Das Buch ist dem „E-Book“ haushoch überlegen

24 Mai

Lesen bildet: Aber in welchem Medium?

Es ist mehr als ein Jahrzehnt her, da war ich auf der Computermesse CeBit bei einem Vortrag des damals angesagtesten aller Computer-Gurus, Kai Krause. Dieser sprach ein Loblied auf ein phantastisches Medium, das Terabyte an Informationen bereithalte, gestochen scharfe Grafiken und Bilder darstellen könne und noch dazu ungeheuer flexibel zu handhaben sei. Und dann hielt der Programmierer von „Kai’s Powertools“ oder „SuperGoo“ — ein Buch in die Höhe, ein stinknormales altmodisches Buch.

Visionär war der Guru vielleicht auch mit dieser Performance. Dies scheinen nun Bildungsforscher, laut einem Bericht im Kulturteil der heutigen Süddeutschen Zeitung, empirisch bestätigen zu können. Eine aktuelle Studie des „Computer Supported Collaboration Lab“, einer Einrichtung der Universität von Washington in Seattle lasse Zweifel aufkommen, wie reif das eBook als Lehr- und Lernmittel schon ist. Über ein ganzes Studienjahr hinweg hätten die Forscher 39 Studenten, die von der Universität mit Amazons Kindle DX ausgestattet worden waren, über ihre Lese- und Arbeitsgewohnheiten befragt und zum Führen von Tagebüchern angehalten. Das Ergebnis sei ernüchternd gewesen: Bei Ablauf des Untersuchungszeitraums hätten zwei Drittel der Studenten den Gebrauch des Lesegeräts in ihrem Studienalltag entweder ganz eingestellt, oder auf wenige Situationen, wie zum Beispiel Busfahrten beschränkt. Die besonderen Anforderungen, die das kognitiv anspruchsvolle Lesen im akademischen Umfeld mit sich brächte, könnten die eBook-Reader dagegen kaum erfüllen.

Während das rezeptive Lesen, also die reine, sequenzielle Aufnahme von Text, auf den Lesegeräten recht problemlos funktionierte, stießen die Testpersonen bei ihren individuellen Methoden des sogenannten „reagierenden Lesens“ auf große Hindernisse. Als „reagierendes Lesen“ bezeichnet man die kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem Text während des Lesevorgangs. Jeder einzelne Leser kombiniert dafür ganz idiosynkratisch Unterstreichungen, Anmerkungen, Exzerpte, Visualisierungen und Lesezeichen. In der Praxis wechseln die Studenten zudem unablässig zwischen Lesetechniken wie Überfliegen, Querlesen oder Anblättern hin und her. Nur ein Informationsträger, der der Gesamtheit dieser Methoden und dem flexiblen Wechsel zwischen ihnen möglichst optimal gerecht wird, kann den Erfordernissen wissenschaftlicher Arbeit entsprechen.

Ein E-Book erfülle nun offenbar genau diese Voraussetzungen sehr schlecht. Das wirklich substanziellste Problem, das die Untersuchung offenbart habe, läge aber

in der Unfähigkeit der meisten Probanden, ein elektronisches Buch auch nur annähernd ähnlich effektiv im Geiste zu kartographieren, wie es ihnen mit klassischen Büchern gelingt. Informationen in einem Buch findet man intuitiv wieder; man hat sich ihr Auftauchen im Text geografisch eingeprägt: oben rechts oder unten links auf einer Doppelseite, kurz nach einer Illustration oder eine Seite vor dem Kapitelende. Beim Kindle gelang den Probanden all dies nicht.

Der Medienwissenschaftler Marshall McLuhan prophezeite schon in den 60er Jahren das Ende der Gutenberg-Galaxis. Vielleicht hat er ja schlicht geirrt.

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Echo auf Eco: Das Internet ist das Universum des Falschen

24 Mai

Umberto Eco

Umberto Eco ist Sprachwissenschaftlern ebenso ein Begriff wie Romanliebhabern: Als Wissenschaftler hat er sich ebenso einen Namen gemacht (in der Semiotik nämlich, die man quasi „seine“ Wissenschaft nennen könnte) wie als Autor von „Der Name der Rose“ und ähnlich eloquenten Erzählwerken (wir lieben ja „Das Foucault’sche Pendel“ meist noch mehr). Nicht alle wissen aber außerhalb des italienischen Sprachraums, dass Eco auch als Journalist ausgewiesen ist. Seit nunmehr Jahrzehnten füllt er die letzte Seite des Nachrichtenmagazins L’Espresso mit seiner Glosse „La busta di Minerva“. In einer der letzten Ausgaben hat er sich (übrigens beileibe nicht zum ersten Mal) mit dem Internet auseinandergesetzt, und zwar kritisch (für Kenner des Italienischen ist hier der Link). In der Zusammenfassung der Süddeutschen Zeitung:

Der Journalist Tommaso Debenedetti, im vergangenen Jahr Mittelpunkt einer Affäre um erfundene Interviews mit Philip Roth, Herta Müller, Gore Vidal und anderen Schriftstellern, hatte offenbar im Namen Umberto Ecos der International Herald Tribune einen Leserbrief geschrieben, in dem er die Nato-Militäraktionen in Libyen scharf kritisierte. Und die Zeitung hatte die Zeilen Anfang April als authentische Wortmeldung Ecos abgedruckt. In denselben Topf warf Eco nun in seiner Kolumne viele andere Internet-Falschmeldungen über ihn und sein Werk. Er habe etwa auf einer katholischen Nachrichtenseite erfahren müssen, dass ein Autor sein Buch mit einem Eco-Vorwort schmücke, das er, Eco, gar nicht verfasst habe.

Quintessenz von Umberto Eco, wiederum in der Übertragung der SZ:

Eco beklagte, dass das Netz ein „anarchisches Territorium“ geworden sei, „wo man alles sagen kann, ohne dementiert werden zu können“.

Eco ist nach Meinung des SZ-Autors viel zu pauschal und oberflächlich in seiner Kritik. Er würde darum in der italienischen Netz-Gemeinde auch mit Hohn und Spott bedacht. Originalton SZ:

Unter italienischen Bloggern sorgte Ecos Lamento für Spott und bissige Reaktionen. In seinem Blog Wittgenstein.it antwortete ihm Adriano Sofris Sohn Luca, der die Online-Zeitung Il Post herausgibt: Die genannten Falschmeldungen hätten ihren Ursprung sämtlich in klassischen Medien. Die Kritik sei zudem Zeichen einer gewissen intellektuellen Oberflächlichkeit.

Die italienischen Netizens als unkritische Apologeten des WWW und einer der bedeutendsten Gelehrten, den Italien im 20. Jahrhundert hervorgebracht hat, ein oberflächlicher und intellektuell minderbemittelter Kritikaster? Da lohnt sich doch, die Italienischkenntnisse zusammenzukramen und mal im Original nachzulesen. Was hat Umberto Eco denn nun wirklich geschrieben? Tatsächlich ist in der Printausgabe der Herald Tribune ein klassischer Leserbrief im Namen von Umberto Eco veröffentlicht worden, mit dem Eco in Wahrheit nichts zu tun hat. So weit, so analog. Autorisieren konnte sich der Fälscher jedoch „usando un mio presunto indirizzo di email aperto da lui stesso con grande facilità“, also indem er mit Leichtigkeit eine (gefälschte) Emailadresse im Namen von Umberto Eco eingerichtet hat, mit der er sich auswies. Auch in Ecos Formulierung über das „anarchistische Territorium“ hat die SZ kurzerhand einen wichtigen Nachsatz weggelassen. Eco schreibt nämlich:

Ormai Internet è divenuto territorio anarchico dove si può dire di tutto senza poter essere smentiti. Però, se è difficile stabilire se una notizia su Internet sia vera, è più prudente supporre che sia falsa.

Inzwischen ist das internet ein anarchistisches Territorium geworden, wo man alles behaupten kann, ohne der Lüge überführt zu werden. Jedoch, wenn es schwierig zu überprüfen ist, ob eine Mitteilung im Internet wahr ist, dann ist es klüger, sie von vornherein für falsch zu halten.

Um Lebensklugheit geht es hier und um einen fast schon Pascal-haften Umgang mit dem Wahrheitswert von Internet-Behauptungen. Auch andernorts setzt die italienische Netzgemeinde sich deutlich differenzierter mit dem neuesten Medium auseinander, als es die SZ-Netzdepeschen-Redaktion wahrhaben möchte. In der Net-Zeitung Linkiesta etwa ist ein Verriß zu lesen, der noch deutlich mehr Verve hat als die medienphilosophischen Betrachtungen von Umberto Eco:

Noi giornalisti capiamo nulla di Internet
(Wir Journalisten verstehen gar nichts vom Internet)

Der Artikel fasst die Ergebnisse einer großangelegten Studie zusammen, die die Columbia School of Journalism kürzlich vorgelegt hat. Sie beschäftigt sich differenziert mit den ökonomischen Möglichkeiten des Journalismus im Internetzeitalter. Differenzierter jedenfalls als die Autoren der Süddeutschen Zeitung.

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Spiegel Online: Wenn aus Edelfedern Zauselkrausel werden

23 Mai

Früher war ja, wer im Feuilleton schreiben durfte, schon von Amts wegen eine edle Feder: Schließlich musste man das Wort Feuilleton richtig aussprechen und korrekt schreiben können, das schuf die nötigen Zugangshürden. Wer heute etwa Romane oder Erzählbände rezensiert, der muss so wenig noch von der Schönheit der Sprache verstehen wie diejenigen, die ebenjene Werke heute schreiben. Zum Beispiel ein Peter Henning bei Spiegel Online, der den Erzählband „Trieb“ des Kölner Journalisten (!) Jochen Rausch besprechen darf:

Rausch, der 2008 mit dem Debütroman „Restlicht“ debütierte …

Wir vermuten, dies war das Rezensionsdebüt des debütierenden Rezensenten. Murksig geht’s weiter im Blätterwald leidender Rezensionsrezensenten:

Nach vollbrachter Lektüre seiner Storys, die sich lesen lassen wie ein lustvolles Blättern im Katalog menschlicher Fehlbarkeit …

Wie liest man denn wohl ein „lustvolles Blättern“? Und ist der „Katalog menschlicher Fehlbarkeit“ etwa so dick wie der Otto-Katalog (der übrigens nicht witzig ist, obwohl er Otto heißt!), auf dass man in ihm überhaupt blättern könne? Und wieviele schmückende Adjektive darf eigentlich ein kritisierender Kritiker benutzen, der beim fatalen Objekt seiner rezensierenden Zuneigung ansonsten trockene „Schnörkellosigkeit“ zum allesüberbietenden Qualitätsmerkmal macht? Vielleicht so viele wie in dem geschätzt 10 Zeilen lang Satz, in dem zwei Protagonisten einer Kurzgeschichte

geradezu schicksalhaft und mit am Ende tödlicher Zwangsläufigkeit aufeinander zustreben, dann hat Rauschs subtiler Trieb-Reigen seinen finster-faszinierenden Höhepunkt erreicht.

Es fehlt dann natürlich, wie bei allen Rezensionsanfängern, das unvermeidbare Name-Dropping nicht, um die eigene Kritikerbelesenheit auch ja zur Schau zu stellen, und auch die furiose Conclusio am Ende darf nicht fehlen. Sie lautet:

Endlich zeigt ein Hiesiger, wie variabel und mitreißend die erzählerische Kurzstrecke sein kann. Er tut es schnörkellos und ohne ein Gramm Fett. Dabei in der Machart fast amerikanisch, und doch mit Blick auf deutsche Verhältnisse. Lesen Sie Jochen Rausch. Es wird Sie umhauen. Versprochen!

Ja, das ist wirklich geschehen! Es hat mich umgehauen! Aber nicht das Buch von Jochen Rausch. Das ist vielleicht sogar ganz gut. Wer weiß?

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Bild-Studie der Otto-Brenner-Stiftung

19 Mai

Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz haben haben im Auftrag der Ott-Brenner-Stiftung untersucht, wie die Bildzeitung in der Euro- und Griechenland-Krise mit Pressekampagnen versucht hat, Politik zu machen. Die Schlussfolgerungen der beiden Autoren ist über diesen konkreten Anlass hinaus interessant. Ihre Quintessenz: Die Bildzeitung ist gar keine Zeitung!

Wenn „Bild“ inzwischen als „Leitmedium“ gilt, sich selbst in der politischen Mitte verortet, seine Vertreter in der Rolle als Analytiker von politischem und gesellschaftlichem Geschehen wie selbstverständlich neben Vertretern angesehener Qualitätsmedien in Talkshows sitzen, wenn Chefredakteur Kai Diekmann reklamiert, die politische Agenda dieser Republik mitzubestimmen – dann hat sich in den letzten Jahren etwas verschoben. Denn dann hat inzwischen ein Massenmedium auf die politische Öffentlichkeit Einfluss gewonnen, das mehr in der Welt der Werbung, der PR und des Marketings zu Hause ist als im Journalismus.

Die Zusammenfassung der Studie ist hier zu finden.

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Facebook-Pinnwand ist ein Bombengeschäft: Für Anwälte

18 Mai

Ob der Like-Button auch urheberrechtlich geschützt ist?

Dass Tauschbörsen im Internet ein probates Mittel vor allem dafür sind, den Austausch von Barmitteln von den Brieftaschen von Internet-Usern in die Portemonnaies von Rechtsanwälten zu befördern, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Nun haben Abmahnanwälte offenbar die Facebook-Pinnwände von Teenagern entdeckt, um auch mit den „social media“ das Taschengeld jugendlicher Facebooknutzer in die eigene Tasche zu sozialisieren. Das hat der Kölner Rechtsanwalt Christian Solmecke herausgefunden:

Millionen Teenager kommunizieren via Facebook untereinander. Hier posten sie unbekümmert Fotos ihrer Stars, binden YouTube-Videos in ihre Pinnwand ein, veröffentlichen Songtexte oder kopieren gescannte Seiten aus Büchern in ihre Profile. Solmecke schätzt, dass die typische Facebook-Seite eines Teenagers 10.000 bis 15.000 Euro wert sein kann – für Abmahnanwälte.

Bei Tauschbörsenbenutzern und privaten Homepage-Betreibern habe sich mittlerweile, so Solmecke, auch durch eine ausführliche Medienberichterstattung ein Problembewusstsein herausgebildet, was den Schutz geistigen Eigentums im Internet angeht. Bei den Usern sozialer Netzwerke sehe das aber noch ganz anders aus:

Bei all diesen Diskussionen bleibt ein modernes Medium immer völlig unberücksichtigt: Facebook. Dabei handelt es sich bei Facebook beileibe nicht um einen rechtsfreien Raum, in dem andere Regeln gelten als im übrigen Web-Universum. (…) Im Grunde genommen müssen sich die Facebook-Aktiven wie professionelle Journalisten behandeln lassen. Wenn man sich dann ansieht, wie unbekümmert urheberrechtsgeschützte Inhalte veröffentlicht werden, sage ich: Die typische Facebook-Pinnwand eines Teenagers ist für Abmahnanwälte bis zu 15.000 Euro wert.

Bei Musikvideos, Fotos oder Zitaten drohe genauso eine Abmahnung wie beim Austausch von Profilfotos durch lustige Comicbilder. “Diese Inhalte müssen nicht einmal selbst auf die eigene Facebook-Seite gestellt werden. Es reicht aus, sie zu teilen, um sie sich zu Eigen zu machen und aktiv weiter zu verbreiten“, so der Kölner Rechtsanwalt.

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Stern lässt Soldaten bluten

18 Mai

Es ist ja schon eigenartig, was man als Journalist über Soldaten schreiben darf und was nicht. Bis in die 90er Jahre bewegte es die Republik, wenn ein gewisses Tucholsky-Zitat in entsprechendem Zusammenhang gefallen ist (oder war es doch von Ossietzky?). Auch die Titulierung des Afghanistan-Einsatzes der deutschen Bundeswehr in Presse und Politik (Krieg oder doch nicht Krieg oder vielleicht ein bisschen Krieg) war recht eigentümlich. Aber die Metapher, die der „Stern“ jetzt für die Sparpläne des Bundesverteidigungsministers gefunden hat, schlägt dann doch der Krone einen Zacken aus:

Die Truppe muss bluten

Das kann man schließlich auch falsch verstehen. Richtig?

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Guck mal, wer da fotografiert

17 Mai

Die Filmfestspiele in Cannes sind für alle Kamerakünstler ein Hochfest im Kulturjahr. Die Boulevardpresse dagegen stürzt sich eher auf die unvermeidlich so genannten „Stars und Sternchen“, die an der Cote d’Azur auflaufen. Wenn beide aufeinanderstoßen, Kameraleute und Filmstars, kann es schon mal kurzzeitig zu Verwirrungen kommen, wie dieses Bild zeigt, dass heute in der Münchner „tz“ zu sehen war:

Wer fotografiert hier eigentlich, wenn alle Kameramänner und Fotografen hinter dem Objekt der Begierde stehen?

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„ZDFkultur“ für Leute ohne Kultur

17 Mai

Ein Bouquet ist etwas, das in die Nase geht. Beim Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) hat man eher den Eindruck, dass es die Nase voll hat. Voll von seinen Satelliten-Spartenkanälen. In schneller Folge widmet das ZDF sein bestehendes Bouquet um und gründet neue Spartensender, die die hergebrachten ersetzen. Aus dem ZDF-Dokukanal war schon vor einer kleinen Weile ZDFneo geworden. Und jetzt wird aus dem ZDF-Theaterkanal das Programm ZDFkultur. Wobei, so genau möchte man es mit der Kultur nicht nehmen, wie der Verantwortliche Daniel Fiedler zu berichten weiß:

Kultur im Fernsehen klingt immer so, als ob ich ganz gebildet sein muss, um das nutzen zu dürfen. Da sagen wir: Das ist Quatsch. Es gibt heute keine Trennung mehr zwischen der so genannten populären Kultur und der Hochkultur. Menschen gehen heute in die Oper und danach in einen Club, das ist völlig selbstverständlich. Wir setzen nebeneinander eine Wagner-Theateraufführung und jede Menge Popmusik. Wiederum daneben gibt es jede Menge Videospiele und Gaming. So breit ist unser Kulturbegriff, so breit stellen wir den auf. In der Nutzung der Zuschauer im Leben ist der eben so breit. Warum soll er nicht auch im Fernsehen so breit sein?

Das ZDF sieht keine Abgrenzungsprobleme zu ZDFneo oder zu 3sat, dem Kulturprogramm, zu dem das ZDF auch immer noch den Bärenanteil beiträgt. Andere sehen, wie die „B.Z.“, deutlich größere:

Am Sonnabend geht der nächste Kanal aus Mainz an den Start. Dabei wird der Digitalsender ZDFkultur nur eine zweite Version des 2009 gestarteten ZDFneo sein.

Man fragt sich auch, wozu die Spartenkanäle eigentlich dienen. Immerhin kosten sie, worauf auch die „B.Z.“ hinweist, richtig Geld:

In diesem Jahr lässt sich das ZDF den neuen Sender 12 Millionen Euro, im kommenden 18 Millionen Euro kosten. Und löst dafür den ZDFtheaterkanal auf, der im Jahr 2009 lediglich 7,3 Millionen Euro kostete und ein Schattendasein fristete. Doch statt das Geld einfach zugunsten des Gebührenzahlers einzusparen, leisten sich die Mainzer einen ZDFneo-Klon.

Das ZDF, das im Rufe eines „Rentnersenders“ steht, will sein Programm verjüngen. Ob das mit einer Abschiebung jugend- und jüngerenrelevanter Themen und Inhalte ins Quotennirwana von Satellitenablegern gelingen wird, scheint fraglich. Zumal, wenn man mit zwei verschiedenen Kanälen und sehr ähnlichen Inhalten ein sehr ähnliches Publikum ansprechen will und sich dadurch gegenseitig kannibalisiert:

Beide Sender sollen sich an ein jüngeres, nahezu identisches Publikum richten. ZDFkultur soll 20- bis 40-jährige Zuschauer begeistern, ZDFneo 25- bis 49-Jährige.

Und dann gibt es ja auch noch den „ZDFinfokanal“. Was wird eigentlich aus dem? Die Zielgruppe der 15- bis 35-jährigen wäre noch frei.

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Welt: tot, tödlicher, am tödlichsten

16 Mai

Das Übertriebendste an Tageszeitungen ist, dass sie selbst das übertreiben, was nicht weiter zu übertreiben ist. Zum Beispiel die Tageszeitung „Die Welt“. Sie beschäftigt sich in ihrer heutigen Ausgabe mit der unausrottbaren Krankheit Pocken und schreibt:

Die Pocken sind eine der tödlichsten Infektions-Krankheiten der Welt. Die Erreger werden an zwei Orten auf der Welt künstlich am Leben erhalten – in den USA und Russland.

Tödlich, tödlicher, am tödlichsten? Nein, so kann selbst die „Welt“, für einige die weltigste Zeitung auf unserer globalisiertesten Erde, nicht komparieren. Entweder tödlich oder nicht. Genau wie schwanger, blau, studiert, fertig und viele andere Adjektive lässt sich gerade auch „tödlich“ nicht steigern. Alles andere wäre, genau: tödlich.

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BILD-Leserbeirat: Keine Meinung ist ja auch keine

13 Mai

Was bei anderen Zeitungen innovativ oder fortschrittlich ist, das ist bei der Bildzeitung aus dem Springerverlag bestenfalls gerissen oder clever. So auch der sog. Bild-Leserbeirat. Unter dem Motto “Wir sagen Bild die Meinung!” hat die Zeitung

aus mehr als 3000 Bewerbern jetzt 32 neue Mitglieder ausgewählt, die mithelfen wollen, damit BILD noch besser wird.

Aus Sicht von Bild-Chefredakteur Kai Diekmann ist allein das schon ein eigenartiges Diktum, geht jener doch davon aus, dass Bild ohnehin kaum noch zu verbessern ist. Und so hat man denn für den hauseigenen Leserbeirat auch solche Leute zum Meinung-Geigen aquiriert, die garantiert keine haben. Oder wenn, dann die richtige. Zum Beispiel Sandra Raeven-Staud (38), Hausfrau aus Emmerich:

Sandra Raeven-Staud (38), Hausfrau aus Emmerich (NRW):
„Das Seite-1-Girl wird jetzt viel anspruchsvoller fotografiert, das hatten wir uns gewünscht. Der Ratgeber zu einem vermeintlich schwierigen Thema wie ,Männergesundheit‘ war sehr informativ. Mehr davon!“

Das ist vermutlich der neue Bild-Feminismus, für den auch Alice Schwarzer sich auf Werbeplakate und ins Blatt rücken lässt. Steifvorlagen für Männer dürfen schon sein, sie müssen aber “anspruchsvoller fotografiert” werden. Dann wird auch aus einem Gossenblatt eine “anspruchsvolle” Zeitung, findet auch

Regina Klau (66), Rentnerin aus Bremen:
„Ich lese BILD viel intensiver als früher und bin begeistert. BILD hat sich sehr zum Positiven verändert. Mich begeistern vor allem die vielen Kulturstücke. Bei meinen Freunden werbe ich oft für die neue BILD.“

Früher las man die Bildzeitung noch wegen des “guten Sportteils”, heute wegen der “vielen Kulturstücke”. Wenn das nicht mal ein Kunststück ist …

BILD-Leserbeirat – Diese Frauen sagen BILD ihre Meinung – News Inland – Bild.de

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Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter