Archive for Juli, 2009

sterbende Medien: CompuServe


08 Jul

logo_cs40 Nicht mit einem Knall, sondern mit einem „Wimmern“ trete der Klassiker unter den Onlinediensten, nämlich Compuserve, ab, schreibt der amerikanische Kolumnist Robert S. Anthony. Schnöde ist auch die Mitteilung, die AOL, der heutige Besitzer des ältesten Online-Dienstes der Welt, an die Nutzer herausgibt:

As mentioned in our email notifications, as of June 30, 2009 the CompuServe Classic service will no longer operate as an Internet Service Provider.

Ein Jahr, bevor Google überhaupt startete, bezeichnete Spiegel Online Compuserve bereits als „Online-Oldie“. 30 Jahre, nachdem der erste eMail-Dienst des Internets startete, klemmt AOL nun den Service ab. Lange bevor es überhaupt das WWW gab, bot Compuserve bereits Live-Chats, Bahnauskunft, Foren und Dateitransfer. Das Grafikformat gif ist eine proprietäre Compuserve-Erfindung. 1994 war Compuserve mit 1,7 Mio. Nutzern der größte Onlinedienst überhaupt. Entstanden ist der Vorläufer des Online-Dienstes 1969 als Tochterfirma der US-Versicherung Golden United Life. Das Unternehmen arbeitete als IT-Dienstleister für die Mutter, betrieb die PDP-Großrechner, vermietete Rechenzeit an diesen Anlagen auch an andere Firmen. Im Laufe der 90er Jahre, mit dem Aufkommen des WWW, ging es mit Compuserve abwärts: Die Nutzer wollten keine geschlossene Onlinewelt mehr, sondern einfach nur Zugang zum Internet. Schon im vergangenen Jahr wurde der deutsche eMail-Dienst compuserve.de abgeschaltet. Seit heute ist Compuserve Classic offline.

CompuServe Announcement

Im philologischen Härtetest


07 Jul

„im philologischen Härtetest“, überschreibt die Wochenzeitung Die Zeit einen Artikel, in der ein leibhaftiger „emeritierter Professor für Germanistik“, nämlich Klaus Kanzog, den Siegertext des diesjährigen Bachmann-Wettbewerbs einer „literaturwissenschaftlichen Analyse“ unterziehen darf. Ob der abgedruckte Text wirklich alle Kriterien einer solchen erfüllt, sei dahingestellt. Allerdings verwundert doch, wenn ausgerechnet der Germanistikprofessor von einer „psychiatrischen Diskurspraktik“ spricht. Denn das richtige Substantiv wäre an der Stelle doch „Praxis“ gewesen. Jedoch ist mitunter eine psychiatrische Praxis auch wieder mißverständlich, und der Diskurs kann diese Sinnverstellung schwerlich heilen. Dem Erfinder der Diskurstheorie wiederum, Michel Foucault, würde die psychiatrische Praxis der Diskurse bestimmt sehr gut gefallen.

Bachmann-Preis – Im philologischen Härtetest | ZEIT ONLINE

Spiegel contra ProSieben: Eingeschmiert, angeschmiert, abgeschmiert


05 Jul

Gut dass im Internet auch noch andere Schönheitsideale herrschen Peinlichkeitsgrenzen schamlos zu unterschreiten, ist im deutschen Fernsehen eine der leichteren Übungen. Dass der Privatsender Prosieben mit seiner Reihe “Sommermädchen 2009” eine neue Preisklasse im Sommerschlussverkauf des schlechten Geschmacks eingeteuert hat, darauf weist Spiegel Online mit deutlichen Worten hin:

Deutschland hat sich eine weitere Dimension des Demütigungsfernsehens erschlossen. "Sommermädchen 2009" heißt das Format, das sogar Til Schweigers glitschige Altherrenphantasie "Mission Hollywood" auf RTL unterbietet, die man bislang für den Tiefpunkt des Unterhaltungsfernsehens hielt und die gerechterweise wegen Erfolglosigkeit auf den Samstagnachmittag verbannt wurde. Schwitzend und stotternd lässt Schweiger darin seine Casting-Opfer Übungen absolvieren, für die er in einem Rotlicht-Etablissement bezahlen müsste.

Aber immerhin verfügt Schweiger tatsächlich über Beziehungen nach Hollywood, mögen die auch noch so bescheiden sein. Das ist bei ProSieben anders: In "Sommermädchen 2009" lassen sich die Kandidatinnen von einem Niemand erniedrigen – sie geben sich ohne Hoffnung auf den Einstieg in den Entertainmentbetrieb der Lächerlichkeit preis.

Dass der Anglizismus “Casting-Show” im Deutschen korrekterweise mit “Kasteiungs-Show” übersetzt werden sollte, belegt Prosieben mit diesem Format ebenso wie die Tatsache, dass die leiblichen Erniedrigungen in dieser Art von “Demütigungsfernsehen” nach dem Spielende beileibe nicht zu Ende sind: Der Preis für die Selbstentleibung besteht in einem Fotoshooting für ein sogenanntes Herrenmagazin, was weder dem Begriff Foto noch dem Begriff Herr weiters zu Ehre gereicht. Wenn Spiegel Online dies “unsubtil” nennt, muss doch der dezente Hinweis erlaubt sein, dass die vom Spiegel angefügte Fotostrecke genau jenes Gelüst befriedigt, dass zuvor mit deutlichen Worten kritisiert wurde. Die schärfsten Kritiker der Elche, bleiben eben selber welche …

P.S.: Das abgebildete Foto ist kein Beispielfoto aus der genannten Fernsehserie!

Der Artikel auf Spiegel Online

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter