Archive for Oktober, 2009

Mit Toten für Quoten


12 Okt

Das geht nun vielleicht doch ein bisschen zu weit:

Er soll Morde in Auftrag gegeben haben, um mit exklusiven Filmaufnahmen von den Verbrechen die Einschaltquote für seine „Crime-Show“ zu erhöhen: Der brasilianische Ex-Regionalabgeordnete und TV-Moderator Wallace Souza hat sich nach Bekanntwerden dieser Praktiken den Behörden gestellt. Er sitzt seit dem Wochenende in einem Gefängnis in Manaus. In der vergangenen Woche war ihm das Mandat und damit auch die Immunität entzogen worden.

Bekanntlich sind Fernsehsender bereit, über Leichen zu gehen. Bislang waren damit allerdings die Leichen im Programmkeller und die Mumien der Mehrfachwertung gemeint. Aber was für Neapel, Sophia Loren, ein Menü im El Bulli oder einen Winterspaziergang im Engadin gilt, das gilt für das Fernsehen noch lange nicht: Es ist einfach nicht zum Sterben schön.

Morde für Einschaltquote? – Kölner Stadt-Anzeiger

Bolzen gegen Obama


10 Okt

Wer hat eigentlich Norbert Bolz gefragt? Der Kölner Stadtanzeiger hat es getan, wer denn sonst? Der Medienprofessor aus Berlin, dessen Medienbezug vor allem in der medialen Inszenierung der eigenen Person besteht, äußert sich in der Öffentlichkeit auch ohne Sachkenntnis gerne zu allen möglichen Sachen. Sein Eintreten für reaktionäre Positionen wie z.B. das Zementieren von Geschlechterrollen und sein intellektuell verbrämter Hass auf “Gutmenschen” gibt sich gar nicht erst den Anschein, argumentative Tiefe zu haben. Da ist er natürlich genau der Richtige, um die Entscheidung des Nobelkomitees zu kritisieren, das einem schwarzen US-Präsidenten den Friedensnobelpreis zuerkennt:

In Amerika hat Obamas Bild schon Risse bekommen. Das ist jetzt eine Art Solidaritätserklärung. Die Guten der ganzen Welt erklären sich mit ihm solidarisch gegen erste massive Zweifel an seiner messianischen Kraft.

Unverkennbar ist, dass Bolz zu jenen Kritikern der Elche zählt, die früher selbst welche waren. Ähnlich wie sein alter ego Peter Sloterdijk ist es ja Norbert Bolz, der in knitterigem Nietzsche-Adeptentum gerne einen Zarathustra-Tonfall anschlägt und in “messianischer” Weise mehr verkündet als erklärt und mehr raunt als argumentiert. Selbst wenn das auch auf Barak Obama zutreffen sollte (Zweifel sind erlaubt), gibt es doch einen gewichtigen Unterschied: Obama ist dabei nicht peinlich. Die Kritik, die der Frankfurter Sozialphilosoph Axel Honneth kürzlich in der Zeit an Peter Sloterdijk übte, ist da wie hier einschlägig:

… nur wenige mag es geben, die da nicht in ein Grübeln darüber verfallen, ob unsere demokratische Kultur nicht inzwischen einen Grad an Verspieltheit, an Ernstlosigkeit und Verquatschtheit erreicht hat, der ihren eigenen Ansprüchen Abbruch tut.

Das ist ja fast noch höflich formuliert. Denn das Kalkül, mit dem hier auf gedankenlose wie gewissenlose Art und Weise Ressentiment geschürt wird, ist ja nicht nur “verspielt” und “ernstlos”: Es ist auch gemeingefährlich. Dass Leute wie Sloterdijk und Bolz dann auch noch als Hochschullehrer staatlich besoldet werden, gibt einem zu denken.

Bolz-Interview im Kölner Stadt-Anzeiger

Medien und Wahlkampf


10 Okt

Bei einer Feierstunde zum 60-jährigen Bestehen der Bundespressekonferenz hat Bundespräsident Horst Köhler den anwesenden Journalisten die Leviten gelesen. Dabei ging es insbesondere um die Rolle der Presse im zurückliegenden Bundestagswahlkampf:

Vielen Journalisten, die "mehr Schärfe, mehr Ideologie, mehr Angriff" gefordert hätten, sei es "gar nicht um die Demokratie" gegangen, sagte Köhler bei einer Feier zum 60-jährigen Bestehen der Bundespressekonferenz.

"Bestenfalls hatten sie Langweile, und schlimmstenfalls vermissten sie etwas, womit sie ihre Quoten und Auflagen steigern wollten."

Bundespräsident kritisiert Rolle der Medien im Wahlkampf | medienhandbuch.de

NOCH NIE


09 Okt

Zum unten angesprochenen „Seitismus“ reiht sich natürlich noch ein anderes Phänomen, mit dem Journalisten ihre Unkenntnis in Stochastik untermauern: Der „Noch-nie-ismus“. Was aber auch alles „noch nie“ stattgefunden hat:

Vizekanzler in spe Westerwelle ist noch nie wirklich angekommen

Kaiser (Linke) oder Wanka (CDU) – noch nie stand die Platzeck-SPD so nah am

Ein Absturz wie noch nie

Herta Müller: „Ich habe noch nie auf einen Preis gewartet“

Der völlige Ausschluss der Möglichkeit, etwas habe nicht vielleicht doch schon irgend wann einmal sich ereignet und nur die eigene Ignoranz, Kleingeistigkeit oder mangelnde Welterfahrung hat es den Journalisten nicht wissen lassen, gehört zu den präpotenten Posen des Journalismus. Dagegen wusste doch schon James Bond, man solle niemals nie sagen, und wer geschwiegen hat, der hat noch immer seine Chancen verbessert, ein Philosoph zu bleiben. Im Werbe-Geraune dagegen kann ein keckes „noch nie“ durchaus Stimmung verbreiten, wie auf einer Website eines Kinobetreibers:

KINO WIE NOCH NIE

Journalismus wie noch nie, das würden wir uns allerdings auch wünschen.

Schlechtester Text seit immer


06 Okt

„Schlechtester Text seit immer“, so überschreibt Dirk Gieselmann von der Fußballzeitung 11 Freunde seinen Text, in dem er sich mit der unscheinbaren Präposition „seit“ beschäftigt. Denn das Wort „seit“ sei der „Knüppel der Fußball-Reporter“.

Weil in den Neunziger Jahren fuchsige Informatikstudenten die »ran«-Datenbank aufgebaut haben, weiß man heute über jedes Ereignis, seit wann es nicht mehr eingetreten ist. Reporter schleppen Leitz-Ordner voller »Seit«-Statistiken in ihre Kabinen und feuern sie in Salven ab: Das war der kürzeste Einwurf seit zweieinhalb Tagen! Schon seit einer Minute kein Tor mehr! Ding seit Bums! Bla seit Bla!  

Die harmlose Präposition hat eigentlich den schlichten Zweck, Zustände in ihrer zeitlichen Abfolge darzustellen. Im Sportjournalismus, aber nicht nur da, wird das Wort indes dazu mißbraucht, unbotmäßig Parallelen und Schlußfolgerungen zu ziehen. Hier wird eine Stochastik bemüht, die lediglich im Trüben stochert, ist doch der Aussagewert von Feststellungen wie „seit 52 Spielen torlos“ oder „bester Zustand seit Jahren“ gering. Womöglich sollte dem „Immermehrismus“ und dem „Abzuwartismus“ eine weitere Kategorie hjinzugefügt werden, der „Seitismus“.

11 FREUNDE – Bundesligen – Wie Statistiken nerven – Schlechtester Text seit immer

Krankenkassen zahlen wegen Computerfehler


05 Okt

Falscher Code = richtiges Plus: Wegen eines Programmfehlers einer unter Kassenärzten weit verbreiteten Software  sollen die Krankenkassen enorme Geldsummen zu viel angewiesen haben.

Nach SPIEGEL-Informationen habe eine unter Augenärzten weitverbreitete Praxis-Software vielen Patienten gleichsam automatisch eine Kodierziffer angehängt, die auf eine Ansteckung mit dem AIDS-Virus HIV hinweise. Auf Grundlage dieser falschen Codierung bekämen die zuständigen Krankenkassen dann Extra-Zuschüsse aus dem Gesundheitsfonds – etwa 10.000 Euro pro Patient und Jahr …

Aufgefallen sei der Fehler, weil die scheinbar Neuinfizierten zum Großteil bereits die 65 Jahr-Grenze überschritten hätten. Nach Schätzungen der Hanseatischen Krankenkasse handle es sich um einen Fehlbetrag von 160 Millionen Euro.

Falsche Codierung beschert Krankenkassen Extra-Zuschüsse aus dem Gesundheitsfonds – datensicherheit.de Informationen zu Datenschutz und Datensicherheit

Anti-Medien-Blog

Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter