben, bevor ein erster Privatsender in Deutschland an den Start ging. Die Privatisierung der öffentlich-rechtlichen Produktionsmethoden, die schleichende Boulevardisierung des Hauptprogramms, die Verschiebung anspruchsvoller Sendungen auf die hinteren Plätze des Programmschemas zugunsten eines reinen Unterhaltungsprogramms: Das alles sind Maßnahmen, die schon in den 70er Jahren abgeschlossen waren. Sehr schön ist das in einem älteren Spiegel-Artikel aus dem Jahr 1980 nachzulesen.

Auch die Frage nach der Verblödung durch das Fernsehen sollte endlich einmal kontrovers diskutiert werden. Wer belegt eigentlich, dass der Zuschauer nur durch den Konsum blöder Sendungen selbst blöde wird? Was bedeutet das eigentlich: „Verblöden“? Schrumpfendes Gehirnvolumen, abnehmende Synapsenzahl, Rückgang logischer oder mathematischer Fähigkeiten, sinkende Ergebnisse bei Intelligenztests? Ich halte das alles für sehr unwahrscheinlich.  Und auch Jessens intrikater Vorwurf, nur die „Ungebildeten“ würden sich das seichte Programm des Fernsehens ansehen, während die „Bildungsbürger“ nach Theateraufzeichnungen und Kulturfernsehen lechzen, ist weder statistisch, noch mit meiner eigenen privaten Erfahrung in Deckung zu bringen. Ich kenne genug sehr gebildete Leute, die sich im Fernsehen unwahrscheinlich seichte Sachen ansehen, promovierte GZSZ-Fans, Ingenieure mit Trash-Neigungen. Why not?

Andere Bemerkungen Jessens sind durchaus erhellend. Insbesondere diese hat mir gut gefallen:

Vulgär ist eine Volksmusikshow, in der die Volksmusik nicht Volksmusik bleiben darf, sondern zu Schlagern werden muss, mit Sängern, die zu Stars werden, also gerade nicht mehr Volk sind.

Und auch Jessens Hinweis, wie in Nachrichtensendungen Sachprobleme personalisiert werden, ist bedenkenswert. Letztlich krankt seine Darstellung aber an der fehlenden Konkretion. Dass Jessen praktisch kein einziges Beispiel für seine Urteile hat, könnte sie auch als Vor-Urteile demaskieren. Vorurteile sind zwar, laut Gadamer, fürs Weltverständnis unerlässlich. Aber deswegen sind sie noch nicht mitteilenswert.

Öffentlich-Rechtliche Sender: Vom Volk bezahlte Verblödung | Gesellschaft | ZEIT ONLINE

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter