Archive for April 22nd, 2010

RTL inszeniert Schicksale und lässt Qualität vermissen


22 Apr

Was der Branchendienst Meedia da nachrecherchiert hat, lässt einen Einblick in die Arbeitsweise eines Privatfernsehsenders zu:

Bei der Real-Life-Doku „Vermisst“ bei RTL sucht Moderatorin Julia Leischik Woche für Woche mit großem Aufwand vermisste Personen. In der jüngsten Folge fahndete sie in den USA nach der Enkelin einer deutschen Rentnerin. Nach vielen Tagen der Recherche kam es zur tränenreichen Zusammenführung. Weniger emotional, dafür bedeutend unkomplizierter aber auch weniger dramatisch hätte man die „Vermisste“ Bianca Jean Albertson im Internet finden können. Sie steht mit ihrem vollen Namen bei Facebook.

Recherche ist im Journalismus das eine, die Inszenierung der Recherche das andere. „Scripted Reality“ ist die neueste und viel kritisierte Mode bei den sog. Doku-Serien. Sie sind nur scheinbar „dokumentarisch“, in Wahrheit agieren Laiendarsteller nach einem vorgefertigten Drehbuch („Script“). Was wir bei „Vermisst!“ erleben, ist „scripted journalism“:

Der Name der verlorenen Enkeltochter von Rentnerin Gisela war von Anfang an bekannt: Bianca Jean Albertson. Während sich im TV Julia Leischik mit ihrem Team ins Flugzeug setzte und nach Omaha flog, um sich dort auf Polizeistationen und Binnenwerften umzuhören, gab Denise Rubino, Social Media Contextmanagerin beim Media-Netzwerk Vivaki, zuhause den Namen spaßeshalber bei Facebook ein. Und siehe da: Die „vermisste“ Bianca Jean steht mit ihrem vollen Namen im weltweit größten Sozialen Netzwerk. Es gibt sogar nur einen einzigen Suchtreffer mit diesem Namen. Einfacher geht’s kaum.

Also, Qualität sieht anders aus.

Meedia: „Vermisst“: Wie RTL Schicksale inszeniert

Ein Bischof tritt zurück: Auch der Kölner Stadt-Anzeiger merkt’s


22 Apr

Auch der Kölner Stadtanzeiger hat mitbekommen, dass der Augsburger Skandalbischof Mixa seinen Rücktritt eingereicht hat. Die Meldung ist ihm sogar den Aufmacher auf Seite 1 der heutigen Ausgabe wert:

Bischof Mixa bietet Rücktritt an

Am Ende des Aufmacherartikels wird sogar auf einen weiterführenden Artikel auf Seite 3 als „Thema des Tages“ hingewiesen. Allerdings: Dort auf Seite 3 geht es gar nicht um den Rücktritt. Offenbar war der Tagesthemen-Artikel geschrieben worden, bevor der Rücktritt bekannt wurde. Stattdessen geht es darum, dass alle möglichen berufenen und unberufenen Leute Herrn Mixa auffordern, sein Amt zeitweise ruhen zu lassen oder ein „Bußschweigen“ einzulegen. n einem Einspalter wird sogar noch raisonniert, ob der Papst den Bischof entlassen müsse. All dies ist durch die neue Nachrichtenlage widerlegt. Ehrlich wäre gewesen, wenn der Stadtanzeiger auf Seite 1 geschrieben hätte: Die veralteten Artikel auf Seite 3 müssen Sie nicht mehr lesen. Sie können sie, wie den ehemaligen Bischof, ad acta legen.

Erleichterung über Mixas Rücktritt – Kölner Stadt-Anzeiger

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter