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Wie der Kölner Stadtanzeiger die Jugend verdirbt


20 Dez

Jugendgefährdende Schriften waren sonst solche, deren Lektüre die moralische Entwicklung Jugendlicher nachhaltig negativ beeinflussen konnte. Der Kölner Stadtanzeiger indes lässt die jungen Leute nicht lesen, um sie an den Abgrund zu führen, nein, er lässt sie schreiben. „Junge Zeiten“ nennt das Blatt diese Form der Jugendkriminalität, „Jetzt ich!“ ist der kreuzblöde Titel einer Kolumne, mit der Menschen, die gerade mal die Volljährigkeit passiert haben, sich jede Chance auf ein intelligentes Weiterleben auf diesem Planeten nachhaltig ruinieren. „Auslaufmodell Treue“ überschreibt eine Anna Katharina B. (18) (Vorname nicht geändert – die Red.) ihre heutige Einlassung. Darin geht es um Ehescheidungen und die Gerüchte um Ehescheidungen von Leuten, die Sarah Connor und Mark Terenzi, Madonna und Guy Ritchie oder Katie Holmes und Tom Cruise heißen.

Die Stars legen schon lange keinen großen Wert mehr auf stabile Beziehungen, auf Treue, auf Beständigkeit. Auf die Ehe schon gar nicht. Für jugendliche Fans sind das meiner Meinung nach die falschen Signale. Nicht nur in Sachen Frisur und Outfit schaffen die Stars schließlich Trends. Ihrer sozialen Vorbildfunktionen scheinen sie sich aber immer weniger bewusst zu sein.

Den Immermehrismus würde ich Anna-Katharina B. ja noch schenken (wo soll sie es auch lernen?). Dass sie sich Madonna und Sarah Connor in Sachen Outfit und Frisur zum Vorbild nimmt, widerlegt die der Kolumne beigefügte Fotografie. Dass sie aber meint, Leute mit Namen Guy Ritchie hätten irgendwelche „soziale Vorbildfunktionen“ (warrum eigentlich der Plural?), lässt doch sehr an der sozialen Intelligenz des Stadtanzeiger-Nachwuchses zweifeln. Dabei kommt sie der Wahrheit so nahe:

Was die mehr oder weniger Prominenten öffentlich vormachen, kennen die meisten Jugendlichen aus ihrem eigenen Leben.

Eben. Auch wenn es schmerzt, Anna-Katharina: Die conditio humana gilt auch für Promis, Fußballer oder den Sportchef des Kölner Stadtanzeigers. Als Vorbild ist solches Personal in jedem Fall untauglich. Aber Vorbild ist auch nicht das, was sie eigentlich sucht, sondern Abziehbilder einer reaktionären Weltanschauung, die einem bei einer 18-jährigen deswegen Sorgen macht, weil man nicht weiß, wohin das bei der 38-jährigen Anna-Katharina noch führen soll. Als der Kabarettist Walter Mehring einsam und verkannt in einem Schweizer Seniorenheim verstarb, soll er gerufen haben: „Die Spießer werden auch immer jünger“.

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Die journalistische Notfallpraxis im Web von Hektor Haarkötter