WDR occupied?

07 Mrz
Plagiat von WDR-Print

Im Westdeutschen Rundfunk (WDR) tut sich Unerhörtes: Der Hörer muckt auf. Nach der angekündigten Programmreform des Kulturprogramms WDR 3 haben schon über 11.000 Unterzeichner sich einem Offenen Brief angeschlossen, der die Rücknahme jener Programmänderungen fordert, die von vielen für kulturjournalistischen Kahlschlag gehalten werden. Und das, obwohl doch Intendanz und Hörfunkdirektion sich alle Mühe geben, so zu tun, als ob die sogenannten Reformen gerade dem Hörerwillen folgten:

… die Streichung von täglich 32 Minuten politischer Berichterstattung im „Journal“, das Verschwinden eines wöchentlichen Feature-Platzes für Musik und Literatur, die Verwandlung des werktäglichen aktuellen Kulturmagazins „Resonanzen“ in ein Wiederholungsprogramm und das Aus für das sonntägliche  Auslandsmagazin „Resonanzen weltweit“ – um nur einige der als Organisationsreform angekündigten „Kleinigkeiten“ zu nennen.

Hörfunkdirektor Wolfgang Schmitz (Jahresgehalt: 193.000 Euro) hat auf den Offenen Brief, den namhafte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens initiiert und unterzeichnet haben (und der Verfasser dieser Zeilen gehört auch zu den Erstunterzeichnern), reagiert. Im Namen der Intendantin Monika Piehl (Jahresgehalt: 353.000 Euro), die sich zu der Diskussion um ihr Programm nicht selbst äußern wollte, unterstellt er den UnterzeichnerInnen ein „Kulturradio-Verständnis, das in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts modern war“ und verweist auf die starken Veränderungen in der Medienwelt. Was insbesondere die heftige programmatische Veränderung des kulturpolitischen Journals „Resonanzen“ auf WDR 3 angeht, bemerkt Wolfgang Schmitz (Jahresgehalt: 193.000 Euro) in einer weiteren Entgegnung, dieses Mal auf eine Stellungnahme der Initiatoren Lothar Fend und Prof. Dr. Hans-Joachim Lenger:

Die Wiederholung von Beiträgen oder Sendungen ist eine übliche und von vielen Hörerinnen und Hörern geschätzte Möglichkeit, sich mit einem Thema auch dann vertraut zu machen, wenn sie bei dessen Erstausstrahlung keine Möglichkeit hatten, Radio zu hören.

Irritationen bei Medienkennern

Medienkenner wundern sich speziell über diese Argumentation: Wer die Veränderungen in der Medienwelt wahrgenommen hat, weiß auch, dass Interessierte sich Wiederholungen heute als Podcast im Internet abrufen, aber vermutlich nicht auf die Ausstrahlung einer gerupften Sendung „Resonanzen“ warten, in der beispielsweise die Altbeiträge der vorangegangenen Sendung „Scala“ von WDR 5 laufen. Was ebenfalls Irritationen auslöste, waren die von Schmitz apostrophierten „von den UnterzeichnerInnen des Offenen Briefes mit einer gewissen Ignoranz übersehenen Musikangebote“ auf WDR 3. Denn gerade die sollen künftig wie bei jedem Formatradio aus dem Computer kommen, was auch der Hörfunkdirektor bestätigt, denn: „Die Unterstützung durch Datenbanken ist in allen Radioprogrammen eine selbstverständliche Arbeitserleichterung“. Die dritte Irritation, die bei Insidern und WDR-MitarbeiterInnen aufkommt, beruht auf Schmitz‘ Behauptung, die Veränderungen bei WDR 3 seien in größtmöglicher Transparenz abgelaufen. In einer Stellungnahme der WDR-Redakteursvertretung klingt das anders:

Die ständig behauptete breite Zustimmung für die so genannte Organisationsreform deckte und deckt sich nicht mit der Realität, nämlich der schlechten Stimmung unter den Redakteurinnen, Redakteuren und Sachbearbeiterinnen.

Neo-autoritärer Führungsstil

Die freien MitarbeiterInnen des WDR, die als JournalistInnen und AutorInnen am meisten unter den Reformen zu leiden haben, drücken den neuen Umgangston innerhalb des WDR, der auch schon als „neo-autoritär“ bezeichnet wurde, noch drastischer aus. In einer internen Mailingliste, aus der schon des öfteren auch in der Öffentlichkeit zitiert wurde, wird der Diskussionsstil im allgemeinen und der von Hörfunkdirektor Wolfgang Schmitz (Jahresgehalt: 193.000 Euro) im besonderen so beschrieben:

… wie es sich anHÖRT, wenn W.Schmitz auf Kritik freier Kollegen reagiert hat er beim Treffen im NATO-Saal (d.i. ein großer Sitzungssaal im WDR Funkhaus; H.H.) am vergangenen Mittwoch gezeigt: Ein Lehrstück im Spiel Wie-diskreditiere-ich-Andersdenkende. Dialog war da deutlich einseitig gemeint.

Dort beschreibt jemand auch, wie konkrete journalistische Arbeit sich für freie MitarbeiterInnen im WDR Fernsehen gestaltet. Es sind jene MitarbeiterInnen, die als „feste Freie“ über 90 Prozent des WDR Programms in Hörfunk und Fernsehen herstellen:

Diese Selbstherrlichkeit geht sogar soweit, dass Redakteure einen über den wahren Auftragsstatus täuschen oder ihn einfach mal so abändern. Es wird ein Halbstünder beauftragt und plötzlich soll es bloß noch ein Viertelstünder sein. Oder der Knaller ist, wenn man plötzlich feststellt: Ein geplanter zweiter Halbstünder, eine Folgegeschichte zum selben Thema, ist doch entgegen allem Anschein nie in der Konferenz beschlossen worden. Aber es wurden immerhin vier Tage im Ausland dafür gedreht. Anschließend werden bei der Redaktionsleitung halbe Wahrheiten kommuniziert, offenbar um die eigene Haut angesichts eines eigenmächtigen Inauftraggebens zu retten, ohne Rücksicht darauf, dass das den Ruf als Autorin beschädigt. Und von der Redaktionsleitung wird dieses Verhalten auch noch unterstützt: Obwohl von Autorinnenseite sogar E-Mails existieren, in denen über diesen geplanten Anschluss-Halbstünder kommuniziert wurde, wird vom Chef trotz Kenntnis dieser Mails stur geleugnet, dass dergleichen beauftragt worden wäre. Der neue Auslands-Dreh wäre ja für den ersten Film gemacht worden. (Kleiner Gag am Rande: Der Dreh fand NACH dem kompletten Schnitt des ersten Films statt.)

Auch der Medienjournalist Tom Schimmeck hat diese Umgangsweisen schon beschrieben:

Aber glauben Sie nicht, man könne auf eine Antwort zählen, wenn man einer ARD-Redaktion ein ausführliches Exposé samt persönlichem Anschreiben schickt. In diesem Fall: Kein Ton. Funkstille beim WDR, beim SWR, beim NDR. Ich vermute, jeder Freie kennt das. Manchmal fehlt es eben nicht nur an Mitteln, sondern auch an Manieren.

Zu diesem neuen Regime, das in Intendantin Monika Piehl ein Gesicht und in Hörfunkdirektor Wolfgang Schmitz sowie Fernsehdirektorin Verena Kulenkampff (Jahresgehalt: 201.000 Euro) willige Handlanger hat, gehört auch der Umgang mit langgedienten und bei den ZuschauerInnen beliebten Fernsehmoderatorinnen. RP-Online weiß zu berichten:

Erst Claudia Ludwig, jetzt die Frontfrau der Duisburger Lokalzeit, Benedicta Junghanns: Immer mehr Moderatorinnen um die 50 werden nicht weiter beschäftigt. An ihre Stelle rücken Jüngere. Der WDR spricht von einer Neuausrichtung der Formate, Insider vom Verschwinden des Alters aus dem TV.

Zu Tode reformieren

Zurück zu WDR 3: Welchem Zwecke sollen eigentlich die Reformen beim Kulturradio dienen? Das fragen sich nicht nur die Unterzeichner des Offenen Briefs, sondern mittlerweile auch der WDR Rundfunkrat. Geld sparen will der WDR mit den geplanten Änderungen angeblich nicht, und einen Hörerschwund gilt es auch nicht zu verwinden, wie Hörfunkdirektor Wolfgang Schmitz behauptet:

WDR 3 erreicht derzeit täglich 310.000 Hörerinnen und Hörer und damit mehr als in den letzten fünf Jahren, WDR 5 schalten mehr als 680.000 Menschen ein.

Geld ist da, Hörer sind da — alles müsste doch bestens sein: Never change a running system. Der Reformdruck deutet aber doch auf Anderes hin. Schon in der Vergangenheit wurde Hand ans Kulturradio gelegt, zuletzt wurde es im Jahr 2008 grundlegend „reformiert“. Die F.A.Z. schrieb damals dazu:

Die künftige Zielgruppe aber, so hatte der Hörfunkdirektor Wolfgang Schmitz im April gerechtfertigt, ist „nicht nur auf die Hochkultur abonniert“. Also wird fortan angefunkt, was bei drei nicht auf den Bäumen oder zumindest vor fünf noch im Büro ist – und ein Weg fortgeführt, den man in Köln mit der Programmreform 2004 eingeschlagen hat. Er führt fort vom Einschalt- und hin zum Begleitradio. Er orientiert sich an Service und Zerstreuung, nicht an der Vermessung der geistig-kulturellen Welt.

Verfolgt man die Programmentwicklung des WDR „in the long run“, so muss man konstatieren, dass es nicht um die Fortentwicklung oder gar Rettung des Kulturauftrags eines öffentlich-rechtlichen Senders geht (auch wenn Hörfunkdirektor Schmitz für sich reklamiert, „Leidenschaft für ein zukunftsfähiges Kulturradio“ zu besitzen), sondern um Politik. Nämlich die, langfristig und nachhaltig die Struktur von Berichterstattung zu verändern: Weg vom kritischen Diskurs, hin zu eingängigen, stets mehrheitsfähigen und, wenn man so will, „stromlinienförmigen“ Formaten. „Vorauseilende Verstümmelung“ hat der Blogger Stefan Niggemeier das in anderem Zusammenhang genannt. Und auch wenn es sicherlich richtig ist, die Erkenntnisse der Medienforschung in die Programmgestaltung einfließen zu lassen, ist doch auffällig, dass die Begründungszusammenhänge für redaktionelle Entscheidungen heute in der Regel gar nicht mehr dem journalistischen Sprachgebrauch, sondern dem Wörterbuch der Unternehmensberater entstammen, wie auch Erika Fuchs auf nachdenkseiten.de festgestellt hat:

Statt den öffentlich-rechtlichen Programmauftrag ernst zu nehmen, reduzieren die Verantwortlichen die WDR-Programme auf ihren jeweiligen „Markenkern“. Die Entwicklung dieser verschiedenen Markenkerne wurde im Übrigen externen Marketingexperten überlassen, denn der WDR als einer der größten „Kulturanbieter“ Europas hatte offenbar niemanden im eigenen Hause, dem man eine Weiterentwicklung des Programmprofils hätte zutrauen können. Es wäre aber wohl auch niemand intern darauf gekommen, dass der WDR „eine Marke wie Apple oder Coca Cola“ sein solle, eine „Marke“ mit „relevanten und glaubwürdigen Botschaften“.

Einspareffekte bei dieser Art Reformen nimmt man gerne mit, weil sie einfach in die Logik der Unternehmensberater passen, auch wenn sie in Wahrheit marginal. Denn am journalistischen Programm des WDR ist gar nichts mehr zu sparen. Der Etatposten für die Honorare der „festen Freien“, die mehr als 90 Prozent dieses Hörfunk- und Fernsehprogramms herstellen, beläuft sich auf etwas mehr als 80 Mio. Euro. Bei einem Budget von über 1,4 Milliarden Euro sind das die buchstäblichen „Peanuts“. Das Gros des Geldes fließt, neben den exorbitanten Gehältern des Führungspersonals, in Lizenzen, Rechteankauf, Schaufensterproduktionen á la Gottschalk und Pensionen nebst Rückstellungen.

Es bleibt bei dem, was auch viele FreundInnen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks befürchten: Der WDR macht sich über kurz oder lang selbst überflüssig, wenn er die „modernen Kulturorientierten“ oder die „kulturorientierten Traditionellen“ verliert, ohne doch je wirklich die „Unterhaltungsorientierten“ gewinnen zu können. Und das war jetzt in der Sprache der Medienforschung, damit auch Wolfgang Schmitz es versteht.

Weiterflüstern ...Share on Facebook0Tweet about this on TwitterShare on Google+0Share on Tumblr0Email this to someonePrint this page

Tags: , , , , , ,

2 Responses

  1. […] WDR occupied? – … auch wenn es sicherlich richtig ist, die Erkenntnisse der Medienforschung in die Programmgestaltung einfließen zu lassen, ist doch auffällig, dass die Begründungszusammenhänge für redaktionelle Entscheidungen heute in der Regel gar nicht mehr dem journalistischen Sprachgebrauch, sondern dem Wörterbuch der Unternehmensberater entstammen … […]

  2. Lars sagt:

    wie wär es mit direktwahl der ÖR-rundfunkräte?
    http://www.facebook.com/groups/276758975735148/

Leave a Reply

Loading Facebook Comments ...

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter